Der Tenor der heute vom Bundesverfassungsgericht gefällten Entscheidung besagt, dass die „Ratifikation des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (Bundestagsdrucksache 17/9045, Seite 6 ff.) nur erfolgen darf, wenn zugleich völkerrechtlich sichergestellt wird, dass […] sämtliche Zahlungsverpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus diesem Vertrag der Höhe nach auf die in Anhang II des Vertrages genannte Summe in dem Sinne begrenzt, dass keine Vorschrift dieses Vertrages so ausgelegt werden kann, dass für die Bundesrepublik Deutschland ohne Zustimmung des deutschen Vertreters höhere Zahlungsverpflichtungen begründet werden und die Regelungen […] des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht der umfassenden Unterrichtung des Bundestages und des Bundesrates entgegenstehen.“
Zunächst einmal hat aus meiner Sicht das Bundesverfassungsgericht die Dinge um die es geht so gut zusammengefasst, wie es kaum ein Politiker/eine Politikerin bisher vermocht hat. Allerdings würde es den Beitrag hier sprengen, wenn ich alles zitieren würde. Also empfehle ich einfach mal die Randnummern 4- 75 zu lesen. Im Hinblick auf den ESM zitiere ich dann aber doch: „Durch den Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus gründen die Vertragsparteien (ESM-Mitglieder) den Europäischen Stabilitätsmechanismus als internationale Finanzinstitution (Art. 1 ESMV). Wenn dies zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebietes insgesamt und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar erscheint, soll der ESM einem ESM-Mitglied unter strengen, dem gewählten Finanzhilfeinstrument angemessenen Auflagen Stabilitätshilfe gewähren dürfen (Art. 12 ESMV); in Betracht kommen `vorsorgliche Finanzhilfen` in Form einer vorsorglichen bedingten Kreditlinie oder einer Kreditlinie mit erweiterten Bedingungen (Art. 14 ESMV), Finanzhilfen mittels Darlehen zum Zwecke der Rekapitalisierung von Finanzinstituten (Art. 15 ESMV) oder allgemein zugunsten eines ESM-Mitglieds (Art. 16 ESMV) sowie der Ankauf von Staatsanleihen eines ESM-Mitglieds am Primär- oder Sekundärmarkt (Art. 17, 18 ESMV). Für das Verfahren ist in Art. 13 ESMV vorgesehen, dass nach dem Eingang des Stabilitätshilfeersuchens von der Europäischen Kommission im Benehmen mit der Europäischen Zentralbank das Bestehen einer Gefahr für die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebietes insgesamt oder seiner Mitgliedstaaten, die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung und der tatsächliche oder potenzielle Finanzierungsbedarf des betreffenden ESM-Mitglieds bewertet werden. Auf der Grundlage des Ersuchens und der Bewertung beschließt der Gouverneursrat (vgl. Art. 5 ESMV) sodann, ob dem betroffenen ESM-Mitglied eine Stabilitätshilfe zu gewähren ist. Fällt die Entscheidung positiv aus, so handelt die Europäische Kommission – im Benehmen mit der Europäischen Zentralbank und nach Möglichkeit zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds – mit dem betreffenden ESM-Mitglied ein Memorandum of Understanding (MoU) aus, in dem die mit der Finanzhilfe verbundenen Auflagen im Einzelnen ausgeführt werden. Die Europäische Kommission unterzeichnet das Memorandum of Understanding im Namen des Europäischen Stabilitätsmechanismus, vorbehaltlich der Zustimmung des Gouverneursrates. Die Europäische Kommission wird – im Benehmen mit der Europäischen Zentralbank und nach Möglichkeit zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds – damit betraut, die Einhaltung der mit der Finanzhilfe verbundenen wirtschaftspolitischen Auflagen zu überwachen.“ Im Gouverneursrat oder Direktorium entsprechen die Stimmrechte eines jeden ESM-Mitgliedes -ausgeübt von dessen Beauftragten oder dem Vertreter des Letztgenannten- der Zahl der Anteile, die dem betreffenden Mitglied gemäß Anhang II am genehmigten Stammkapital des ESM zugeteilt wurden. Für die Bundesrepublik sind das 1.900.248.000 Anteile und damit 27, 1464%. Der Gouverneursrat kann beschließen, das genehmigte Stammkapital zu verändern. Die Archive des ESM, sämtliche Unterlagen, die sich im Eigentum oder im Besitz des ESM befinden und die Geschäftsräume des ESM sind unverletzlich. Der Vorsitzende des Gouverneursrates, die stellvertretenden Mitglieder, die Mitglieder des Direktoriums, die stellvertretenden Mitglieder und der Geschäftsführende Direktor sowie die anderen Bediensteten des ESM genießen Immunität von der Gerichtsbarkeit hinsichtlich ihrer in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen und Unverletzlichkeit hinsichtlich ihrer amtlichen Schriftstücke und Unterlagen. Ein ausdrückliches Austritts- oder Kündigungsrecht enthält der ESM-Vertrag nicht.
