Die Sache mit der Immunität

Die Abgeordneten des Bundestages haben Immunität und Indemnität. So steht es im Grundgesetz.

Doch was meint Immunität und was meint Indemnität? Nach Art. 46 GG darf ein/e Abgeordnete zu keiner Zeit wegen einer Abstimmung oder Äußerung im Bundestag oder Ausschuss gerichtlich oder dienstlich oder außerhalb des Bundestages zur Verantwortung gezogen werden, es sei denn es handelt sich um verleumderische Beleidigungen. Das nennt sich Indemnität und steht in Abs. 1. Die Immunität steht in Abs. 2 und besagt, das wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung ein/e Abgeordnete/r nur mit Genehmigung des Bundestages zur Verantwortung gezogen oder verhaftet werden kann, es sei denn er/sie wird bei Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages festgenommen. Soweit so gut. Der Bundestag hat in seiner Geschäftsordnung die Anlage 6 beschlossen. Demnach hat (vgl. Ziffer 1) der Bundestag für die laufende Wahlperiode die Genehmigung zur Durchführung von Ermittlungsverfahren gegen Abgeordnete bereits erteilt, es sei denn es handelt sich um Beleidigungen politischen Charakters. Von dem Ermittlungsverfahren ist der Präsident des Bundestages und der/die betreffende Abgeordnete zu informieren, der Bundestag hat das Recht nach Art. 46 Abs. 4 GG die Aussetzung des Verfahrens zu verlangen. Nach Ziffer 2 gilt dieses Verfahren aber nicht für die Erhebung der öffentlichen Klage, landläufig auch Anklage genannt und auch nicht für freiheitsentziehende und freiheitsbeschränkende Maßnahmen im Ermittlungsverfahren. Nach Ziffer 6 kann der Immunitätsausschuss im Wege der Vorentscheidung das Verlangen des Bundestages auf Aussetzung eines Verfahrens herbeiführen. Nach Ziffer 7 trifft der Immunitätsausschuss eine Vorentscheidung. Wird nicht beim Präsidenten schriftlich Widerspruch eingelegt, gelten die Vorentscheidungen als Beschlüsse des Bundestages. Das heißt jetzt was? Im Prinzip wird auch gegen Abgeordnete, die eine Straftat begangen haben sollen, ermittelt. Der Bundestag kann aber nach der Richtlinie und Art. 46 Abs. 4 GG die Aussetzung der Ermittlungen verlangen. Ins Plenum kommt eine solche Geschichte nur, wenn einer Vorentscheidung des Immunitätsausschusses widersprochen wird. Dann gibt es eine Drucksache, in der es heißt: „Die Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen das Mitglied des Deutschen Bundestages …  wird erteilt.“ Über diese wird dann im Plenum des Bundestages abgestimmt.

Warum wurde die Immunität und Indemnität eingeführt? Die Indemnität soll „der Freiheit der parlamentarischen Verhandlungen (dienen), indem die Redefreiheit des Abgeordneten bis zur Grenze der Verleumdung garantiert wird. Der Abgeordnete soll Sicherheit dafür erhalten, dass er sich in der politischen Auseinandersetzung ohne Furcht vor Sanktionen äußern und dann auch frei votieren kann“ (Beck`scher Onlinekommentar, Art. 46, Rdn.1) Nicht geschützt sind Äußerungen außerhalb des Bundestages. Die Immunität dient der „Sicherung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Parlaments als Ganzes. Dieses Ziel findet seine Rechtfertigung in dem Prinzip der Repräsentation, wonach eine Mitwirkung aller Abgeordneten an der Arbeit des Bundestages sichergestellt (…) und damit eine Veränderung der vom Volk festgelegten Mehrheitsverhältnisse durch Behinderung der parlamentarischen Arbeit eines Abgeordneten ausgeschlossen sein muss.“ (Beck`scher Onlinekommentar, Art. 46, Rdn. 1). Das Bundesverfassungsgericht hat kürzlich deutlich gemacht, dass Art. 46 Abs. 2 GG „weder ein Grundrecht noch ein grundrechtsgleiches Recht“ des einzelnen Abgeordneten gewährleistet.

Die Immunität und Indemnität war historisch notwendig. In einer Zeit, wo die Gewaltenteilung nicht wirklich existierte und willkürlich Verhaftungen etc. stattfanden um andere Mehrheitsverhältnisse zu organisieren, war sie ein tatsächlich notwendiger Schutz. Aber wir Abgeordneten müssen uns auch fragen, ob sie heute noch sinnvoll und notwendig ist. Warumsoll die studierende Sitzblockiererin für eine Sitzblockade ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren bekommen und ggf. sogar verurteilt werden können, der/die Abgeordnete aber zunächst nicht? Warum soll der/die Drogenkonsument/in verfolgt werden können, der/die drogenkonsumierende Abgeordnete zunächst nicht? Natürlich will ich Drogenkonsum entkriminalisieren und halte Sitzblockaden für ein legitimes Mittel zivilgesellschaftlichen Widerstandes. Aber wenn ich eine Sitzblockade mache, dann nehme ich bewusst in Kauf dafür auch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden. Egal ob Abgeordnete oder nicht. Das ist doch der Sinn von Zivilcourage. Bewusst gegen Gesetze verstoßen und die Folgen dafür in Kauf nehmen. Eine Veränderung von Strafgesetzen muss ich im Wege gesellschaftlichen Drucks und im Parlament erwirken, die Entscheidung über die Aufhebung der Immunität ist nicht der richtige Ort dafür.

