Nachdem ich hier über den Unterschied zwischen strafrechtlichem Deal und Einstellung geschrieben habe, sind im Nachgang einige Fragen aufgetreten, auf die ich hier eingehen will.
Schon als ich den benannten Artikel schrieb, stolperte ich über diese Broschüre des Statistischen Bundesamtes. Ich glaube die Broschüre eignet sich ganz gut um einige Dinge mit Fakten zu unterlegen und einige Sachen zu erklären. Damit die Debatte rational und nicht emotional geführt werden kann, damit nicht der Stammtisch und der Populismus -der sehr häufig in der Kriminalpolitik anzutreffen ist- regiert.
Fangen wir mal unter Ziffer 1.1. an. Hier wird für das Jahr 2009 das sog. Trichtermodell der Strafverfolgung dargestellt. Dieses Modell erklärt anschaulich das von der Anzahl der polizeilich registrierten Straftaten nicht alle aufgeklärt werden können. In den Fällen wo Tatverdächtige ermittelt werden können, dürfen nur diejenigen weiter verfolgt werden, die mindestens 14 Jahre alt sind. Denn nur diese Personen sind strafmündig. Im Jahr 2009 gab es nach der Statistik 2.091.000 strafmündige Tatverdächtig. Gegen 842.000 Personen wurde Anklage vor Gericht erhoben oder Strafbefehl erlassen, es handelt sich insoweit um Abgeurteilte. 656.000 Personen wurden im Jahr 2009 verurteilt. Am häufigsten wurden Geldstrafen verhängt oder Freiheitsstrafen zur Bewährung ausgesetzt. Freiheits- oder Jugendstrafe ohne Bewährung wurde im Jahr 2009 gegenüber 42.000 Personen ausgesprochen.
Natürlich ist jede Straftat eine Straftat zuviel. Ich will aber auch vor der Illusion warnen, es könnte absolute Sicherheit geben und es würde eine Gesellschaft geben können, in der keine Straftaten mehr begangen werden. Nicht einmal in -natürlich abzulehnenden- autoritären und totalitären Gesellschaften gibt es das. Dennoch ist zu anzumerken, dass die Zahl registrierten Straftaten zwischen 2004 und 2009 um 8% zurückgegangen ist.
Im Hinblick auf den Artikel zum Unterschied zwischen strafrechtlichem Deal und Einstellung wird es in der Broschüre unter 2.1. interessant. Dort geht es um die Anklage- und Einstellungsquote.
Die Anklagequote bezeichnet dabei die Straftaten, bei denen die Staatsanwaltschaft entweder Anklage erhebt oder die Sache per Strafbefehl beendet. Beim sog. Strafbefehlsverfahren handelt es sich um ein vereinfachtes Verfahren im Bereich der leichten Kriminalität. In solchen Verfahren erhält die betreffende Person einen schriftlichen Strafbefehl und wenn die Person diesen akzeptiert gibt es eine Verurteilung ohne mündliche Verhandlung. Ein Strafbefehlsverfahren kommt nur für Vergehen in Betracht, also Straftaten „die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe als einem Jahr oder die mit Geldstrafe bedroht sind“ (§ 12 Abs. 2 StGB). In diesem Verfahren ist eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr nur dann möglich, wenn der/die Beschuldigte eine/n Verteidiger/in hat und die Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird (§ 407 Abs 2 StPO). Kurz gesagt: Im Strafbefehlsverfahren landet mensch nicht im Knast.
Die Einstellungsquote wiederum bezieht sich auf die Straftaten, bei denen die Staatsanwaltschaft die Sache nicht an das Gericht weiterleitet, sondern einstellt. Das kann verschiedene Gründe haben. Entweder liegen rechtliche Gründe vor oder es wird im Rahmen von Opportunitätserwägungen auf ein gerichtliches Verfahren verzichtet. Im Strafrecht gilt grundsätzlich das Legalitätsprinzip. Nach diesem sind die Strafverfolgungsbehörden grundsätzlich verpflichtet, ein Ermittlungsverfahren zu eröffnen wenn sie von einer Straftat Kenntnis erlangt haben und soweit eine Wahrscheinlichkeit für eine Verurteilung spricht auch Anklage zu erheben. Eine Ausnahme davon sind die sog. Antragsdelikte. Antragsdelikte sind Straftaten die grundsätzlich nur verfolgt werden, wenn der/die Verletzte (Opfer) einen diesbezüglichen Antrag stellt. Hier gibt es noch den Unterfall der sog. Mischdelikte. Dies meint, dass eine Ermittlung auch ohne Strafantrag zulässig ist, wenn ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung gesehen wird. Zu den Antragsdelikten gehört zum Beispiel die Beleidigung. Das Opportunitätsprinzip nun erlaubt eine Einstellung des Verfahrens, vor allem wenn die Schuld als gering anzusehen ist und die Erteilung von Auflagen und Weisungen als ausreichend für die Strafverfolgung anzusehen ist. Das Opportunitätsprinzip -das ergibt sich aus den §§ 153 und 153a StPO- kann aber nur bei Vergehen angewendet werden. Eine solche Einstellung kann aber nicht durch die Polizei vorgenommen werden.
