Nachdem ich mich mit meiner Wahlentscheidung lange gequält und diese letztendlich erst am Morgen des Wahltages getroffen habe, sitze ich nun vor dem Wahlergebnis mit sehr widersprüchlichen Gedanken und Gefühlen. Ich kann für mich nur sagen, was in den letzten Tagen via sozialer Netzwerke an Angifterei von Grünen gegen Linke und Linken gegen Grüne stattgefunden hat, hat mich erschreckt. Ich habe kein Verständnis dafür, wenn sich das weitgehend progressive Lager derart angeht.
Das hohe Wahlergebnis der AfD ist eine Katastrophe. Wiederholt.Und nein, die AfD wird nicht weniger erfolgreich sein, wenn ihr Narrativ von der Migration als Ursache allen Übels übernommen wird. Das Rassismus, Demokratiefeindlichkeit und eine Ideologie der Ungleichheit der Menschen im Land das den Holocaust zu verantworten hat in diesem Ausmaß wählbar ist, macht mich betrübt und wütend. Es ist Zeit insbesondere in den Osten der Republik zu schauen. Das kann nicht mehr weggeredet werden. Das dort so massiv Rassismus, Menschenfeindlichkeit und Demokratiefeindlichkeit gewählt wird hat nichts mit abgehängten Gebieten zu tun. Es hat etwas mit Sozialisationen zu tun, die sich über Generationen weiterträgt. Es gibt ein ernsthaftes Problem in vielen Teilen des Ostens. Der Wert von Demokratie wird nicht gesehen, Autoritarismus und Populismus gedeihen. Selbstverständlich hat das was mit der DDR zu tun – die war Law & Order, Autoritär und die sog. Vertragsarbeiter*innen regelmäßig Ziel rassistischer Angriffe.
Beim Wahlergebnis kann ich nicht verhehlen, dass ich eine gewisse Schadenfreude empfinde, was das BSW angeht. Ein solches Gefühl ist neu für mich. Zuviele dort haben Karriere und Posten gewittert, das ist jetzt vorbei. Opportunismus fand sich schon immer Scheiße. Allerdings muss rein rechtsdogmatisch schon anerkannt werden (aber das sage ich seit vielen Jahren), dass die Sperrklausel so nicht aufrechterhalten bleiben kann. Wenn nun Teile des BSW mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht drohen, ist das ihr Recht. Es soll wohl geltend gemacht werden, dass das BSW mit den Auslandsdeutschen die Sperrklausel überwunden hätte. Auslandsdeutsche müssen sich in ein Wählerverzeichnis eintragen. 213.255 Auslandsdeutsche sollen dies getan haben. Dem BSW fehlen 13.435 Stimmen um die Sperrklausel zu überwinden. Im grundlegenden Urteil zur Wahlprüfung aus dem Dezember 2023 hat das BVerfG in Leitsatz 3 (und den Randnummern 239 ff.)ausgeführt: „Unabhängig von der Schwere des Wahlfehlers ist Mandatsrelevanz nur gegeben, wenn sich eine Auswirkung des Wahlfehlers auf die Sitzverteilulng als eine nach der allgemeinen Lebenserfahrung konkrete und nicht ganz fernliegende Möglichkeit darstellt. Hierbei ist das potentielle Wahlverhalten zwar nicht im Sinne einer exakten Übertragung des Wahlergebnisses, wohl aber im Sinne einer groben Orientierung zu berücksichtigen.“ Ein Wahlfehler liegt völlig unstreitig vor, denn es wurden nachweisbar viele Auslandsdeutschen, die sich in das Wählerverzeichnis eingetragen haben, an der Wahl gehindert. Die Mandatsrelevanz dürfte nach den vom BVerfG ausgesprochenen Kriterien aber nicht gegeben sein. Wenn alle 213.255 wahlberechtige Auslandsdeutsche nicht hätten wählen können, wären 4,97% davon 10.599 Stimmen. Dies würde aber nicht reichen, um dier Sperrklausel zu überwinden, es liegt -nach dem derzeitigen Stand- keine Mandatsrelevanz vor.