Jenseits der Frage der finanziellen Konsequenzen des ESM-Vertrages, zieht es mir allein aus demokratietheoretischen Gründen die Schuhe aus. Die Handelnden und die Unterlagen, Geschäftsräume etc. sind jeglicher Kontrolle, sei es durch Gerichte oder Parlamentarier/innen entzogen. Das ist schon ziemlich absurd. Schade, dass das Bundesverfassungsgericht aus verfahrensrechtlichen Gründen zu diesem Punkt nur am Rande und im Zusammenhang mit der Haushaltsautonomie etwas sagt.
Wer die Entscheidung nun nicht nur unter dem Blickwinkel des Tenors liest, sondern sich die Entscheidungsgründe genauer anschaut (ab Randnummer 189), der entdeckt dann viele interessante Details. Details die deutlich machen, dass die Beteiligung der LINKEN am Verfahren -unabhängig von dem Tenor „überwiegend unbegründet“- sinnvoll und richtig war. In der Entscheidung heißt es nämlich: „Es ist deshalb von Verfassungs wegen gefordert, entweder dynamische Vertragsvorschriften mit Blankettcharakter nicht zu vereinbaren oder, wenn sie noch in einer Weise ausgelegt werden können, die die Integrationsverantwortung wahrt, jedenfalls geeignete Sicherungen zur effektiven Wahrnehmung dieser Verantwortung zu treffen. Das Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag und die innerstaatliche Begleitgesetzgebung müssen demnach so beschaffen sein, dass die europäische Integration weiter nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung erfolgt, […]. Art. 38 Abs. 1 GG wird namentlich verletzt, wenn sich der Deutsche Bundestag seiner parlamentarischen Haushaltsverantwortung dadurch entäußert, dass er oder zukünftige Bundestage das Budgetrecht nicht mehr in eigener Verantwortung ausüben können (…). Die Entscheidung über Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Hand ist grundlegender Teil der demokratischen Selbstgestaltungsfähigkeit im Verfassungsstaat (…). Der Deutsche Bundestag muss deshalb dem Volk gegenüber verantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entscheiden. Insofern stellt das Budgetrecht ein zentrales Element der demokratischen Willensbildung dar. […] Für die Einhaltung der Grundsätze der Demokratie kommt es vielmehr entscheidend darauf an, dass der Deutsche Bundestag der Ort bleibt, an dem eigenverantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entschieden wird, auch im Hinblick auf internationale und europäische Verbindlichkeiten. […] Aus der demokratischen Verankerung der Haushaltsautonomie folgt jedoch, dass der Bundestag einem intergouvernemental oder supranational vereinbarten, nicht an strikte Vorgaben gebundenen und in seinen Auswirkungen nicht begrenzten Bürgschafts- oder Leistungsautomatismus nicht zustimmen darf, der – einmal in Gang gesetzt – seiner Kontrolle und Einwirkung entzogen ist. […] Jede ausgabenwirksame solidarische Hilfsmaßnahme des Bundes größeren Umfangs im internationalen oder unionalen Bereich muss vom Bundestag im Einzelnen bewilligt werden. Soweit überstaatliche Vereinbarungen getroffen werden, die aufgrund ihrer Größenordnungen für das Budgetrecht von struktureller Bedeutung sein können, etwa durch Übernahme von Bürgschaften, deren Einlösung die Haushaltsautonomie gefährden kann, oder durch Beteiligung an entsprechenden Finanzsicherungssystemen, bedarf nicht nur jede einzelne Disposition der Zustimmung des Bundestages; es muss darüber hinaus gesichert sein, dass weiterhin hinreichender parlamentarischer Einfluss auf die Art und Weise des Umgangs mit den zur Verfügung gestellten Mitteln besteht.“