In der Realität wird deutlich häufiger eingestellt als angeklagt. Das ergibt sich in Bezug auf das Jahr 2009 aus der Anklagequote. Diese betrug 27,2%, während die Einstellungsquote 62,1% betrug. Allerdings besagt die Statistik auch, dass die Einstellung aus Opportunitätsgründen lediglich 25% ausmachte, in 32% war die Tat nicht nachweisbar.
Unter 2.2. der Statistik ist dann etwas über die Verurteiltenquote zu erfahren. Die Verurteiltenquote gibt an, in welchen Fällen nach einer Anklage bzw. einem Strafbefehlsverfahren auch eine Verurteilung stattgefunden hat. Im Jahr 2009 wurde in 17% der Fälle einer Anklageerhebung das Verfahren eingestellt. In 3% der Fälle fand ein Freispruch statt.
Aus dem Statistischen Jahrbuch 2013 ergibt sich im Hinblick auf Einstellungen durch die Staatsanwaltschaft im Jahr 2011, dass diese in 31% der Fälle aus Opportunitätsgründen stattfand und in 32% der Fälle wegen mangelnden Tatverdachtes und/oder Schuldunfähigkeit (S. 300). Von 2.027.000 strafmündigen Tatverdächtigen im Jahr 2011 gab es 807.000 Abgeurteilte und 636.000 Verurteilte (Grafik S. 304). In Bezug auf die Tatverdächtigen gibt es mithin knapp 40% Abgeurteilte und etwas mehr als 31% Verurteilte. In Bezug auf die Abgeurteilten gibt es knapp 79% Verurteilte.
Das ganze Verfahren kann an einem Beispiel durchgespielt werden. Nehmen wir mal an, ich sage zu einer anderen Person „Du dumme Sau„. Das wird von der betreffenden Person ebenso gehört wie von den zwei neben der Person befindlichen Menschen. Lassen die drei die Sache auf sich beruhen, passiert gar nichts. Erstatten die drei (oder einer von den dreien) Anzeige bei der Polizei, würde diese zunächst ermitteln. Für die Polizei gilt der Fall als aufgeklärt, soweit mindestens ein/e Tatverdächtige ermittelt werden konnte, in dem Fall vermutlich ich. Die Polizei übergibt in diesem Fall die Angelegenheit der Staatsanwaltschaft. Hier allerdings nur, wenn die Person, zu der ich „Du dumme Sau“ gesagt habe, auch einen Antrag auf Strafverfolgung stellt. Die Staatsanwaltschaft kann das Verfahren einstellen, einen Strafbefehl erlassen oder Anklage erheben. Denkbar wäre eine Einstellung gegen eine Geldauflage oder auch gegen Wiedergutmachung, z.B. in Form einer Entschuldigung. Die Staatsanwaltschaft kann auch Anklage erheben und im Rahmen der Hauptverhandlung könnte es dann immer noch zu einer Einstellung kommen.