Aber zurück zur Politik. Was passiert jetzt mit dem Ergebnis dieser Wahl? Rechnerisch hätten CDU/CSU und SPD mit 328 Sitzen eine Mehrheit, ebenso CDU/CSU und AfD mit 369 Sitzen. Aus verschiedenen Gründen halte ich eine Regierung aus CDU/CSU und AfD für komplett falsch und kann nur hoffen, dass die CDU/CSU dies nicht in Erwägung zieht. Für die SPD wird das dann ganz bitter, weil sie aus staatspolitischer Verantwortung in eine Koalition gehen muss, die ihr eigentlich gar nicht passen kann.
Fatal ist das Wahlergebnis für das ganze Thema Klimawandel und Klimawandelfolgen.Der Kampf gegen den Klimawandel und die Stärkung der Daseinsvorsorge um Klimwandelfolgen abzumildern und vor allem dafür zu Sorgen, dass Menschen mit geringem und keinem Einkommen nicht überproportinal betroffen sind, wird nicht stattfinden. Die einen, die das bisher thematisiert und vorangetrieben haben sind jetzt in der Opposition, die anderen glauben wenn es nur keine Superreichen mehr gibt ist das Problem gelöst und die AfD leugnet den Klimawandel. Es wird ganz, ganz bitter die nächsten vier Jahre und vielleicht ist -wenn die Regierung so lange hält- in vier Jahren zu spät.
Das Wahlergebnis bedeutet, dass die AfD keine Sperrminorität erreicht hat, was eine Zwei-Drittel-Mehrheit angeht. Diese ist für Verfassungsänderungen aber auch für die Wahl von Verfassungsrichter*innen erforderlich (und da dürfte recht schnell eine Wahl anstehen). Dieser Zustand bedeutet, dass auf die Partei Die Linke eine große Verantwortung für die Demokratie zukommt, von der ich nicht weiß, ob sie sich dieser bewusst ist. Wenn es auf eine Zwei-Drittel-Mehrheit ankommt, dann hängt es an ihr, ob diese Zwei-Drittel-Mehrheit kommt oder eben nicht oder mit der AfD. Für die Partei Die Linke bedeutet dies, dass sie Lernen muss den „Kompromiss an sich“ nicht zu verteufeln. Sie muss lernen, dass der „Kompromiss an sich“ zur Demokratie gehört. Das bedeutet jetzt nicht, dass jeder Kompromiss gemacht werden muss, es bedeutet aber die grundsätzliche Bereitschaft zu haben, ernsthaft über einen Kompromiss zu reden und vor allem aus Haltung resultierende umsetzbare Konzepte zu entwickeln. Ein sich selbst genügendes Bestehen auf einer links-populistischen Haltung verbunden mit dem Gestus des „wir sind die Einzigen, die …“ darf es nicht geben. Es kommt jetzt darauf an, dass Die Linke gerade nicht „die Einzige, die… “ ist, sondern für ihre Position Verbündete in anderen demokratischen Parteien sucht.
Ob auf die CDU in der demokratischen Frage Verlass ist, muss bezweifelt werden. Sie hat ja bei dem in der Sache folgenlosen Antrag zur Migration/Innenpolitik deutlich gemacht: Wenn ihr anderen demokratischen Parteien nicht wollt wie wir, dann machen wir es mit den Demokratiefeinden von der AfD. Wenn das einmal ging, warum sollte das nicht auch bei anderen Themen gehen? Die CDU hat damit nicht mehr und nicht weniger aufgekündigt als den Ansatz unter demokratischen Parteien einen Kompromiss zu finden. Zudem hat der Kanzlerkandidat der CDU und wohl demnächst Kanzler am Vorabend der Wahl -nach dem entsprechenden Video zu urteilen- aus tiefster Überzeugung vertreten, dass Minderheiten nicht klar denken können und nicht alle Tassen im Schrank haben. Das ist nicht nur eine Pathologisierung von Minderheit, es ist eine eklatante Entgleisung, Antidemokratisch und spaltend.
