Nur weil es nicht schlimmer wurde, ist es nicht gut – Der Ausgang ist offen

Über den LINKE-Parteitag ist schon viel geschrieben worden, aber noch nicht von mir ;-).

Jede Auswertung ist geprägt von den eigenen Erwartungen im Vorfeld. Deshalb müssen diese, bevor es an eine Auswertung geht, noch einmal rekapituliert werden.

Erwartung 1: Die Partei erkennt an, dass es einer programmatisch-strategisch-inhaltlichen Erneuerung bedarf und leitet einen Prozess ein, wie diese Erneuerung gelingen kann.

Erwartung 2: Insbesondere der Leitantrag zur Außenpolitik ist so schlecht, dass er einer grundlegenden Überarbeitung bedarf, um überhaupt wieder in den politischen Diskurs als ernsthafter Player einzusteigen.

Erwartung 3: Der Parteitag macht deutlich, dass die Genossen*innen des sozialkonservativen Konzepts (Arbeiterklasse first, alles andere second) inhaltlich deutlich in der Minderheit sind.

Lediglich die Erwartung 3 konnte erfüllt werden. Ob sich daraus praktisch etwas ergibt, kann jetzt noch gar nicht gesagt werden, sondern wird sich im nächsten halben Jahr zeigen.

Komplex I: Strategisch-inhaltlich-programmatische Erneuerung 

Fehlanzeige. Keine*r der Gewählten ist explizit -die Betonung liegt hier auf explizit-  mit diesem Anspruch angetreten. Der eine oder die andere hat tatsächlich etwas zu Fragen der Parteiorganisation gesagt, aber eben nicht explizit zur Frage der strategisch-inhaltlich-programmatischen Erneuerung.

Wenn aber die Analyse zutreffend ist, dass der Platz der LINKEN im Parteienspektrum und ihre Aufgabe nicht klar ist und es deshalb einer strategisch-inhaltlich-programmatischen Erneuerung bedarf, dann wäre das die zentral nötige Auseinandersetzung auf dem Parteitag gewesen und jede*r Kandidierende hätte seine Vorstellung von einer solchen Erneuerung darlegen müssen.

Stattdessen wimmelten die Redebeiträge insbesondere in der Generaldebatte von Allgemeinplätzen und der Beschwörung, dass „wir doch gebraucht werden“. Die Generaldebatte war eine intellektuelle Zumutung in Wiederholung alter Gewissheiten.

Wenn dies das Problembewusstsein der Partei ist, dann gibt es ein großes Problem. Bei genauem Hinhören war die „Aufbruch“-Botschaft lediglich die, dass wir schon auf dem richtigen Weg sind, nur die Genossen*innen des sozialkonservativen Konzepts hindern uns damit in der Gesellschaft durchzudringen. Dies ist eine Versimplifizierung der Problemlagen und gleichzeitig eine bequeme Entschuldigung für den Zustand der Partei.

Die Anträge P02 (KV Meißen, OV Werne) P03 (OV Prenzlauer Berg West) wollten einen Prozess der Überarbeitung des Grundsatzprogramms anstoßen. Beide Anträge gingen davon aus, dass eine inhaltliche Erneuerung Konsens in der Partei sei. Diese Anträge spielten weder in den Reden prominenter Vertreter*innen eine Rolle, noch in der Generaldebatte, noch bei Bewerbungen für den Parteivorstand. Die Anträge wurden am Ende nicht mal abgestimmt.

Es ist also völlig offen, wie der PV mit dem Anliegen umgehen wird. Im Hinblick auf die dringend notwendige inhaltlich-programmatisch-strategische Erneuerung der Partei gibt es mit dem Parteitag keinen Fortschritt. Im Gegenteil, die konsequente Verweigerung der Auseinandersetzung mit dieser Frage ist ein Rückschritt (und erleichtert im Übrigen das Festhalten an dem bequemen Weg, allein den Vertreter*innen des sozialkonservativen Konzepts die Schuld für die schlechte Lage in die Schuhe zu schieben). Was ist m.E. zu tun?

