Immer wieder gibt es die Situation, dass Ministerinnen und Minister, Staatssekretärinnen und Staatssekretäre nach dem Ausscheiden aus dem Amt in einen vorher nicht ausgeübten Jab wechseln. Im Regelfall bekommen sie neue Jobs in der Wirtschaft und kehren nicht in ihren alten Job (falls sie einen hatten) zurück.
Das Geschrei ist danach ziemlich groß. Soweit es sich um eine „unmittelbare Anschlussverwendung“ handelt, ist das Geschrei auch mehr als berechtigt. Zu sehr erweckt ein solcher Wechsel den Eindruck, dass hier Interessenverquickung stattfindet. Zu sehr erweckt ein solcher Wechsel den Eindruck, dass zwischen getroffener Entscheidung und neuem Job ein Zusammenhang besteht. Wo eben noch die Interessen der Gesamtbevölkerung vertreten werden sollten, stehen auf einmal die Interessen des Unternehmens zu welchem gewechswelt wird im Mittelpunkt.
Nun ließe sich darüber streiten, ob die Fokusierung auf Wirtschaftsunternehmen angebracht ist oder ob es nicht generell eine Problem ist, wenn Ministerinnen und Minister bzw. Staatssekretärinnen und Staatssekretäre unmittelbar nach Beendigung ihres Amtes in einen vorher nicht ausgeübten Job wechseln. Es ließe sich auch darüber streiten, ob Karrenzzeiten für Abgeordnete angebracht wären. Es ließe sich auch darüber streiten was es eigentlich heißt, wenn in § 44a AbgG steht, „Die Ausübung des Mandats steht im Mittelpunkt der Tätigkeit eines Mitglieds des Bundestages.“ und wie sich dies mit hochdotierten Vorstandsposten zum Beispiel in Unternehmen vereinbaren lässt. Doch diesen Fragen will ich hier gar nicht nachgehen.
Wichtiger erscheint mir die Frage der gerade wieder diskutierten Karrenzzeiten zu sein. Karrenzzeit meint die Zeit, die zwischen dem Ausscheiden aus dem Amt und der Annahme eines neuen Jobs (vorwiegend in der Wirtschaft) vergehen soll. Transparency International forderte im Jahr 2006 eine Karrenzzeit von 3 Jahren. Woraus sich diese 3 Jahre ergeben sollen, das schreibt Transparency International aber nicht. Sicherlich kann eine Karrenzzeit von 3 Jahren gefordert werden, ganz logisch erscheint mir das allerdings nicht. Scheidet ein Minister oder eine Ministerin bzw. ein Staatssekretär oder eine Staatsekretärin aus dem Amt aus und hat er bzw. sie kein Bundestagsmandat, bezieht kein Ruhegehalt und kann auch nicht in seine vorherigen Job zurück, muss er bzw. sie irgendwie seinen bzw.ihren Lebensunterhalt verdienen. Natürlich muss er bzw. sie nicht unbedingt in eine Unternehmen wechseln. Aber besteht das Problem der Interessenverquickung nicht auch, wenn in einen beliebigen anderen Job gewechselt wird?
Für einen gewissen Zeitraum ist die Frage des Lebensunterhaltes für ausscheidende Minister oder Ministerinnen bzw. Staatssekretäre oder Staatssekretärinnen geregelt. Es gibt nämlich für die Betroffenen Übergangsgeld. Nach § 14 Abs. 2 BMinG richtet sich dieses nach der Anzahl der Monate im Amt. Es wird mindestens sechs Monate gewährt und maximal zwei Jahre.Genau aus diesem Grund ist eine Empörung über eine „unmittelbare Anschlussverwendung“ nach dem Ausscheiden aus dem Amt in einem vorher nicht innegehabten Beruf absolut berechtigt. Wer der Bundesregierung mindestens vier Jahre angehört, hat nach § 15 Abs. 1 BMinG Anspruch auf Ruhegehalt. Diese Regelung gilt nach § 15 Abs. 2 BMinG auch für parlamentarische Staatssekretäre. Allerdings ruht der Anspruch auf Ruhegehalt nach § 15 Abs. 3 bis die für Beamte geltende Regelaltersgrenze erreicht ist oder -soweit es vorzeitig in Anspruch genommen werden soll- das 60. Lebensjahr vollendet ist. Mit anderen Worten, hat ein ausscheidender Minister oder eine ausscheidende Ministerin bzw. Staatssekretär oder Staatssekretärin diese Voraussetzungen nicht erfüllt, bekommt er bzw. sie das Ruhegehalt auch nicht.
