Am eigenen Anspruch verschluckt

Ich habe schon schlechtere Texte gelesen. Ehrlich. Aber: „Ich habe schon schlechtere Texte gelesen“ oder „Es ist nicht alles schlecht“ reicht nicht aus, wenn der selbstformulierte Anspruch ein „Manifest“ war, ein Papier über kommende Demokratie und Sozialismus 2.0.

Tatsächlich finden sich im auf der linken Woche der Zukunft vorgestellten Text der Parteivorsitzenden durchaus Aussagen, die ich richtig und gut finde. Da ist zum Beispiel der Satz: „Die Demokratie, die wir meinen, ist daher die dritte Position jenseits des neoliberalen `weiter so` und der nostalgischen Option vermeintlich guter alter Zeiten.“ Angesichts der eigenen Geschichte der Vorgängerpartei einer Quellpartei der LINKEN ist dieser Satz notwendig. Auch die Erkenntnis: „Viele Menschen erleben schon heute größere Freiheitsspielräume als früher: weniger Patriarchat, weniger Fabrikdisziplin, mehr digitale Zugänge, mehr individuelle Ansprüche, mehr Bildung.“ ist richtig. Der formulierte Anspruch, das „Emanzipationsversprechen linker Politik (…) zielt auf eine selbstorganisierte Gesellschaft jenseits von zerstörerischem Markt und autoritärem Staat“ könnte ein Versprechen sein. Wenn DIE LINKE endlich eine solche Politik machen würde, statt sie nur zu proklamieren. Und: „Demokratische Politik, die sich selbst ernst nimmt, muss heute auf eine Transformation der politischen und ökonomischen Formen zielen und eine Exit-Strategie aus dem Krisenkapitalismus entwickeln. Denn dieser zerstört das Soziale und die Demokratie.“ weckt Hoffnung, dass im Papier genau solche Transformationsvorschläge entwickelt werden.

Das Papier, zumal mit dem Anspruch ein „Manifest“ zu sein, hätte ein Chance sein können. Eine Chance, den formulierten Anspruch an emanzipatorische linke Politik zu untersetzen. Eine Chance zu zeigen, dass demokratische Politik sich ernst nimmt und Transformationsvorschläge unterbreitet.  Die Chance zu nutzen hätte bedeutet sich mit der Frage auseinanderzusetzen, was emanzipatorische linke Politik, die auf eine selbstorganisierte Gesellschaft jenseits von zerstörerischem Markt und autoritärem Staat zielt, in einer digitalisierten Gesellschaft tun kann. In einer Zeit wo eine (schleichende) Revolutionierung aller Verhältnisse stattfindet, stellen sich viele Fragen ganz neu und viele neue Fragen. Wie sieht eine Transformation politischer und ökonomischer Formen mit eine Exit-Strategie aus dem Krisenkapitalismus im Zeitalter der Digitalisierung aus? Wie kann Selbstbestimmung gesichert werden, in einer Zeit wo immer mehr Sachen und Dinge durch Algorithmen bestimmt werden und auf unser Leben zurückwirken? Wie kann Selbstbestimmung und damit die Option auf Transformation gesichert werden, wenn unsere Daten zu Profilen verbunden werden? Wie verbindet sich diese schleichende Revolutionierung mit kommender Demokratie und Sozialismus 2.0? Das Papier gibt auf genau diese Fragen keine Antworten. Das Papier -ich mache das später an einigen Punkten exemplarisch deutlich- wärmt altbekannte Forderungen auf, reichert sie um Schlagworte an und bleibt abstrakt. Das Papier verschluckt sich so leider an seinem selbstgesetzten, großen Anspruch.

Wer von Sozialismus 2.0 redet, der muss auch irgendwie erklären, was Sozialismus 1.0 war. Wer Sozialismus 2.0 erwähnt, muss erklären worin sich dieser vom Sozialismus 1.0 unterscheidet. Sozialismus gab es meines Erachtens noch nirgendwo, nur irgendwelche Staatsformen die sich -fälschlicherweise- selbst so genannt haben.