An dieser Stelle will ich noch ein Wort zur Einstellung nach § 153a Abs. 1 Nr. 2 StPO gegen Zahlung einer Geldsumme sagen. Der § 153a StPO sagt nichts zur Höhe der Geldzahlung aus. Auch Ziffer 93 der RiStBV sagt nichts zur Höhe der Geldzahlung. Die Höhe der Geldzahlung soll sich aber neben der Höhe des Schadens auch an den wirtschaftlichen Verhältnissen orientieren.
ja warum sachlich und nicht emotional? leider ist dein beitrag eine sachliche aneinanderreihung von tatsächlichen fakten, allerdings recht eindimensional und ohne erkennbares herzblut.
wäre es so schwer gewesen sich mal ein wenig hineinzuversetzen in die denke otto normalbürgers der davon hört und liest, was eine kassiererin erleidet die ein pfandbon nicht korrekt abrechnet, vergisst oder meinetwegen einsteckt (ich weiß es ging nicht um strafrecht, interessiert otto normalverbraucher aber nicht) und einem millionär der jahzehnte steuern hinterzieht (z.b.)
du hast dich neulich erst dafür ausgesprochen bei ausländern anzuerkennen dass es straftaten gibt die nur diese ausüben können. hier ist es doch ähnlich. ein kleiner straftäter der z.b. immer mal wieder (meinetwegen aus dämlichkeit) mit körperverletzungen anderer auf sein trübsinniges legen reagiert ist relativ leicht abzuurteilen, ein weirtschaftskrimineller dagegen mit einer armada von staranwälten ist zumindest nach auffassung des 5. senates des bundesgerichtshofes kaum angemessen zu bestrafen.
die gründe dafür hat der 5. strafsenat des bundesgerichtshofs (BGH) schon vor jahren benannt: „Nach den Erfahrungen des Senats kommt es bei einer Vielzahl von großen Wirtschaftsverfahren dazu, dass eine adäquate Bestrafung allein deswegen nicht erfolgen kann, weil für die Aufklärung derart komplexer Sachverhalte keine ausreichenden justiziellen Ressourcen zur Verfügung stehen.“
und so kommt es immer wieder zu deals bei denen der nicht unberechtigte eindruck entsteht, hier wird mit verschiedem maß gemessen. der normale kriminelle kommt nicht in den vorzug wirtschaftskriminalität betreiben zu können. ein kleiner handwerksmeister, mit überschaubarer buchhaltung und keinem schachtelimperium von konzernen und briefkastenfirmen ist ebenso leicht abzuurteilen wie z.b. ein schläger.
das ist es doch was aufstößt.
neulich warst du dafür fussblallmannschaften im losverfahren zu bilden. warum wird straftätern bzw. angeklagten nicht IMMER ein pflichtverteidiger zugelost, ohne ansehen der person. warum dürfen reiche mit drei, vier, fünf oder mehr anwälten auflaufen und der justiz das leben schwerer machen als der handwerksmeister der froh sein kann wenn er sich einen, meist wenig vorbereiteten anwalt leisten kann (oder nicht). usw.
das rechtssystem dieses staates ist doch alles mögliche, nur nicht mehr gerecht!
tippfehler dürfen behalten werden
@kl
für mich hat es sich als hilfreich erwiesen, im bereich kriminalpolitik rational und nicht emotional zu agieren. andernfalls steigt die gefahr nicht aufklärerisch, sondern durchaus auch linkspopulistisch zu agieren.
bei der kassiererin ging es um eine verdachtskündigung bzw. kündigung wegen eines bagatelldeliktes. diese art kündigung wollen wir abschaffen. ist aber arbeitsrecht und nicht strafrecht. ich versuche lieber auf diesen unterschied hinzuweisen, als ihn zu verwischen.
der vergleich zwischen straftaten, die nur ausländer begehen können und „kleinen“ straftätern hinkt gewaltig. es ist ja nicht so, dass körperverletzungsdelikte nur sozial schwächer gestellte personen begehen. die sog. weiße-kragen-kriminalität wiederum ist ein thema, über das wir uns noch umfassend gedanken machen müssen. hier scheitert es ja häufig schon an mangelnden schwerpunktstaatsanwaltschaften. wie generell die überlastung der justiz ein brennendes thema ist. aber mit der föderalismusreform ist die verantwortung für einstellung und bezahlung komplett auf die länder übergegangen.
der strafrechtliche deal, darauf wies ich im anderen artikel hin, ist nur gegeben, wenn über das strafmaß verhandelt wird und setzt in der regel ein geständnis voraus. diesen deal wollen wor gesetzlich verbieten. eine einstellung (wie bei ecclestone) gerade nicht. aus berufserfahrung weiß ich aber, dass auch pflichtverteidiger/innen durchaus interesse an einstellungen haben können.