Wenn nun Karrenzzeiten jenseits der Bezugsdauer von Übergangsgeld gefordert werden, gibt es aus meiner Sicht ein Problem. Nämlich das Problem, dass ausscheidenden Minister oder Ministerinnen bzw. Staatssekretärinnen oder Staatssekretäre, die noch kein Ruhegehalt bekommen und nicht in ihren vorherigen Job zurückkehren können nach dem Auslaufen ihres Übergangsgeldes verwehrt wird, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Eine solche Aussicht wiederum dürfte eher dazu führen, dass sich Betroffene an ihr Amt klammern, statt unabhängig und frei zu agieren. Aber eine solche Regelung dürfte auch im Hinblick auf Artikel 12 Grundgesetz Schwierigkeiten machen. Artikel 12 Abs. 1 Grundgesetz sieht vor, dass alle Deutschen (leider hat das Grundgesetz immer noch die Unterteilung in sog. Deutschen und Jedermanns Rechte) das Recht haben, Beruf und Arbeitsplatz frei zu wählen. Natürlich wird ein solches Recht nicht schrankenlos gewährt, es kann also durchaus Eingriffe in das Recht aus Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz geben. Ein solcher Eingriff muss aber verhältnismäßig sein. Nun ist wohl nicht zweifelfhaft, dass eine Regelung die nicht auf die Bezugsdauer des Übergangsgeldes abstellt, geeignet ist um das angestrebte Ziel (eine Interessenverquickung von Politik und Wirtschaft zu vermeiden) zu erreichen. Das eine solche Regelung erforderlich ist mag auch noch bejaht werden. Erhebliche Zweifel bestehen aber bei der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Denn eine Regelung die über die Zeit des Bezuges des Übergangsgeldes hinausgeht bedeutet ja für die Betroffenen im schlimmsten Fall ein Verbot einen Job anzunehmen und ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Diejenigen, die eine Karrenzzeit fordern, die über die Bezugsdauer des Übergangsgeldes hinaus geht, müssten mindestens erklären, wie sie das aufgeworfene Problem lösen wollen und warum sie eine Karrenzzeit für die Dauer des Bezuges von Übergangsgeld ablehnen. Alles was ich dazu bislang gehört habe, hat mich nicht überzeugt.
Ich finde es gut, sich Gedanken über das Thema der Karenzzeit zu machen. Ich kann der hier verlaufenden Argumentation allerdings nicht folgen. Zuerst einmal sollte klargestellt werden, dass sich die von verschiedenen Verbänden und Parteien angestrebte Karenzzeit auf einen beruflichen Wechsel in die freie Wirtschaft beschränkt. Keinem Politiker würde es verboten sein, in einer Behörde, in einem Verband, als Berater oder in einem ehemaligen Beruf tätig zu werden. Von Berufsverbot kann also keine Rede sein. Von Nöten, seinen Lebensunterhalt irgendwie bestreiten zu müssen, schon gar nicht. Ehem. Regierungsmitglieder sind gewiss keine Menschen, die unmittelbar Gefahr laufen, in Armut zu geraten.
Dieses Argument wird hier ja indirekt angesprochen und dazu ausgeführt „besteht das Problem der Interessenverquickung nicht auch, wenn in einen beliebigen anderen Job gewechselt wird?“
Im Prinzip schon. Nur ist es ein beträchtlicher Unterschied ob man in eine Behörde oder den Vorstand eines Konzerns der freien Wirtschaft wechselt. Internes Wissen erlangt dabei ganz andere Wirkung. Eine Karenzzeit auf Jobs in der freien Wirtschaft ist daher eine sehr wichtige Forderung, DIE LINKE sollte sich meiner Meinung nach eher dafür einsetzen, diese Karenzzeit – wie Lobbycontrol es fordert – auf 3 Jahre anzusetzen, anstatt sie grundsätzlich infrage zu stellen.
Oder dient die Karenzzeitkritik lediglich zur auf-teufel-komm-raus-Abgrenzung von den Grünen? Das wäre sehr schade.
