Der § 28b Infektionsschutzgesetz

Nachdem sich die Ministerpräsident:innen-Runde als nicht (mehr) zielführend für die Pandemiebekämpfung erwiesen hat und die Kanzlerin deutlich gemacht hatte, sie werde nicht weiter tatenlos bei der Pandemiebekämpfung zusehen, hat nun heute das Bundeskabinett die sog. Bundes-Notbremse beschlossen. Diese findet sich dann im § 28b Infektionsschutzgesetz.

Was das parlamentarische Verfahren und -sollte er einbezogen werden- der Bundesrat daran noch ändern, weiß ich heute noch nicht. Ich will jetzt hier auch gar nicht darüber schreiben, ob es grundsätzlich sinnvoll ist oder nicht, dass der Bund Regelungen trifft. Mir fällt auf, dass die Regelungen wieder erneut den Privatbereich massiv treffen, während eine soziale Flankierung (Stichwort Entschädigung nach § 56 IfSG) ebenso nicht statttfindet, wie Regelungen zum Homeoffice im Gesetzentwurf der Bundesregierung fehlen. Mir geht es um die ganz konkreten Regelungen im §28b IfSG aus juristischer Sicht.

Das Ziel der Bundesregelung -so die im Kabinet beschlossene Vorlage- ist der „staatlichen Schutzpflicht für Leben und Gesundheit zu entsprechen“ und „die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems als überragend wichtigem Gemeingut und damit die bestmögliche Krankenversorgung weiterhin sicherzustellen„. Mit der Bundesregelung soll der „RWert verlässlich unter 1“ gesenkt werden, um „eine Abschwächung des Infektionsgeschehens zu erreichen„.

Der §28b Abs. 1 IfSG knüpft nun die Maßnahmen allein an die 7-Tages-Inzidenz, wobei auf die Zahlen des Robert-Koch-Instituts abgestellt wird. Weder der Durchimpfungsgrad noch die Anzahl der belegten Intensivbetten wird berücksichtigt. Nach den Informationen des RKI besagt der RWert, „wie viele Menschen eine infizierte Person im Mittel ansteckt„.  Der RWert basiert auf einer Schätzung auf Grund eines statistischen Verfahrens, welches die „Entwicklung der Fallzahlen nach Erkrankungsbeginn darstellt und für die letzten Tage auch prognostiziert„. Das RKI beschreibt dies wie folgt: „Das 7-Tage-R vergleicht den 7-Tages-Mittelwert der Neuerkrankungen eines Tages mit dem 7-Tages-Mittelwert 4 Tage zuvor. Die Infektionen zu den Neuerkrankungen liegen 4 bis 6 Tage davor, das heißt also vor 8 bis 16 Tagen. Das 7-Tage-R bildet somit das Infektionsgeschehen vor etwa einer bis etwas mehr als zwei Wochen ab.“ Wenn das Ziel ist, den RWert verlässlich unter 1 zu senken, dann müsste eigentlich der Maßstab  für Maßnahmen der RWert sein und dabei die Durchimpfungsquote berücksichtigt werden. Wenn es darum geht,  die Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens sicherzustellen, muss die Anzahl der belegten Intensivbetten oder zumindest der stationären Krankenhausaufenthalte eine Rolle spielen.

Der § 28b Abs. 1 Nr. 1 IfSG besagt, dass private Zusammenkünften im öffentlichen und privaten Raum nur gestattet sind, wenn „an ihnen höchstens die Angehörigen eines Haushalts und eine weitere Person
einschließlich der zu ihrem Haushalt gehörenden Kinder bis zur Vollendung des 14.
Lebensjahres teilnehmen„. Hier fällt auf, dass gar nicht zwischen öffentlichem Raum und privatem Raum unterschieden wird. Nun haben aber Aersolforscher deutlich gemacht, dass es einen Unterschied zwischen privatem und öffentlichem Raum gibt, zumindest wenn unter öffentlichem Raum unter freiem Himmel meint. Es würde also Sinn machen, wenn im Freien andere Regeln gelten als Drinnen, zumindest wenn  der Mindestabstand eingehalten wird. Warum sollen denn zwei Familien nicht gemeinsam in einem Park sich zusammenfinden können, auch damit die Kinder andere Kinder treffen können? Da hilft dann auch die Formulierung nicht, dass „Zusammenkünfte, die ausschließlich zwischen den Angehörigen desselben Haushalts, ausschließlich zwischen Ehe- oder Lebenspartnerinnen und -partnern, oder ausschließlich in Wahrnehmung eines Sorge oder Umgangsrechts oder im Rahmen von Veranstaltungen bis 15 Personen bei Todesfällen stattfinden“ davon unberührt bleiben. Mal abgesehen davon, dass mir nicht ganz klar ist, wie Zusammenkünfte „ausschließlich“ zwischen Ehepartner:innen unberührt von der Regelung bleiben sollen, sie fallen ja eh unter diese, weil ausschließlich Ehepartner:innen nicht mehr als 2 Personen sein können (oder ich habe irgendwas wichtiges verpasst oder irgendwas nicht verstanden).