Ich will mich aber noch ein wenig mit der Demokratiefrage in Form der Informationsrechte und den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichtes zu dieser Frage aufhalten. Das Bundesverfassungsgericht sagt, dass aufgrund bestimmter Auslegungen der Regelungen über die Unverletzlichkeit der Unterlagen und die berufliche Schweigepflicht die haushaltspolitische Gesamtverantwortung verletzt sein könnte. Der ESM-Vertrag wird mit Blick auf „die für die Wahrung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Bundestages notwendigen Informationsrechte nur bei verfassungskonformer Auslegung“ den Anforderungen gerecht. Allerdings so das Bundesverfassungsgericht bedarf es „angesichts denkbarer anderer Auslegungen […] jedoch auch hier der völkerrechtlichen Sicherstellung einer mit dem Grundgesetz vereinbaren Auslegung.“ Wieso das Bundesverfassungsgericht zu einer verfassungskonformen Auslegung kommt ist für mich jedoch nicht ganz nachvollziehbar. Das Bundesverfassungsgericht sagt selbst: „Nach ihrem Wortlaut gelten die in Art. 32 Abs. 5, Art. 34 und Art. 35 Abs. 1 ESMV niedergelegten Pflichten, Vorrechte und Befreiungen umfassend. Ausnahmen zugunsten der nationalen Parlamente sieht der Vertrag nicht vor. Eine spezielle Regelung zur Information über die Mittelverwendung und Rechnungslegung des Europäischen Stabilitätsmechanismus gegenüber nationalen Parlamenten und Rechnungshöfen findet sich lediglich in Art. 30 Abs. 5 ESMV. Dagegen werden die nationalen Parlamente in Art. 32 Abs. 5, Art. 34 und Art. 35 Abs. 1 ESMV nicht ausdrücklich erwähnt.“ Das eine umfassende Information dennoch nicht ausgeschlossen sei begründet das Bundesverfassungsgericht nun mit dem Sinn und Zweck genau der Artikel im ESMV, die die nationalen Parlamente gerade nicht erwähnen. Irgendwie ein Zirkelschluss. Denn wenn die Regelungen in den Artikeln 31, 34 und 35 ESMV angeblich nicht den Ausschluss der Informationen an die nationalen Parlamente bezwecken soll, hätten die nationalen Parlamente doch einfach erwähnt werden können. Es scheint mir so, als wurde hier auf Krampf nach einer Auslegung gesucht, die an diesem Punkt eine Verfassungsmäßigkeit herstellen sollte. Fast klingt es als sei das Bundesverfassungsgericht selbst erschreckt, wenn es im Anschluss an diese Auslegung heißt: „Freilich handelt es sich insoweit nur um eine mögliche, wenn auch nahe liegende Auslegung der Art. 32 Abs. 5, Art. 34 und Art. 35 Abs. 1 ESMV, die sich mit der Sichtweise des Europäischen Stabilitätsmechanismus und anderer Mitgliedstaaten keineswegs decken muss … .“ Und um den Schaden weiter zu minimieren wird dann angefügt: “ … so ist eine Ratifizierung des ESM-Vertrages nur zulässig, wenn die Bundesrepublik Deutschland eine Vertragsauslegung sicherstellt, die gewährleistet, dass Bundestag und Bundesrat bei ihren Entscheidungen die für ihre Willensbildung erforderlichen Informationen erhalten. Die Bundesrepublik Deutschland muss deutlich zum Ausdruck bringen, dass sie an den ESM-Vertrag insgesamt nicht gebunden sein kann, falls sich der von ihr geltend gemachte Vorbehalt als unwirksam erweisen sollte.“ Im Übrigen ergibt sich aus einem Nebensatz, dass diese Frage allein durch das Organstreitverfahren der LINKEN zur Behandlung beim Bundesverfassungsgericht führte.