Meine Sorgen im Hinblick auf die Grünen können nach dem Wahlergebnis wohl erst mal beiseite gelegt werden. Dort befürchtete ich, dass es das, was bei der Linken zuviel gibt, bei ihnen möglicherweise zu wenig gibt. Ich bin mir nicht sicher, ob sie in der Lage gewesen wären zu sagen: Stop! Dieser Kompromiss geht wirklich nicht, das können wir nicht mittragen. Das Gegenstück zu selbstgenügsamer Haltung ist aus Haltung folgende Politik mit realer Veränderungsoption. Aber das bedeutet auch mal „Nein“ sagen zu können.
Das führt mich zu meinem nächsten Punkt. Es bedarf meines Erachtens einer ganz anderen politischen Kommunikation der Parteien aber auch der journalistischen Wiedergabe und Einordnung von Debatten. Fast alle Parteien erklären im Wahlkampf „wir werden“ oder „mit uns gibt es“. Das sind leere Versprechungen – es sei denn eine Partei stellt allein die Regierung. Es werden so Erwartungen geschürt, die nicht erfüllbar sind. Parteien müssten aus meiner Sicht viel mehr deutlich machen, dass sie etwas „wollen“ oder sich „für etwas einsetzen“, wegen mir auch „dafür kämpfen“. Was am Ende tatsächlich passiert, ist eine Frage, wofür es mit anderen Parteien eine Mehrheit gibt. Ich mach das mal konkret: Die Linke hat im Wahlkampf immer gesagt, mit ihr gibt es einen bundesweiten Mietendeckel. Sie bezieht sich offensichtlich auf ein Konzept, dass im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung entwickelt wurde. Ich halte das Konzept nicht für einen bundesweiten Mietendeckel und sehe auch nicht, wie das verfassungsrechtlich sauber umgesetzt werden könnte, allerdings gibt es auch absurde Argumente gegen die Idee eines Mietendeckel die hier gut auseinandergenommen werden. Ich habe hier meine Kritik aufgeschhrieben (die ist von Ende 2024 und die wollte ich im Wahlkampf nicht öffentlich machen). Worauf ich an dieser Stelle aber vor allem hinauswill: Wer Die Linke gewählt hat in der Annahme damit kommt der bundesweite Mietendeckel wird enttäuscht werden. Wer Die Linke gewählt hat in der Annahme, sie wird für den bundesweiten Mietendeckel kämpfen, wird nicht enttäuscht werden, weil kämpfen wird sie dafür. Dieser Unterschied ist im Hinblick auf die Erwartung von Wählerinnen und Wähler nicht banal. Die Kommunikation einer Partei sie setze sich für dieses oder jenes ein und kämpfe für dieses oder jenes macht klar, es wird vermutlich gerade keine 1:1 Umsetzung geben. Es wird aber versucht werden in der Auseinandersetzung mit anderen Parteien das Beste daraus zu machen. Am Ende steht ein Kompromiss, der dann im konkreten Einzelfall darauf geprüft werden muss, ob er für eine Zustimmung ausreicht oder nicht. Das Ergebnis ist dann kein Verrat oder Opportunismus oder andere gern gemachte Vorwürfe. Die Parteien selbst stünden in der Verantwortung ihren Wählerinnen und Wählern deutlich zu machen, warum sie einer Sache zugestimmt haben, obwohl sie nicht 1:1 ihre ursprüngliche Position durchsetzen konnten oder warum sie eine Sache abgelehnt haben, obwohl von ihrer ursprünglichen Position wichtige Punkte enthalten sind. Wer vor der Wahl an Haustüren klingeln kann, kann das auch nach der Wahl.
Für Journalistinnen und Journalisten bedeutet dies aus meiner Sicht von einer Berichterstattung/Einordnung nach dem Muster Sieg und Niederlage Abstand zu nehmen. Wenn ein Kompromiss danach bewertet wird, wer verloren und wer gewonnen hat, wird er erschwert und damit auch Demokratie. Manchmal könnte ein sachliche Einordnung wer was wollte und wer was erreicht hat, mehr helfen als die Kategorie Sieg & Niederlage. Demokratische Prozesse sind kein Sportwettbewerb.