@maximilian: es gibt niemanden, der in frage stellt, dass es einer karrenzzeitenregelung bedarf.
den punkt, dass es die interessenverquickung auch bei wechsel in ngo, gewerkschaften, verbände gibt mache ich zwar hier andeutungsweise auf, der wird wohl aber nicht gegenstand parlamentarischer initiativen. tatsächlich gibt es dieae verquickung von interessen aber auch dort und müsste, wenn wir voll korrekt sind gleich mitgeregelt werden.
was spricht denn für die 3 jahr von lobby control oder transparency und was gegen die maximal 2 jahre, wenn auf das ministergesetz abgestellt wird? und -um mal weiter zu diskutieren- natürlich ist es ein unterschied, ob ein minister in seinen vorher ausgeübten beruf zurückkehrt, einen job erhält auf den er sich ordentlich beworben hat oder wenn er zum beispiel als reinigungskraft angestellt wird. da braucht es keine karrenzzeit.
kurz und gut: für 3 jahre, 5 jahre bekommt mensch kurzfristig beifall, die lösung klingt einfach. mir ist sie zu unterkomplex.
Danke Halina für die Antwort – es ist gut wenn man sich mit der rechtlichen Situation auseinandersetzt, und Dein Vorschlag mit 2 Jahren Karenzzeit auf Basis des Ministergesetzes mag rechtlich sauberer und für den Betroffenen finanziell sicherer sein – einen linkspolitischen Impuls setzt man damit aber nicht. Wir sind konsequent gegen Korruption. Die Konzerne sind aber allgegenwärtig damit erfolgreich, an allen möglichen Gesetzesentwürfen und pol. Entscheidungen beratend so einzugreifen dass es zu ihrem eigenen Vorteil ist. Die brauchen nicht noch mehr Insiderwissen, wie man das am besten macht… insofern halte ich persönlich selbst eine Karenzzeit von 3 Jahren noch für sehr knapp.
PS: Zu den anderen Jobs: Es muss ja nicht gleich Putzkraft sein. Jeder Job, bei dem man nicht von einem Großunternehmen (gut) bezahlt wird, sollte unbedenklich sein. Auch, wenn sich z.B. Pofalla vom Interessenverband Kirchenmusik einen Job geben lässt, ist das relativ wurst. Korruptionsgefahr ist dort gegeben, wo schwergewichtige Konzerne ehem. Politiker in gut dotierte Posten einsetzen.
ich sehe mindestens zwei linkspolitische impulse: wir wollen eine gesetzliche regelung, andere wollen verhaltenskodexe. wir machen einen vorschlag, der rechtliche bedingungen berücksichtigt und damit annehmbar ist. natürlich kann man auch das grundgesetz ändern, ich glaube nur dass das an dieser stelle nicht sinnvoll ist.
und ich habe hier lediglich über karenzzeiten geredet. korruption generell – da hast du recht- gibt es auf mehr ebenen. dazu werden wir als fraktion sicherlich umfassender auch noch arbeiten.
da haben wir ein differenz. wenn es um die verquickung von interessen und politik geht, dann ist es auch ein problem, wenn ein sportminister unmittelbar danach präsident des sportbundes werden würde. es wäre ein problem, wenn ein sozialminister unmittelbar danach vorsitzender eines sozialverbandes oder ein gesundheitsminister unmittelbar danach chef einer privaten oder geseztlichen krankenkasse werden würde. auch hier wäre die gefahr, dass insiderwissen für verbandsinteressen instrumentalisiert wird oder nur auf grund der kenntnisse des ministers der job vergeben wird.
Zur ersten Antwort: Das stimmt natürlich, Karenzzeiten sind nur ein Mosaikstein im Kampf gegen Korruption. Eine echte Lösung wäre denke ich die grundlegend geänderte Unternehmensstrategie, die angestrebt/gefördert wird: Hätten wir gesetzl. Rahmen, die große Unternehmen in hohe gesellschaftl. Verantwortung stellen, würde es diesen fast unmöglich sein, korrupt zu handeln. Dann bräuchten wir auch keine Karenzzeiten. Doch dorthin zu gelangen, ist ein weiter Weg. Die Umstellung der Wirtschaftsstrategie bei der Bahn z.B. ließe sich, da öff. Eigentum, vielleicht noch mittelfristig bewerkstelligen, sofern der politische Wille dazu da ist. Bei großen Privatkonzernen müsste man dagegen erst einmal die Eigentumsfrage stellen… Ein fernes Ziel. Bis dahin sehe ich Karenzzeiten als ein gutes Mittel für Abmilderung von Fehlfunktionen des Systems. Gewiss könnte man auch prüfen, welchen zusätzlichen Schutz vor Korruption man dem laufenden Politbetrieb bieten könnte, auch aus Sicht der Politiker und Mitarbeiter, die Gesetzestexte erarbeiten.