Kommende Demokratie, Sozialismus 2.0 und eine emanzipatorische linke Politik die auf eine selbstorganisierte Gesellschaft jenseits von zerstörerischem Markt und autoritärem Staat zielt, wird mit Lyrik, Floskeln und Bildern nicht zu erreichen sein. Der Text, so scheint es, ist ein Wettbewerb welche/r wichtige und weniger wichtige Autor/in auch noch zitiert werden muss. Es scheint so, als ginge es eher um die Schönheit eines Textes, denn um seinen Inhalt. Für eine kommende Demokratie, Sozialismus 2.0 und den selbst formulierten Anspruch an emanzipatorische linke Politik stellt mir der Text zu wenig (visionäre) Fragen und blendet zu viele gesellschaftliche Veränderungsprozesse aus. Spannende, in die Gesellschaft ausstrahlende und kontrovers zu diskutierende neue Ideen wie die digitalisierte Gesellschaft demokratisch, sozial-gerecht und friedlich gestaltet werden kann gibt es nicht. Leider. Dabei wäre solche Antworten zu entwickeln eine Aufgabe, der sich eine linke Partei stellen müsste.

Auf fünf Handlungsfeldern werden -nach Eigeneinschätzung der Autoren- in dem Papier Einstiegsprojekte zu einer wirklichen Demokratie und zum Sozialismus 2.0 vorgeschlagen. Die Projekte sind vieles. Sie sind nicht schlecht. Sie sind aber in keinem Fall Einstiegsprojekte zu einer wirklichen Demokratie und zum Sozialismus 2.0. Nehmen wir zum Beispiel die Forderung kürzer, gerecht verteilt und kollektiv selbstbestimmt zu arbeiten. Eine richtige Forderung, ein Projekt noch lange nicht. Um zu klären, wie das realisiert werden kann ist eine Analyse des Zustandes von (Erwerbs)Arbeit und eine Vermutung über ihre zukünftige Entwicklung erforderlich. Doch das unterbleibt komplett. Es wird sich nicht mit der Frage beschäftigt, ob (Erwerbs)Arbeit durch Digitalisierung verschwindet, weniger wird oder am Ende gar mehr (Erwerbs)Arbeitsplätze geschaffen werden? Und sollten (Erwerbs)Arbeitsplätze verschwinden, ist es sinnvoll und kann es gelingen zu weniger entfremdeter (Erwerbs)Arbeit zu kommen? Die Forderung nach sozialen Grundrechten ist richtig, aber wie müssen diese heute ausgestaltet sein und was zählt dazu? Wenn das bisherige „Normalarbeitsverhältnis“ zunehmend weniger normal ist, wie sollen die Solidarsysteme finanziert werden? Warum wird nicht einmal die Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen angesprochen? Wie soll in Zeiten von Crowdworking und anderen Formen von Erwerbsarbeit z.B. durch sog. Freelancer oder Solo-Selbständige Mitbestimmung und Organisierung Beschäftigter ermöglicht werden? Wie kann sichergestellt werden, dass die Work-Life-Balance gewahrt bleibt, weil der Arbeitgeber -soweit es ihn noch gibt- eben akzeptieren muss, dass es ein „Recht auf Unerreichbarkeit“ gibt? Irgendwie ist es peinlich, dass nicht DIE LINKE das Thema Arbeit 4.0 besetzt, sondern Bundesministerin Nahles mit einem Grünbuch.

Natürlich ist es auch sinnvoll, das gesamte herrschende Produktionsmodell zu überwinden. Aber geht das mit einem Einstiegsprojekt und was könnte das konkret sein? Ist sich DIE LINKE überhaupt einig, was das herrschende Produktionsmodell ist? Wie soll eine „demokratische Verfügung über die Wirtschaft“ im Zeitalter der Digitalisierung aussehen? Wie konkret soll denn die Umverteilung von Reichtum (jenseits der altbekannten Forderungen) stattfinden? Wie beispielsweise können große IT-Konzerne zu Steuerzahlungen verpflichtet werden? Wenn über eine „demokratische Kontrolle der Finanzmärkte und die Vergesellschaftung der Banken“ nachgedacht wird, wie soll das  aussehen für den Fall, Internetwährungen setzen sich durch? Wie will ich den Hochfrequenzhandel mit Wertpapieren demokratisch kontrollieren, wenn dieser durch Computer betrieben wird? Wie soll eine „zukunftsfähige Kreislaufwirtschaft“ mit mehr „regionaler und dezentrale Produktion“ entwickelt werden, wenn die Potentiale von 3-D-Druckern berücksichtigt werden? Wenn jetzt ständig Smart City-Pläne gemacht werden, wie kann dieser Aspekt da berücksichtigt werden? Und welche Rolle spielt dabei die sog. Share Economy? Wie soll denn das öffentliche Eigentum an IT-Konzernen, die -ein Fortschritt-  als Schlüsselindustrie bezeichnet werden, ausgestaltet sein?