Ich glaube, bei der Debatte um Immunität muss sich gefragt werden, ob sie noch in dem Sinne schützt, wie sie ursprünglich gedacht war. Auf die Richtlinie habe ich ja schon verwiesen. Damit gibt es die Immunität de facto gar nicht mehr. Die Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens wird mit Mehrheit im Bundestag beschlossen. Die Mehrheit haben immer noch die Regierungsfraktionen. Bislang wurde nach meinem Kenntnisstand noch keine Durchführung eines Strafverfahrens auf Grund der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag verhindert, egal welche Parteizugehörigkeit jemand hatte. Aber das Missbrauchspotential ist gegeben und der Schutz der Opposition (einer der wesentlichen Gründe für die Einführung der Immunität) ist nur theoretisch. Immunitätsfragen können aus meiner Sicht immer nur nach formalen Kriterien entschieden werden und eignen sich gerade nicht für politische Entscheidungen über Gesetze. Der Grundsatz der Gewaltenteilung ist einer der wesentlichsten Grundsätze, an dem aus meiner Sicht unbedingt festzuhalten ist. Die Legislative (Parlament) kann die Judikative (Staatsanwaltschaften und Gerichte) nicht ersetzen. Und deshalb kann die Legislative in Immunitätsentscheidungen sich eben nicht an die Stelle der Judikative setzen und entscheiden ob die Staatsanwaltschaft ermitteln soll. Diese ist an Recht und Gesetz gebunden und wer die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft will, der kann ihr gerade keine politischen Vorschriften im Hinblick auf die Ermittlungstätigkeit machen. Wenn über die Frage von Ermittlungen nach politischen Motiven entschieden wird, dann verschwindet die Unterscheidung zwischen Legislative und Judikative und dann verschwindet auch die Machtbegrenzungsfunktion des Rechts. Es kann und es darf nicht einer Mehrheit überlassen werden zu entscheiden, bei welchen Straftatbeständen sie eine strafrechtliche Ermittlung gegenüber Abgeordneten für richtig hält und an welchen Stellen nicht. Mal angenommen es soll gegen eine/n Abgeordnete/n wegen Bestechung und Bestechlichkeit von Abgeordneten (§ 108e StGB) ermittelt werden, weil er oder sie „als Mitglied einer Volksvertretung des Bundes oder der Länder einen ungerechtfertigten Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür“ angenommen haben soll,dass er bei der Wahrnehmung seines Mandates eine Handlung im Auftrag oder auf Weisung“ vorgenommen haben soll. Niemand würde auf die Idee kommen im Rahmen einer Immunitätsentscheidung darüber zu debattieren, ob der Vorteil gerechtfertigt oder ungerechtfertigt sei und deshalb das Ermittlungsverfahren nicht durchgeführt werden soll. Alle wären sich doch einig darüber, dass die Staatsanwaltschaft ermitteln und dann entscheiden soll, ob sie Anklage erhebt oder nicht. Wenn das aber bei diesem Straftatbestand so ist, warum sollte es bei anderen nicht so sein? Und wer soll die Grenze ziehen bei welchen Straftatbeständen ermittelt werden darf und bei welchen nicht? Die Mehrheit? Nein, die Frage der Aufhebung der Immunität ist eine rein formale Frage und nicht eine, die sich für politische Debatten um Sinn und Zweck einzelner Straftatbestände eignet.

Ich will aber noch auf einen anderen Punkt hinweisen. Wir Abgeordneten müssen uns fragen, ob die Immunität nicht in ihr Gegenteil umschlägt? Wenn gegen jemand ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird, erfährt es normalerweise weder die Öffentlichkeit noch der/die Nachbarin. Wird das Ermittlungsverfahren eingestellt, bleibt das auch so. Bei Abgeordneten ist das logischerweise anders. Wer sich nur ordentlich durch Drucksachen des Bundestages wühlt, wird fündig sobald ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird. Mit einer Drucksache ist die Angelegenheit öffentlich. Wird das Ermittlungsverfahren dann ohne Anklage eingestellt erfährt das im Übrigen so gut wie niemand.

Ich finde, es ist an der Zeit vorurteilsfrei und ergebnisoffen darüber zu debattieren ob Immunität noch Sinn macht und wenn ja, wie sie (besser) ausgestaltet werden kann.

3 Replies to “Die Sache mit der Immunität”

  1. Zum letzten Absatz: die Hamburger Regelung sieht vor, dass die Immunität im Fall eines Ermittlungsverfahrens hergestellt werden müsste, auf Antrag. Das hat den Vorteil, dass Verfahren z.B. Trunkenheit im Verkehr nicht zwangsläufig öffentlich werden.

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