Bedeutung der Entscheidung des BVerfG zu Wahlrechtsausschlüssen für ein Paritätsgesetz

Klare Ansage – so kann die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Wahlrechtsausschluss eingeordnet werden.

Worum geht es? Im deutschen Wahlrecht gibt es ganze Gruppen, die vom Wahlrecht ausgeschlossen sind. Diese Wahlrechtsausschlüsse sind in § 13 BWahlG aufgeführt, finden sich aber auch im Grundgesetz. Vom Wahlrecht komplett ausgeschlossen sind Menschen, die die deutsche Staatsbürgerschaft nicht besitzen, Menschen, die unter 18 Jahre alt sind, und Menschen, die unter § 13 BWahlG fallen. Das wiederum sind Menschen, die unter § 45 StGB fallen. Und das sind Menschen, die unter sog. Vollbetreuung stehen sowie Menschen, die sich aufgrund einer Anordnung nach dem StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus befinden. Ein Wort zur Vollbetreuung um Missverständnissen vorzubeugen. Es geht nicht um eine physische, d.h. körperliche Vollbetreuung. Es geht um Betreuung im Sinne der §§ 1896 ff. BGB, beim Wahlrechtsausschluss um Personen, für die in allen Angelegenheiten ein*e Betreuer*in bestellt worden ist.

Es gibt also eine Rechtslage, nach der Personen von einer der zentralsten demokratischen Errungenschaft komplett ausgeschlossen sind. Und zwar sowohl vom aktiven Wahlrecht, wie auch vom passiven Wahlrecht. Das Bundesverfassungsgericht hat nun die Wahlrechtsausschlüsse für die Menschen, die unter Vollbetreuung stehen und für die Menschen, die sich aufgrund einer Anordnung nach dem StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus befinden, für verfassungswidrig erklärt. Es sagt klipp und klar:

Das ist gut, m.E. aber nicht ausreichend. Das ist kein Vorwurf an das Bundesverfassungsgericht, denn es hatte über die anderen Wahlrechtsausschlüsse nicht zu entscheiden und eben auch nicht über das passive Wahlrecht. Das Bundesverfassungsgericht hat lediglich über das aktive Wahlrecht, also das Recht zu wählen  nicht aber über das passive Wahlrecht, also das Recht gewählt zu werden, entschieden. So heißt es in Leitsatz 3:

„Ein Ausschluss vom aktiven Wahlrecht kann verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein, wenn bei einer bestimmten Personengruppe davon auszugehen ist, dass die Möglichkeit der Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen nicht in hinreichendem Maße besteht.“

Ich habe mir die konkrete Entscheidung und die in ihr enthaltenen Ausführungen unter dem Gesichtspunkt angeschaut, ob sich daraus Argumente gegen ein Paritätsgesetz ableiten lassen. Das ist m.E. nicht der Fall. Im Gegenteil. Bei einem Paritätsgesetz geht es gerade nicht um einen Ausschluss vom Wahlrecht. Es geht um eine Beschränkung des Wahlrechts, also einen weniger intensiven Eingriff in die Wahlrechtsgrundsätze. In der Debatte um ein Paritätsgesetz wurde nun immer aus der Beschränkung des Wahlrechts und aus dieser Beschränkung folgend dem Eingriff in die Wahlrechtsgrundsätze, eine vermeintliche Verfassungswidrigkeit abgeleitet. Das ist falsch, wie sich indirekt aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergibt. Diese nennt nämlich -wiederholt- im Hinblick auf die Rechtfertigung von Eingriffen in die Wahlrechtsgrundsätze zentrale Punkte. So heißt es in Randnummer 41:

„Schränkt der Gesetzgeber bei der Wahrnehmung des ihm in Art. 38 Abs. 3 GG zugewiesenen Gestaltungsauftrags den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl ein, bedarf er hierfür Gründe, die durch die Verfassung legitimiert und von mindestens gleichem Gewicht sind wie der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl.“

Daraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl einschränken kann, er dafür aber von der Verfassung legitimierte Gründe von gleichem Gewicht wie die Allgemeinheit der Wahl braucht. In Randnummer 43 wiederholt das Bundesverfassungsgericht:

„Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl unterliegt keinem absoluten Differenzierungsverbot. Die Festlegung des Wahlalters in Art. 38 Abs. 2 GG rechtfertigt nicht den Gegenschluss, dass der Gesetzgeber in Wahrnehmung seiner Regelungsbefugnis gemäß Art. 38 Abs. 3 GG nicht weitere Bestimmungen über die Zulassung zur Wahl treffen dürfte. Allerdings folgt aus dem formalen Charakter des Grundsatzes der Allgemeinheit der Wahl, dass dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Wahlberechtigung nur ein eng bemessener Spielraum für Beschränkungen verbleibt“ .

Dieser enge Spielraum sind die bereits erwähnten, durch die Verfassung legitimierten Gründe mit einem Gewicht, das mindestens dem des Grundsatzes der Allgemeinheit der Wahl entspricht. Hier kommt dann der entscheidende juristische Streit beim Paritätsgesetz, den das Bundesverfassungsgericht wohl irgendwann entscheiden muss. Ist Art. 3 Abs. 2 S. 2 Grundgesetz von mindestens gleichem Gewicht wie der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl? Ich denke: Ja. Dazu habe ich an anderer Stelle schon argumentiert.