Zur zweiten Antwort: Ja, da sind wir wohl in der Tat unterschiedlicher Auffassung. Gewiss könnte ein ex-Spitzenpolitiker auch einem Sozial- oder Sportverband gute Infos und Kontakte zu Einflussmöglichkeiten liefern. Ich sähe das aber nicht als relevantes Problem. Das würde die völlig übergewichtige bereits existierende Korruption kapitalträchtiger Wirtschaftsverbände ein bisschen ausgleichen. Hätte damit also sogar eher einen positiven Effekt, da auf die Weise Kräftegleichgewichte im Lobbyismus wiederhergestellt würden. Das Problem dabei: Kein Sozialverband wird einem Ex-Politiker ein solch gutes Gehalt anbieten wie die freien Wirtschaft. Es ist also klar, wohin der Ex-Politiker driftet, wenn er nicht gesetzlich davon abgehalten wird.
Hallo Halina,
ja, mich gibt’s noch 😉 und nachdem ich Deine Gedanken zur „Karren“-Zeit gelesen habe und gleich mehrfach statt Karenzzeit nur lauter Karren sehen konnte, frage ich mich, kann Halina keine Rechtschreibung (mehr) oder schreibst Du Karrenzeit, weil Karenz ein gar schwerer Karren sein kann 😉
Übrigens vermisse ich ein paar Bemerkungen zur vergangenen LL-Demo 2014 vvon Dir, Du hast doch sicher wieder gemeinsam mit der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED Diktatur, Frau Wollenberger und Kollegen, einigen Mitgliedern der Jungen Union etc. pp ein paar Nelken auf die fehlplazierte Schandklamotte abgeworfen? Wie stehst Du zu der Wollenbergerschen antikommunistischen Hetze ausgerechnet in der Gedenkstätte der Sozialisten? Siehe dazu meine Fotos Nr. 55 bis 59 unter http://www.carookee.de/forum/freies-politikforum/1/30299800#30299800
Von der Berechtigung der Schandklamotte und dem kontinuierlichen Mißbrauch durch Wollenberger & Co kannst Du mich zwar nicht (mehr) überzeugen aber Deine Gedankengänge würden sicher auch viele andere GenossInnen interessieren. Dir noch ein gesundes, erfolg- und arbeitsreiches 2014
sozialistische Grüße
Bernd Kudanek
nur sicherheitshalber: „schandklamotte“ teile ich ausdrücklich nicht. der rest spricht für sich
Halina: “ “schandklamotte” teile ich ausdrücklich nicht. der rest spricht für sich“
Eine kryptische Antwort ist keine Antwort, denn ich hatte nicht Deine Meinung zum Begriff Schandklamotte wissen wollen, die ist eh bekannt, sondern meine Frage lautete: Wie stehst Du zu der Wollenbergerschen antikommunistischen Hetze ausgerechnet in der Gedenkstätte der Sozialisten?
Und was ist mit der „Karrenzzeit“?
Eine Karenzzeit könnte verhindern, dass Volksvertreter, die aus einem Wahlamt ausscheiden, ihr im Amt erworbenes aktuelles politisches Insiderwissen unmittelbar in den Dienst eines Unternehmens oder einer Organisation stellen, um den aktuellen Informations- und Einflussvorteil zum eigenen Nutzen zu kapitalisieren. Eine unabhängige Kommission auf derselben politischen Ebene, wo das Wahlamt wahrgenommen wurde, könnte darüber entscheiden, welche berufliche oder ehrenamtliche Tätigkeit unmittelbar nach dem Ausscheiden aus dem Wahlamt angenommen werden darf und welche nicht. Wenn keine konfliktfreie Tätigkeit angestrebt wird, würde jede berufliche oder ehrenamtliche Tätigkeit für die Dauer der Karenzzeit ruhen und es bestünde Anspruch auf Übergangsgeld. Die Dauer der Karenzzeit könnte in Abhängigkeit vom politischen Gestaltungspotential des ehemaligen Wahlamts variabel sein, müsste allerdings so bemessen sein, dass sie ein Abklingen aktueller politischer Insiderkenntnisse auf das Niveau von sachgebietsüblichen Fachkenntnissen gewährleistet. Dass Karenzzeit und Bezugsdauer des Übergangsgeldes sich dann decken müssen, versteht sich von selbst.
Die Exminister sind alle doppelt und dreifach abgesichert (diverse Übergangsgehälter).
Da ist ein zeitlich befristetes Erwerbsverbot durchaus vertretbar.
Man muss sich eben vorher überlegen, was man tut.
Im übrigen tut es einem 16-Stunden-Überholspur-Workaholic sicher auch gut, einfach mal nix zu tun.
ein kommentar wurde nicht freigeschaltet, da er sich menschlich abwertend gegenüber einem kommentierer äußerte.
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