Die Auseinandersetzung mit den „produktiven Netzwerken der digitalen Kommunikation und des Wissens“ bleiben an der Oberfläche. Es hat fast den Eindruck, als sollte das Thema genannt und mit vielen Schlagworten auch gleich wieder erschlagen werden. Da wird Brechts Radio-Theorie („Jeder Empfänger sei auch ein Sender“)  angeführt und behauptet, dies sei „schon ansatzweise Wirklichkeit„. Kein Halbsatz, keine Silbe zu den Bedrohungen die diesem Anspruch gegenüberstehen. Wir kennen die Algorithmen nicht, die dafür sorgen was wir zu sehen bekommen. Und das „Jeder Empfänger ist auch ein Sender“ setzt überhaupt erst einmal Zugang zur Infrastruktur und gleiche Ausgangsbedingungen zum Senden und Empfangen voraus. Das verlangt Netzneutralität, das verlangt Breitbandausbau, das verlangt die Anerkennung das ein Computer zum sozio-kulturellen Existenzminimum gehört und das verlangt offenes WLAN. Und das verlangt eben auch, dass in möglichst großem Umfang Datensouveränität besteht.  Wenn es heißt: „Die Kämpfe der Zukunft drehen sich hier um den freien und gleichen Zugang zu Kommunikation, Wissen und Kultur, um die Abschaffung der Überwachung durch Staaten und Konzerne, um die öffentliche Finanzierung freier Medien und Kulturschaffender.“ dann muss doch auch eine Idee folgen, wie zum Beispiel letzteres erreicht werden kann. Hier wird nicht mal ein Vorschlag in die Debatte geworfen, ein Vorschlag über den dann wenigstens diskutiert werden könnte.

Stattdessen kommt das Schlagwort vom Infrastruktur-Sozialismus. Der wird nicht definiert, sei aber eine Alternative zum Finanzmarktkapitalismus, der alle lebenswichtigen Bereiche zur Ware macht. Wieso nicht zum Kapitalismus an sich? Und was ist im übrigen der Unterschied zwischen Finanzmarktkapitalismus und Krisenkapitalismus, zu dem ja eine Exit-Strategie entwickelt werden soll. Und macht nicht eigentlich der Kapitalismus an sich alle lebenswichtigen Bereiche zur Ware? Wenn es so sein sollte, das zum Beispiel unsere Daten zu einem lebenswichtigen Bereich werden, wie machen wir rückgängig, das bereits heute unsere Daten Waren sind? Der Infrastruktur-Sozialismus wird in dem Papier zur Offensive fürs Öffentliche und dieses Öffentliche wird dann zu Commons. Die Debatte um Commons ist jedoch vielfältiger, als es im Papier erscheint. Eine Debatte um Vor- und Nachteile von Commons anzustoßen, das wäre sinnvoller, als den Begriff einfach mal so zu nutzen.