Wenn auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geschaut wird, lässt sich das m.E. auch weiterhin gut begründen. Das Bundesverfassungsgericht führt in Randnummer 44 aus, was aus seiner Sicht von der Verfassung legitimierte Gründe von mindestens gleichem Gewicht wie die Allgemeinheit der Wahl sind:

„Zu den Gründen, die geeignet sind, Einschränkungen der Allgemeinheit der Wahl und mithin Differenzierungen zwischen den Wahlberechtigten zu legitimieren, zählen insbesondere die mit demokratischen Wahlen verfolgten Ziele der Sicherung des Charakters der Wahl als eines Integrationsvorgangs bei der politischen Willensbildung des Volkes und der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretung.“

Es würde jetzt hier zu weit führen, im Detail darzulegen, zu welchen Absurditäten insbesondere die Argumentation mit der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretung führt und dass es für diese unterhalb der Verfassung ausreichende Regelungen gibt, die nicht zur Einschränkung der Allgemeinheit der Wahl führen. Wichtig an dieser Stelle ist: Es gibt keine explizite Verfassungsnorm zur – angeblich über die notwendige Einschränkungen der Allgemeinheit der Wahl – zu sichernden Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretung.  Es gibt aber mit Artikel 3 Abs. 2 S. 2 GG eine Verfassungsnorm, die einen epxliziten Handlungsauftrag formuliert.

Das Bundesverfassungsgericht stellt in Randnummer 46 darüber hinaus noch einmal klar, welchen Prüfungsmaßstab es selbst anlegt:

„Den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl mit kollidierenden Verfassungsbelangen zum Ausgleich zu bringen, ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers (…). Das Bundesverfassungsgericht prüft insoweit lediglich, ob die Grenzen des eng bemessenen Spielraums des Gesetzgebers überschritten sind, nicht aber, ob der Gesetzgeber zweckmäßige oder rechtspolitisch erwünschte Lösungen gefunden hat (…). Voraussetzung für eine Rechtfertigung von Einschränkungen der Allgemeinheit der Wahl ist, dass differenzierende Regelungen zur Verfolgung ihrer Zwecke geeignet und erforderlich sind (…). Ihr erlaubtes Ausmaß richtet sich auch danach, mit welcher Intensität in das Wahlrecht eingegriffen wird (…). Dabei hat sich der Gesetzgeber bei seinen Einschätzungen und Bewertungen nicht an abstrakt konstruierten Fallgestaltungen, sondern an der politischen Wirklichkeit zu orientieren (…). Bei der Prüfung, ob eine Beschränkung des Wahlrechts gerechtfertigt ist, ist ein strenger Maßstab anzulegen (…).“ 

Das liest sich wie eine Bedienungsanleitung für all jene, die eine Begründung für ein Paritätsgesetz schreiben, denn das Bundesverfassungsgericht spielt den Ball dem Gesetzgeber zu. Dieser muss darlegen, dass ein Paritätsgesetz geeignet und erforderlich ist, um den Handlungsauftrag des Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG zu erfüllen. Dabei müsste dann darauf hingewiesen werden, dass die „Intensität“ des Eingriffs in die Allgemeinheit der Wahl deutlich unter derjenigen der Wahlrechtsausschlüsse -die es für bestimmte Gruppen auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts noch gibt- liegt. Hinzu kommt, dass dass Bundesverfassungsgericht in  seiner Entscheidung den Gesetzgeber befugt, Typisierungen vorzunehmen (Randnummer 47 ff.), d.h.  Lebenssachverhalte im Hinblick auf wesentliche Gemeinsamkeiten normativ zusammenzufassen und dabei „Besonderheiten, die im Tatsächlichen durchaus bekannt oder absehbar sind“ zu vernachlässigen.

In der Debatte um eine Paritätsgesetz wird immer wieder eingewendet, im Wahlrecht sei ein Verweis auf Art. 3 Abs. 2 S.2 GG nicht möglich. Nun hat das Bundesverfassungsgericht sich in der jüngsten Entscheidung nicht mit Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG beschäftigt, wohl aber mit Art. 3 Abs. 3 GG. Hierzu meint es in Randnummer 52 f.:

„Daher sind der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl nach Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG und das Benachteiligungsverbot nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nebeneinander anwendbar. (…) Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG findet auch im Verfahren der Wahlprüfung Anwendung.“

Angesichts der Tatsache, dass Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG einen eigenständigen Regelungsgehalt gegenüber Art. 3 Abs. 3 GG aufweist, ist es für mich schwer vorstellbar, dass für Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG etwas anderes gelten sollte. Dies um so mehr, als das Bundesverfassungsgericht in Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG auch einen Förderauftrag sieht (Randnummer 56).

Der Gesetzgeber ist nun aufgefordert, eine Lösung für vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig eingestuften Lösungen zu finden. Mein Vorschlag wäre ja die ersatzlose Streichung der Normen.

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