  • Neben einzelnen Themen muss der Platz der Partei im politischen Spektrum bestimmt werden. In der Bevölkerung werden die Grünen mit Ökologie assoziiert, die SPD mit sozialer Gerechtigkeit und die FDP mit Freiheitsrechten. Wo ist da der Platz der LINKEN?
  • Ich halte es nicht für zielführend, sich in Permanenz an SPD und Grünen abzuarbeiten, sondern es muss darum gehen konkrete Alternativen für gesellschaftliche Herausforderungen zu entwickeln. Dabei geht es um umsetzbare Alternativen, denn leere Versprechungen führen am Ende zu Politikverdossenheit und Enttäuschung. (Konkret: Die 100 Mrd. Euro Sondervermögen sind falsch. Aber wenn ich das richtig sehe, dann hat DIE LINKE diese in den letzten Wochen mehrfach ausgegeben).
  • Es braucht eine „neue soziale Idee, deren Zeit gekommen ist“. Eine Idee, die Ökologie mit sozialer Gerechtigkeit und Freiheitsrechten verbindet. Vielleicht wäre dies mit  dem Thema Resilienz im Sinne der Sicherstellung öffentlicher Daseinsvorsorge eine Idee. Denn ausreichend öffentliche Daseinsvorsorge kann  Ökologie mit sozialer Gerechtigkeit verbinden und Freiheitsrechte verteidigen (und ausbauen), was auch gut für die Demokratie ist.
  • Es braucht eine Verständigung, was eine Partei kann und soll, welche Rolle sie hat. Auch und gerade in Abgrenzung und/oder Ergänzung zu Bewegungen. Die Sprüche „Partei in Bewegung“ oder „wir stehen an der Seite der Bewegungen“ sind am Ende auch nur abstrakte Bekenntnisse, die im konkreten nicht funktionieren. Weil es eben unterschiedliche Bewegungen mit unterschiedlichen Ansätzen/Schwerpunkten gibt und diese immer radikaler sein müssen, als Parteien, die Dinge konkret so umsetzen müssen, so dass konkret erfahrbar ist, was sich ändert.

Komplex II: Außenpolitik 

Die Debatten waren weitgehend schwarz-weiß und ein ABER bei der Verurteilung des Angriffskriegs Russlands. Das heißt nicht, dass im Antrag zu Außenpolitik nicht sehr gute Dinge stehen. Ich verweise auf folgende Passagen:

„Wir verurteilen den verbrecherischen Angriffskrieg Russlands und die von Russland begangenen Kriegsverbrechen aufs Schärfste und setzen uns für eine Bestrafung der Verantwortlichen ein. (…). Seit Jahren betreibt Russland eine Politik, die darauf abzielt, den Einflussbereich der alten Sowjetunion wiederherzustellen. Es wird versucht, autoritäre Vasallen-Regime einzurichten oder – wo das nicht gelingt –, die Staaten zu destabilisieren, aufzulösen oder Territorien mit militärischer Gewalt und Krieg zu okkupieren. Kasachstan, Transnistrien, Georgien und die Niederschlagung der belarussischen Aufstände legen über diese Politik deutlich Zeugnis ab. Russland ist eines der geostrategischen Machtzentren im von fossilen Brennstoffen getriebenen Kapitalismus, in dem unterschiedliche Akteure um Zugang zu Ressourcen und Einflusssphären kämpfen, auch mit dem Mittel des Krieges. Es wird deutlich, dass Russland eine imperialistische Politik verfolgt. Legitimiert wird diese Politik gegenüber der eigenen Bevölkerung durch eine nationalistische, militaristische und autokratische Großmachtideologie. (…) Wir erkennen das Recht des ukrainischen Volkes auf Selbstverteidigung gegen den russischen Angriff entsprechend der UN-Charta Art. 51 an. Zur Beendigung des russischen Krieges gegen die Ukraine fordern wir den vollständigen Rückzug russischer Truppen aus der Ukraine und einen entsprechenden Waffenstillstand, der den Weg zu ernsthaften Friedensverhandlungen freimacht. Ein stabiler Friede ist nur zu erreichen, wenn die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine wiederhergestellt wird, die legitimen Sicherheitsinteressen der Russischen Föderation und Rechte nationaler Minderheiten angemessen berücksichtigt werden. Dabei ist klar:  Es braucht mehr als Appelle. Der Angreifer Russland muss an den Verhandlungstisch gezwungen werden.“

Der PV war in einem Abwehrmodus um den schlechten Antrag nicht noch schlechter zu machen. Das ist aber keine Erneuerung. Richtig ist, dass der Antrag der ISL und vieler anderer Genossen*innen den Antrag leicht verbessern konnte, am Ende aber vor allem ein (notwendiges) Instrument zur Verteidigung des schlechten Antrags gegen verschlechternde Angriffe war. Politik mit gestaltendem Anspruch sieht anders aus.