Der § 28b Abs. 1 Nr. 2 wiederum regelt die sog. Ausgangsperren. (Ich schreibe jetzt nicht extra noch mal auf, warum ich aus grundsätzlichen rechtlichen Erwägungen heraus Ausgangssperren ablehne.) Hier ist zunächst auffällig, das die Ausangssperren niedrigeren Hürden unterliegen als noch in § 28a Abs. 2 Nr. 2 IfSG. Danach waren Ausgangssperren

nur zulässig, soweit auch bei Berücksichtigung aller bisher getroffenen anderen Schutzmaßnahmen eine wirksame Eindämmung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) erheblich gefährdet wäre„.

Genau dieses  Kriterium fällt nun bei § 28b Abs. 1 Nr. 2 IfSG weg, denn dort reicht allein die Inzidenz-Überschreitung dafür, dass  der „Aufenthalt von Personen außerhalb einer Wohnung oder einer Unterkunft und dem jeweils dazugehörigen befriedeten Besitztum  (…) von 21 Uhr bis 5 Uhr des Folgetags untersagt“ wird. Der Bund verschärft also die Ausgangssperren-Regelung noch einmal, in dem er eine zur Verhältnismäßigkeit derselben ursprünglich vorgesehene Bedingung entfallen lässt. Dies kann auch nicht durch die Ausnahmen aufgehoben werden, zumal die unter dem Buchstaben f. gewählte Formulierung „von ähnlich gewichtigen und unabweisbaren Gründen“ derart unbestimmt ist, dass der/die Normenadressatin nicht erkennen kann, was damit gemeint ist. Orientiert an den Zielen bleibt auch unklar, wenn doch die Infektionsrisiken drinnen größe sind als draußen, warum es untersagt sein soll nach 21 Uhr eine Fahrt mit dem Rad zu machen oder joggen zu gehen. Im Übrigen fehlt eine Ausnahme für wohnungslose Menschen. Auch diesen ist es jetzt verboten in der Zeit zwischen 21 Uhr bis 5 Uhr unter Brücken zu schlafen. Wohin diese Menschen sollen, darüber scheint sich in der Bundesregierung Niemand Gedanken gemacht zu haben.

Hinsichtlich der Regelung in §28b Abs. 1 Nr. 4 zu Ladengeschäften und Märkten ist zwar erfreulich, dass Buchhandlungen unter bestimmten Bedingungen offen bleiben dürfen, es bleibt aber tatsächlich viel Unklarheit, was denn nun der Maßstab für die Aufnahme der einen Läden und die Nichtaufnahme der anderen Läden gewesen ist. Um es an einem Beispiel deutlich zu machen, ich kann mir gut vorstellen, warum Gartenmärkte offen bleiben dürfen, warum dies aber für Fahrradläden nicht gelten soll, verstehe ich nicht. Dies um so mehr, als zum Beispiel mein Fahrradladen auch gleichzeitig eine Fahrradwerkstatt ist. Wenn nun an meinem Rad etwas kaputt geht, was ich nicht selbst reparieren kann (also alles), dann muss ich warten bis der Lockdown vorbei ist? Das kann eigentlich nicht Sinn und Zweck der Regelung sein.

Der § 28b Abs. 2 wiederum legt für das „Abschalten“ der Maßnahmen eine 7-Tages-Inzidenz unter 100 an fünf aufeinanderfolgenden Werktagen fest, während das „Anschalten“ der Maßnahmen (§ 28a Abs. 1) an die Überschreitung von „drei aufeinander folgenden Tagen“ gekoppelt ist. Welchen Hintergrund es für diese unterschiedliche Behandlung es gibt, wird nicht erläutert.

Der § 28b Abs. 3 wiederum führt eine neue Inzidenz für Schulschließungen ein. Soweit an drei aufeinander folgenden Tagen die Sieben-Tage-Inzidenz den Schwellenwert von 200 überschreitet, so ist „ab dem übernächsten Tag für Schulen, Berufsschulen, Hochschulen, außerschulische Einrichtungen der Erwachsenenbildung und ähnliche Einrichtungen die Durchführung von Präsenzunterricht untersagt„. Ich will hier gar nicht die Debatte über Sinn und Unsinn von Schulschließungen aufmachen, sondern einzig und allein darauf hinweisen, dass die 200er Inzidenz nicht begründet wrid, sondern ohne nachvollziehbare Begründung einfach in das Gesetz geschrieben wurde.