Weil sich das „C“ offensichtlich so gut macht, geht es im Papier auch um neue Commune (ja mit „C“). Ich dachte ja es wird sich an der Stelle mal der Frage angenommen, inwiefern es sinnvoll und richtig ist Dörfer und abgelegene Regionen zu erhalten. Soll dem Trend der Urbanisierung (Dörfer sterben zunehmend aus weil alle in die Stadt oder stadtnahe Gebiete ziehen) entgegengewirkt werden und wenn ja wie? Vielleicht wird die Frage ja implizit beantwortet, denn im Papier geht es gerade nicht um Dörfer, sondern um Kommunen (ja, jetzt wieder mit „K“) mit Nahverkehr und Stadtwerken.  Wenn nun beklagt wird, dass Kommunen „gemäß den Interessen von Konzernen und Vermögenden umgebaut“ werden oder „verfallen, weil Investitionen fehlen“ dann wäre doch eine Idee, ein Einstiegsprojekt zu entwickeln, was dem entgegewirkt. Wenn das zu weitgehend ist, kann ja überlegt werden, wie Investionen ermöglicht werden können, welche gesetzlichen Rahmenbedingungen verbessert werden müssen um dem Umbau entsprechend der Interessen von Konzernen und Vermögenden einen Riegel vorzuschieben und wie -siehe an anderer Stelle- diverse Smart City-Pläne einen solchen Trend befördern oder ihm entgegen wirken können. Das Papier selbst spricht von neuen Formen demokratischer Stadtplanung, verschweigt aber was das sein und wie das konkret aussehen könnte.

Der Punkt Europa wirkt dann eher auch nur noch bemüht und altbacken. Wenigstens eine Debatte um Vereinigte Staaten von Europa oder Europäischer Staatenbund hätte mit dem Papier angestoßen werden können.

Ob mit der Kurzfassung und damit Wiederauflage des Papiers zur Parteientwicklung (Verankern, Verbreiten, Verbinden) der kommenden Demokratie und dem Sozialismus 2.0 ein Schritt näher gekommen wird, wage ich zu bezweifeln. Nicht nur weil ich selbst es kritisiert habe und es Repliken hervorgerufen hat. Ich halte nichts vom Loblied auf das Organizing und einem neuen „Linkspopulismus„. Das beste Organizing nützt nichts, wenn hinter der Hülle (Organisation X) nichts ist wofür es sich lohnt in dieser Organisation mitzumachen. In einer Welt, die immer komplexer wird und in der die Sehnsucht nach immer einfacheren Antworten zunimmt kann die Antwort der LINKEN gerade nicht Vereinfachung sein, sondern Aufklärung. Und wenn im Duden wirklich Populismus als opportunistische Politik bezeichnet wird, spricht dies um so mehr für einen Verzicht auf Populismus. Eine Offensive des Zuhörens kann nicht glaubwürdig vertreten werden, wenn innerhalb einer Organisation nicht zugehört wird. Da hilft dann auch kein Internet TV mehr.

Die Enttäuschung über das Papier lässt sich aber auch noch an einem anderen Punkt festmachen. Die Frage wie mit dem politischen Gegner bzw. Kontrahenten umgegangen wird. Nach dem Papier darf dieser entmenschlicht werden. Denn nach dem Papier gebiert der Schlaf der Vernunft in Merkels Schatten Monster (kann dieses Bild bitte mal jemand als Karikatur aufmalen?).  „Wer unter Existenz- oder Abstiegsangst leidet oder beständig Ausgrenzungen erlebt, kann leichte Beute für rechte Kulturkämpfer, antisemitische Verschwörungstheoretiker und religiöse Fundamentalisten werden.“ heißt es in dann in dem Papier. Wer aber sind die Monster? Die Menschen, die unter Existenz- oder Abstiegsangst leiden? Oder diejenigen, die das ausnutzen? Was soll mit diesem Bild gesagt werden? Monster sind schließlich keine Menschen und nur für Menschen gilt Art. 1 GG und damit die Menschenwürde. Wer auch immer die Monster sind, alles mögliche kann mit ihnen gemacht werden, es gibt keine Grenzen.

Kommende Demokratie, Sozialismus 2.0, Transformation der politischen und ökonomischen Formen um eine Exit-Strategie zum Kapitalismus zu entwickeln – spannende Fragen und Themen. Vielleicht findet ja eine Debatte jenseits der linken Woche der Zukunft statt. Selbstorganisiert. Lohnend ist das allemal.

(update): Gerade habe ich diese interessante Drucksache gefunden. Nur für den Fall das zukünftig noch jemand ein Manifest schreiben will, vielleicht arbeitet er sich dann an diesen Fragen und Antworten ab. Da scheint mir wirklich Zukunft drin zu stecken.

 

3 Replies to “Am eigenen Anspruch verschluckt”

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