nach § 137 stpo darf eine/e angeklagte nicht mehr als eine/n verteidiger/in haben. ich bin mir jetzt nicht sicher, aber ich meine das gilt auch für pflichtverteidiger/innen. die freie anwaltswahl ist in meinen augen deshalb relevant, weil es ein gewisses vertrauensverhältnis geben sollte. ich hätte große probleme, wenn jemand der wegen blockade bei dresden nazifrei angeklagt wird auf einmal eine/n verteidiger/in aus der naziszene zugelost bekommen würde. im übrigen macht es unter dem gesichtspunkt der waffengleichheit zwischen anklage und verteidigung schon einen unterschied, ob ich wegen „du blöde sau“ angeklagt werde oder wegen mehrfacher unterschlagung und betruges.
ob ein verbot der abweichung vom rvg rechtlich durchzuhalten ist, wage ich zu bezweifeln. viel zu wenig wird mir über sinn und eher unsinn von freiheitsstrafen und vor allem knast gesprochen.
ob deal oder einstellung des verfahrens gegen auflagen, dass ergebnis scheint das selbe. die kleinen hängt man, die grossen lässt an laufen. (auch 100 millionen können ein laufen lassen bedeuten)
eben nicht. das versuchte ich ja -auf deine anregung hin- durch die zahlen deutlich zu machen. schau dir mal die einstellungsquoten an. nimm 2009: 2.091.000 strafmündige tatverdächtige und anklage bzw. strafbefehl gegen 842.000 personen. einstellungsquote 62,1% und davon 25% aus opportunitätsgründen. und in 17% der anklagen in 2009 wurde eingestellt.
eine strafrechtliche dealquote gab es 2009 nicht, ging auch gar nicht, weil erst 2009 regelungen zum deal getroffen wurden. dieser fand vorher ja ohne regelungen statt.
es ist ein entscheidender unterschied, ob ich ein verfahren einstelle oder ob ich nach anklageerhebung aus prozessökonomischen gründen einfach erkläre (ich vereinfache jetzt sehr stark): das ist mir zuviel arbeit mit der aufklärung des ganzen geschehens. du erklärst dich einfach für schuldig und legst ein geständnis ab, dann reduzieren wir die strafe von drei jahren knast auf ein jahr knast.
natürlich entsteht der eindruck, es könnte so sein, dass die kleinen verurteilt werden und die großen laufen gelassen werden. es berichtet ja auch niemand über die einstellungen bei kleineren straftaten. ebenso wie immer unterschlagen wird, dass zumindest die einstellung bei verbrechen gar nicht geht. genau diesem eindruck sollte dann aber entgegengewirkt werden, zum beispiel durch zahlen. sonst setzt sich etwas fest, was empirisch gerade nicht nachgewiesen ist.
tja die zahlen…
komisch, bei der „ausländerkriminalität“ fällt dir auf das die „zahlen“ nicht viel aussagekraft haben. les ich mich ein wenig rein, stell ich fest dass die zahlen meist kleine verkehrsdelikte betreffen. les ich über wirtschaftskriminalität, erfahre ich dass die mittel der justiz nicht ausreichen. eccleston widerpart bekam ein paar jahre wegen bestechlichkeit, der hatte allerdings auch keine 100 millionen anzubieten, nüch war. ich dachte auch irgendwo gelesen zu haben, dass einstellungen nur bei geringen vergehen und strafandrohungen von bis zu einem jahr in frage kommen. allerdings ist auch zu lesen, wenn man(n) (oder frau) denn will, dass sich die deutsche richterschaft fast geschlossen den gesetzesvorgaben entzieht und die regeln nach ihrem willen auslegen. kann man lesen, wenn man denn möchte. und natürlich trügt der eindruck mittnichten, dass viel geld auch vor gericht viel hilft!
@kl:
1) ich schrieb nicht von „zahlen“ sondern der pks (polizeiliche kriminalstatistik). ohne erklärung der zahlen der pks, wird es schief. das ist bei anklage- und verurteiltenquote anders, weil einfacher.
2) die verkehrsdelikte sind im regelfall nicht mitgerechnet
3) das justiz zu wenig materielle und finanzielle ressourcen hat ist unstrittig.
4) ecclestones widerpart ist strafrechtlich gesehen ein anderer fall, sonst wäre mittäterschaft angeklagt gewesen
5) das mit der der richterschaft die gesetze ignoriert interessiert mich, schicke mir mal bitte belege diesbezüglich.