Hinsichtlich der Klarstellung in § 28b Abs. 5, dass „Versammlungen im Sinne des Artikels 8 des Grundgesetzes sowie Zusammenkünfte, die der Religionsausübung im Sinne des Artikels 4 des Grundgesetzes dienen, (…)  nicht den Beschränkungen nach Absatz 1“ unterfallen, wäre zumindest wünschenswert, dass klargestellt wird, dass dies explizit auch die Aufstellung von Wahlbwerber:innen umfasst.

Die Regelung in § 28 Abs. 6 für die Rechtsverordnungen der Bundesregierung ist zumindest an einer Stelle ziemlich heftig.  Zwar wird auf der einen Seite die Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates für eine solche Rechtsverordnung festgeschrieben, allerdings müsste der Bundestag nach Übersendung aktiv die Zustimmung verweigern, defacto also Einspruch einlegen. Das ist aber nicht das eigentlich Schwierige an der Regelung. Die Schwierigkeit liegt vielmehr darin, dass es keine Befristung der Verordnung gibt. Damit fällt der Bund erneut hinter die Regelung des § 28a IfSG zurück, der in Abs. 5 für alle Rechtsverordnungen zu den auch in § 28b Abs. 1 genannten Maßnahmen festlegte, dass diese mit

„einer allgemeinen Begründung zu versehen und zeitlich zu befristen (sind). Die Geltungsdauer beträgt grundsätzlich vier Wochen; sie kann verlängert werden“

Also: Alle Rechtsverordnungen der Länder waren befristet, die Rechtsverordnungen der Bundesregierung werden das nicht sein. Das ist nicht nachvollziehbar. Denn damit wird auch die parlamentarische Kontrolle und Evaluation der Rechtsverordnung dem Bundestag wieder entzogen. Nur eine geseztliche Festschreibung einer Befristung, sichert, das die Rechtsverordnung regelmäßig evaluiert wird und der Bundestag regelmäßig mit ihr befasst ist. Dies ist um so mehr erforderlicch, als es explizit in der Norm heißt, dass solche Rechtsverordnungen „weitergehende Vorschriften und Maßnahmen des Infektionsschutzes“ enthalten kann.

Was nun aber völlig fehlt ist eine Änderung des § 56 IfSG. Danach erhält eine erwerbstätige Person eine Entschädigung in Geld, wenn z.B. „Einrichtungen zur Betreuung von Kindern, Schulen (…) von der zuständigen Behörde zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen oder übertragbaren Krankheiten (…) vorübergehend geschlossen werden oder deren Betreten, auch aufgrund einer Absonderung, untersagt wird, oder wenn von der zuständigen Behörde aus Gründen des Infektionsschutzes Schul- oder Betriebsferien angeordnet oder verlängert werden, die Präsenzpflicht in einer Schule aufgehoben oder der Zugang zum Kinderbetreuungsangebot eingeschränkt wird oder eine behördliche Empfehlung vorliegt, vom Besuch einer Einrichtung zur Betreuung von Kindern, einer Schule (…)  abzusehen„. Soweit so gut. Allerdings gibt es hier den Absatz 2,  der besagt, dass sich die Entschädigung nach dem Verdienstausfall bemisst. Auch das wäre gut. Aber dies gilt nur für die ersten sechs Wochen in Höhe des Verdienstausfalls, aber der siebenten Woche wird die Entschädigung in Höhe von 67 Prozent des Verdienstausfalls gewährt, für einen vollen Monat höchstens in Höhe von 2.016 Euro. Im Grundsatz. Nicht aber bei Corona. Hier geht es nämlich konkret um die Entschädigung im Fall einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite. Und da wird die Entschädigung dann für längstens zehn Wochen pro Jahr gewährt (für eine erwerbstätige Person, die ihr Kind allein beaufsichtigt, betreut oder pflegt, längstens für 20 Wochen pro Jahr) und ist sofort auf die 67% oder 2.016 Euro gedeckelt. Und das ist dann mE inakzeptabel. Hier muss es eine vollständige Entschädigung des Verdienstausfalls geben und zwar solange, wie die Kinder nicht in die Schulen oder Kitas dürfen. Weil natürlich so nebenbei eine vernünftige Betreuung von Kindern für erwerbstätig Eltern nicht möglich ist. Derzeit bleiben die Eltern wieder mal im Regen stehen. Wenn der Bund sich schon an das IfSG macht, dann sollte er bitte dringend diese Ungerechtigkeit beheben.

Was bleibt als Fazit: Es gibt eine deutliche Schieflage, weil erneut der Privatbereich betroffen ist, nicht aber der Arbeitsbereich. Eine Homeoffice-Pflicht (da wo es möglich ist) findet sich jedenfalls in der angestrebten Änderung nicht. Zudem werden an mehreren Stellen Verhältnismäßigkeitsregelungen herabgesetzt oder wird ganz auf sie verzichtet.

 

 

 

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