Eine Frage des Demokratieverständnisses

Eine Demokratie lebt vom Engagement der Einwohner*innen. Die einen organisieren sich in Vereinen, die anderen in Parteien. Die einen organisieren Kulturveranstaltungen, pflegen ihren Kleingarten oder singen im Chor, die anderen helfen in zivilgesellschaftlichen Organisationen dort, wo der Staat sich zurückgezogen hat.

Nicht jedes Engagement muss jede*r gut finden. Wenn es sich beispielsweise auf demokratieverachtende Ziele richtet, dann ist es auch Aufgabe von zivilem Ungehorsam, sich dem entgegenzustellen. (Und ziviler Ungehorsam fragt nicht nach Erlaubnis: Das Ziel von zivilem Ungehorsam ist explizit gegen Regeln zu verstoßen und die Konsequenzen zu tragen). Zum Beispiel immer und immer wieder Nazis.

Mittlerweile wird demokratisches Engagement verunglimpft. Schüler*innen sollen in ihrer Freizeit demonstrieren und der EU-Parlamentarier Caspary behauptet sogar, es gäbe ein Demogeld:

Auf den ersten Blick hat diese Denunziation sogar ein kleines Körnchen Wahrheit in sich. Tatsächlich sollte die demokratische Auseinandersetzung möglichst frei von Einflussnahme von Konzernen erfolgen. Eigentlich sollte in einer Demokratie das bessere Argument, vorgetragen im politischen Meinungsstreit, den Ausschlag geben. Und im Kern hat Herr Caspary ja recht, wenn er in einem weiteren Tweet untersetzt, es sei halt schwierig, wenn Organisationen durch fragwürdige Methoden wie finanzielle Förderung versuchen die Meinung zu beeinflussen.

Das Problem an den Aussagen von Herrn Caspary aber ist: Sie sind bestenfalls verlogen. Die Denunziation oder Unterstellung, amerikanische (!!!) Konzerne würden über die Zahlung von Demogeld Einfluss auf die politische Entscheidungsfindung nehmen, bedroht am Ende die Demokratie deutlich mehr, als wenn die Aussage tatsächlich wahr wäre. Warum? Es ist -bedauerlicherweise- gang und gäbe, dass Firmen und Organisationen auf demokratische Meinungsbildung Einfluss nehmen. Ganz legal und natürlich mit finanziellen Mitteln. Wer dies an der einen Stelle als selbstverständlich und legitim hinnimmt, weil es der eigenen Auffassung entspricht, aber an der anderen Stelle kritisiert, weil es nicht der eigenen Auffassung entspricht, der signalisiert: Spielregeln im politischen Geschäft gelten in Abhängigkeit von der eigenen Auffassung. Das aber macht Demokratie kaputt.

Wenn Herr Caspary es ernst meinen würde mit seinem Einwand, solllte er umgehend dafür sorgen, dass Spenden juristischer Personen (z.B. von Unternehmen) an Parteien untersagt werden. Er könnte sich dafür einsetzen, dass der sog. legislative Fußabdruck verankert wird, also eine Regelung, aus der ersichtlich ist, welche Unternehmen und/oder Anwaltskanzleien wie an Gesetzen mitgearbeitet haben. Er könnte sich auch dafür stark machen, dass dort wo es die Möglichkeit von Volksinitiativen, -begehren und -entscheiden gibt, eine Regelung zur Offenlegung der Finanzen normiert wird. Damit auch dort klar ist, wer welche Interessen vertritt.

Ich bin mir sicher, das alles wird Herr Caspary nicht tun. Denn im Kern findet er es schon ganz in Ordnung, wenn mit finanziellen Mitteln auch von Dritten auf die politische Entscheidungsfindung Einfluss genommen wird. Es sei denn, es geht gegen die eigene Position. Doppelstandards vom Feinsten.

 

 

One Reply to “Eine Frage des Demokratieverständnisses”

  1. Sehr geehrte Frau Wawzyniak,

    da Ihr Artikel es nicht erwähnt, möchte ich Sie auf folgenden Watchblog-Artikel aufmerksam machen:

    https://bildblog.de/108893/bezahlte-demonstranten-gegen-uploadfilter-bild-de-hakt-nicht-nach/

    Als geeignete Reaktion auf die Anschuldigung von Herrn Caspary empfinde ich einen Anruf in seinem Büro: http://www.europarl.europa.eu/meps/en/28219/DANIEL_CASPARY/home

    Bitte beachten Sie auch den Twitterfeed dort.

    Mit freundlichen Grüßen

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