Populismus, in der Definition der Bundeszentrale für politische Bildung, ist eine Grundhaltung radikaler Opposition zu den herrschenden politischen und gesellschaftlichen Eliten, die für sich reklamiert, den „wahren“ Volkswillen zu erkennen und zu vertreten. Diese Haltung findet ihren Ausdruck „in der dichotomischen Abgrenzung des moralisch guten, tugendhaften Volkes von den als korrupt und selbstsüchtig bezeichneten Vertretern des sogenannten Establishments.“
Eine radikale Opposition zu herrschenden politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen (hier wird bewusst auf Verhältnisse abgestellt und nicht auf einen undefinierbaren Elitenbegriff) ist angesichts des Zustandes der Welt eigentlich eine Notwendigkeit. Denn wenn der Planet wegen des Klimawandels unter dem Ar*** wegexplodiert ist, kann über soziale Gerechtigkeit und Frieden nicht mehr geredet werden. Was es hingegen überhaupt nicht braucht, ist ein Haltung des Populismus, der auf nicht näher definierte Eliten rekurriert und das „Volk“ gegen das „Establishment“ stellt. Ein solcher Ansatz personifiziert Konflikte und lenkt damit von strukturellen Problemen, die es eigentlich zu lösen gilt, ab.
Denn das „Volk“ wählt die Parlamentarier*innen indem es bestimmte Parteien wählt und gegebenenfalls bei der nächsten Wahl eine andere Partei. Die Parlamentarier*innen sind keine Einheit, sie vertreten unterschiedliche Positionen. Es gibt regelmäßig Umfragen, was „das Volk“ denkt und Politiker*innen betonen immer wieder, dass sie die Interessen „des Volkes“ vertreten, gern auch „der Mehrheit“. Das hat zwar wenig mit der Aufgabe von Parteien zu tun, die an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken sollen, aber sei es drum. Die Aufgabe von Parteien nach dem Grundgesetz ist, sich eine politische Meinung zu bilden und für diese um Mehrheiten zu werben. Es sei auch noch erwähnt, dass es „das“ Volk nicht gibt, was sich schon an den vielen unterschiedlichen Parteien und den von ihnen vertretenen Positionen zeigt. Ich persönliche spreche auch lieber von Einwohnenden, weil wer hier lebt sollte mitbestimmen dürfen wie die Politik aussieht. Bestandteil von Demokratie ist im Übrigen auch, dass eine Minderheit eine Vertretung hat.
Es gibt Menschen, die glauben populistische Ansprache könne demokratiefördernd sein, weil es damit möglich ist, Menschen zu erreichen die sonst für politische Forderungen nicht erreichbar sind. Da wird mit Angst und Emotionen agiert und werden menschliche Feindbilder geschaffen, Strukturen bleiben unangetastet. Menschen mit politischen Forderungen zu erreichen ist richtig, dafür darf aber meines populär (verständlich) nicht mit populistisch verwechselt werden. Populismus bedeutet Unterkomplexität und Banalisierung. Diejenigen, die auf Populismus setzen transportieren am Ende ein Bild, wo dem „dummen Volk“ vereinfachend Sachen nahegebracht werden, weil sie „zu dumm“ sind, die Gesamtzusammenhänge und politische Prozesse, also die strukturellen Probleme, zu verstehen. Abgesehen davon ist die Welt einfach komplex ist und aus meiner Sicht „das Volk“ durchaus auch in der Lage ist, komplexe Zusammenhänge zu verstehen, sind die vom Populismus vorgeschlagenen einfachen Lösungen in der Regel Scheinlösungen.
Beispiele für Populismus, der am Ende demokratiegefährdend ist, sind Äußerungen, wonach Reiche und Mächtige direkt in Ministerien gehen und dort Gesetze zu ihrem Vorteil schreiben oder ändern lassen, Regierungen bzw. Parlamentarier*innen grundsätzlich korrupt und ohne Kontakt zum „einfachen Leben“ sind oder alle Probleme eines Landes auf ein Problem zurückzuführen sind.
Nun ist es so, dass Reiche tatsächlich immer reicher werden, es gibt dazu diverse Studien. Aber sind die Reichen auch die Mächtigen? Wer sind die Mächtigen, wenn es nicht die Reichen sind? Bezahlen die Reichen die Mächtigen? Was sind Regierungsmitglieder und was sind Parlamentarier*innen? Sind sie reich oder mächtig oder nichts von beidem? Sind sie per se korrupt? Das Problem bei diesen Verkürzungen ist, dass die Begründung für die unbestreitbare Tatsache, dass die Reichen (und Mächtigen) reicher geworden sind politische Prozesse mindestens in Deutschland (wie sich das mit der Präsidentschaft durch Trump in den USA entwickelt ist eine andere Frage) negiert und eine Schlussfolgerung nahe legt, die lautet: Es ist egal was ihr wählt.Wenn Reiche und Möchtige in Ministerien marschieren und dort zu ihren Gunsten Gesetze ändern lassen, wenn Regierung und Parlamentarier*innen grundsätzlich korrupt sind, dann macht Demokratie und machen Wahlen auch keinen Sinn.