Darüberhinaus hat das Bundesverfassungsgericht aber auch festgehalten: „In seinem Kern ist dieser parlamentarische Unterrichtungsanspruch deshalb auch in Art. 79 Abs. 3 GG verankert. Die ausreichende Information des Parlaments durch die Regierung ist daher notwendige Voraussetzung einer effektiven Vorbereitung seiner Entscheidungen und der Ausübung seiner Kontrollfunktion … .“ Diesen Satz finde ich deshalb besonders relevant, weil es immer wieder im Hinblick auf Auskunftsbegehren aus den Reihen des Parlaments völlig ungenügende Antworten seitens der Regierungen gibt. Insofern kann dieser Satz ruhig auswendig gelernt werden, vergeblich ist das sicherlich nicht. Er wird wohl bedauerlicherweise immer mal wieder zitiert werden müssen. Allerdings sieht das Bundesverfassungsgericht die Informationsrechte im Rahmen des ESM-Vertrages als gewahrt an. Das Bundesverfassungsgericht fordert lediglich: „Von Verfassungs wegen ist zumindest zu verlangen, dass der Bundesminister der Finanzen als Mitglied des Gouverneursrates und das deutsche Direktoriumsmitglied gegenüber dem Deutschen Bundestag rechenschaftspflichtig sind und diesem so eine effektive Wahrnehmung seiner Integrations- und Haushaltsverantwortung ermöglicht wird.“
Aus verfahrensrechtlicher Sicht ist bemerkenswert und relevant, dass das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, dass die „Rüge, der Deutsche Bundestag werde in seinem Recht verletzt, die haushaltspolitische Gesamtverantwortung wahrzunehmen, […] auch von einer Fraktion des Deutschen Bundestages in einem Organstreitverfahren erhoben werden [kann].“
Interessant wird auf jeden Fall aus demokratietheoretischer Sicht die Hauptsacheentscheidun. Denn, so heißt es in der Entscheidung, „Unter welchen Voraussetzungen ein Beschwerdeführer die Zuständigkeitsverteilung zwischen Plenum, Haushaltsausschuss und anderen Untergremien des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung seiner Beteiligungsrechte in Angelegenheiten der Europäischen Union (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Februar 2012 – 2 BvE 8/11 -, NVwZ 2012, S. 495 <498> m.w.N.) als Verletzung des durch Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Kerns des Wahlrechts rügen kann, hat das Bundesverfassungsgericht noch nicht entschieden. Die Klärung dieser Frage ist ebenso dem Hauptsacheverfahren vorbehalten wie die Prüfung der in den Organklagen insoweit geltend gemachten, jedoch nicht in den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung einbezogenen Rüge einer Verletzung von Abgeordnetenrechten.“
Alles in allem hat die Entscheidung aber -wenn auch mehr versteckt als offensichtlich- dennoch zum Ausdruck gebracht, dass umfangreiche Informationsrechte gewährleistet sein müssen und genau dies sicherzustellen ist. Hier muss die Regierung nachbessern.