Schließlich könnte das öffentliche Ringen um den Kompromiss auch durch eine neue/andere Form von Koalitionsverträgen attraktiver gemacht werden. Wenn die Koalitionspartner sich auf 5-10 Dinge einigen, die sie gemeinsam umsetzen wollen, wird Kompromissfindung in der Demokratie praktisch erlebbar. Die mehr als 100 Seiten umfassenden Koalitionsverträge regeln lauter kleine Details – das Leben ist dann aber anders und kommt mit neuen Problemen um die Ecke, die noch gar nicht im Koalitionsvertrag stehen.
Die Wahlen sind vorbei, die Entscheidung ist gefallen. Für die Demokratie kann ich nur hoffen, dass alle demokratischen Parteien sich ihrer Verantwortung bewusst sind. Und für das Thema Übergang in die post-fossilistische Gesellschaft sehe ich leider sehr schwarz. Es werden ganz bittere Jahre für das Themengebiet Klimaschutz, Klimawandelfolgen und Daseinsvorsorge.
Überträgst du da nicht das Wahlergebnis entgegen dem BVerfG („grobe Orientierung“) zu streng auf die Auslandswähler? Einige Prozent Toleranz muss man aus meiner Sicht schon einrechnen. Also vielleicht nicht von 15% BSW ausgehen, aber möglicherweise von 8%.
So oder so dürfte es nicht reichen, denn die Mehrheit der Auslandsdeutschen konnte vermutlich wählen.
Warum man da nicht mehr versucht hat, zB durch Wahllokale in den Botschaften und schnellstmögliche Übersendung nach Deutschland etwa mittels Kurier, finde ich auch merkwürdig.
Viel wichtiges und richtiges, danke dafür. Das Klimathema steht leider ohnehin durch den Ausgang der US-Wahl enorm unter Druck. Donald Trump ist aber nicht der einzige. Auch bei Friedrich Merz und den Spitzen von CDU und CSU habe ich schon länger den Eindruck, sie würden am liebsten das Pariser Kllmaabkommen kündigen. Wichtig finde ich jetzt aber auch andere programmatische Themen, die die Linke zu klären versuchen sollte. Wie soll sich die EU künftig verteidigen? Wie soll Wirtschaftspolitik aussehen, für Handwerk, Industrie, Bau, Landwirtschaft? Wie können die gesetzlichen Sozialversicherungen gestärkt und zu einer Bürgerversicherung ausgebaut werden? Es bleibt allerhand zu klären. Danke Halina!
ich achte sehr deine Meinung und würde dir gerne auch mal die Worte direkt um die Ohren hauen, ich lese sonst nur auf x von dir und da sind mir die letzten Tage ein paar Sachen aufgefallen die ich nicht teilen würde.
Beispielsweise das von lea xenia, die heute für die murxe Ampelwahlrechtsänderung mit Irreführungen schon im 1. satz „Direktmandat“ warb, obwohl die 733 wegen des Zweitstimmenmurx zustande kam.
Und zu o.g. schau mal wo die afd 2/3 ihrer Stimmen holte und dann vergleiche auch mal den Osten mit den Süden, offensichtlich ist die Unzufriedenheit keiner Himmelsrichtung zuzuschreiben.
Und wenn du SPDundoderGrüne gewählt hast dann hast wohl nicht die Spielereien ihrer Vorstände und dessen Mitläufer mitbekommen.
Interessant, dass Sie wissen, wen ich gewählt habe. Das habe ich wegen des Wahlgeheimnisses bewusst nicht öffentlich gemacht.
Die Klärungen innerhalb der Linken, msüsen innerhalb der Linken stattfinden. Mir geht es um die die gesamtgesellschaftliche Situation und was daraus für im weitesten Sinne Linke daraus folgt.