Die benannte Verkürzung entlastet „das Volk“ von seiner Verantwortung. Denn dann werden die Reichen nicht etwa reicher, weil es eine demokratische Mehrheit dafür gibt oder mindesten keine Mehrheit für reichtumsbegrenzende Initiativen. In dieser schlichten Welt sitzen irgendwelche Trottel*innen in den Ministerien, die entweder korrupt sind oder zu blöd um zu verstehen, was passiert. In dieser schlichten Logik gibt es keine parlamentarische Abstimmung über Gesetze oder die Parlamentarier*innen sind -wie die in den Ministerien- auch korrupt oder blöd. Warum sollte eigentlich dann „das Volk“ noch mal zur Wahl gehen? Am Ende sind es immer Parlamentarier*innen die über Gesetze entscheiden und diese werden halt gewält. Mir jedenfalls ist in letzter Zeit nicht bekannt, dass „das Volk“ auch nur ansatzweise für die Begrenzung des Reichtums der Reichen und Mächtigen auf die Straße gegangen ist. Unzufriedenheit wird eher gegen die gewendet, die materiell noch weniger haben als mensch selbst.
Ich will aber noch mal beim Satz mit dem direkten Gang in die Ministerien bleiben. In dem Satz steckt ein instrumentelles Verhältnis zum Lobbyismus. Dieser wird demnach nämlich nur von Reichen und Mächtigen ausgeübt, nicht aber auch von Gewerkschaften oder zivilgesellschaftlichen Organisationen. Der eine Lobbyismus ist böse, der andere ist Interessenvertretung und damit gut. (Vermutlich würde die FDP das genau andersrum formulieren, nämlich dass Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen unzulässigen Lobbyismus ausüben und Wirtschaftslobbyismus Interssenvertretung ist.) Das Problem ist nicht Lobbyismus, das Problem ist Intransparenz und die Nichtexistenz eines Lobbyismusdeckels. Das Lobbyregister ist ein guter Anfang, es bedürfte weiterhin aber neben dem Lobbyismusdeckel auch eines exekutiven Fußabdrucks. Der exekutive Fußabdruck würde offenlegen, welcher Lobbyverband und/oder welche Gewerkschaft oder Zivilgesellschaft an dem Gesetzentwurf mitgewirkt hat. Das ist einfach umzusetzen, in dem im Vorblatt eines Gesetzentwurfes einfach eine Transparenzpflicht hinsichtlich der Mitwirkung Externer eingeführt wird. Sinnvoll wäre über einen Lobbyismusdeckel nachzudenken (und als verhältnismäßige Berufsausübungsregelung auszugestalten), mit dem selbstverständlich in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eingegriffen wird. Dieser Lobbyismusdeckel könnte eine Höchstsumme X Euro an finanziellen Mitteln für Lobbyismus festlegen. Gerechtfertigt wäre ein solcher Eingriff meines Erachtens durch Belange des Allgemeinwohls, nämlich dem weitgehend gleichen Zugang zu Demokratie. Das Problem der Ausleihe von Beschäftigten der Privatwirtschaft an Ministerien (für eine Gesetzesinitiative) kann durch Compliance-Regelungen ausgeschlossen werden.
Es kommt aber noch etwas anderes hinzu. Es ist meines Erachtens eine Fehlannahme, dass in dieser komplexen Welt alle Gesetze ohne externen Sachverstand geschrieben werden könnten. Es ist manchmal, insbesondere bei hochspezialisierten oder hochtechnisierten Vorhaben, sehr sinnvoll einen Aufschlag Externer zu erhalten.
Lobbyist*innen geht es vor allem um die Maximierung von Profit ihrer privatwirtschaftlichen Auftraggeber*innen oder um maximale Umsetzung von Forderungen der Mitglieder bei Gewerkschaften und/oder zivilgesellschaftlicher Organisationen. Die Interessen der privatwirtschaftlichen Lobbyvertreter*innen sind im Übrigen nicht immer identisch. Der BlackRock-Lobbyist hat möglicherweise andere Interessen als der/die Pharmaindustrielobbyist*in. Lobbyisten*innen der Verbrenner-Auto-Industrie haben andere Interessen als die Lobbyvertreter*innen der Wärmepumpenherstellenden und diese andere als die Lobbyvertreter*innen fossiler Energieproduzierender. Wer das nicht glaubt, kann sich gern mal das Urteil des Bundesverfassungsgerichts Strompreisbremse ansehen.
Populismus ist keine Lösung. Es muss um Aufklärung gehen. Über gesellschaftliche Zusammenhänge und politische Mechanismen. Und um politisches Werben für die eigene Überzeugung. Das ist das Wesen einer Demokratie und Pluralismus.