Komplex III: Innerparteiliche Tektonik 

Es muss davon ausgegangen werden, dass es inhaltlich-strategisch-programmatisch zu einem „Weiter so“ kommt. Es gab auf dem Parteitag eine große Übereinstimmung, dass das sozialkonservative Konzept nicht zukunftsweisend ist, aber es gibt eben keine Übereinstimmung in der Frage, was stattdessen an Veränderung nötig ist – und diese Einigung wird auch nicht gesucht.

Offensichtlich streitet sich die Partei derzeit, ob es drei (Macht)Blöcke, vier (Macht)Blöcke oder keine (Macht)Blöcke gibt. Dies ist eine Scheindebatte, die zwar das Leben in Zuordnungen erleichtert, aber mE am Kern des Problems vorbei geht.

Entscheidender ist nämlich, dass es kein strategisches Zentrum gibt, dass sich einig ist was die strategisch-programmatisch-inhaltliche Zielrichtung sein sollte. Die Konsequenz daraus ist dann, dass „In großer Sorge“ um Mitgliederverluste inhaltlich Kompromisse gemacht werden, um alle mitzunehmen und die fast tägliche Torpedierung beschlossener Positionen via Medien hingenommen wird. Es geht aber nicht um Pillepalle, sondern um die Frage wofür die Partei strategisch-inhaltlich-programmatisch steht. Die Klärung dieser Frage ist existenziell.

Mitglieder/Delegierte sind weit vielfältiger als irgendwelche (Macht)Blöcke. Es gibt je nach politischer Opportunität Bündnisse zwischen Menschen, die sich an konkreten Sach- und Machtfragen bilden. Was fehlt ist ein strategisches Zentrum, dass inhaltlich-programmatisch-strategische Ansprüche formuliert und versucht diese ohne „Hauptsache wir verlieren durch Entscheidungen keine Mitglieder- Opportunismus“ mehrheitsfähig zu machen.

Komplex IV: MeToo

Das Arbeitspräsidium war mit der Situation völlig überfordert und hat am Ende zur Zuspitzung der Lage beigetragen.

Es hat sich gezeigt, der Partei insgesamt fehlt es an der nötigen Sensibilität im Umgang mit Betroffenen. Besonders deutlich wurde dies bei und nach den persönlichen Erklärungen Betroffener. Ob es gefällt oder nicht gefällt, der Mindestanstand gebietet, diese unkommentiert stehen zu lassen.

Es gibt kein Grundverständnis dafür, dass Betroffenenperspektive einzunehmen heißt, nicht zu bewerten, ob es eine sexualisierte Übergriffigkeit gegeben hat oder nicht. Es ist hier einfach die Sicht der Betroffenen zu akzeptieren. Schluss. Aus. Ende.

Für Betroffene muss es einen Raum bedingungslosen Vertrauens geben. Und es muss vor allem einen kulturellen Wandel hin zu einer Partei geben, in der sexualisierte Übergriffigkeit derart geächtet ist, dass es keiner Satzungsregelungen zur Sanktionierung bedarf. Dafür wäre ein verbindlicher Handlungsleitfaden für alle Gliederungen sinnvoll, der als wesentliche Bestandteil einen Raum bedingungslosen Vertrauens für Betroffene durch eine Beratungsstruktur/Expert*innen ebenso anbietet, wie eine externe Aufklärungsstruktur die in konkreten Fällen konkrete Vorschläge zum konkreten Umgang anbietet.

Ein solcher kultureller Wandel ist von formalen Sanktionierungsprozessen zu trennen. Formelle Sanktionierungsprozesse in Form von Satzungsänderungen sind der Versuch mit autoritär-administrativen Mitteln auf autoritäre Verhaltensmuster zu reagieren. Ohne Veränderung der politischen Kultur muss jedoch jedes administrative Mittel scheitern. Für einen formellen Sanktionierungsprozess muss sexualisierte Übergriffigkeit definiert werden. Im Hinblick auf eventuell erneut geplante Satzungsänderungen muss folgendes berücksichtigt werden:

  • Wenn Betroffene auf satzungsrechtliche Sanktionen des/der Übergriffigen verzichten wollen, ist dies zu respektieren.
  • Im Raum geschützten Vertrauens ist allein entscheidend, ob jemand ein Verhalten als sexualisiert übergriffig empfindet.
  • Für satzungsrechtliche Sanktionen ist erforderlich, dass klar definiert wird was sanktionswürdiges Verhalten ist und dass der/die Handelnde ein Anhörungsrecht hat.

One Reply to “Nur weil es nicht schlimmer wurde, ist es nicht gut – Der Ausgang ist offen”

  1. Nachdem ich an dem PT-Wochenende einmal Zeit hatte der Live-Übertragung bei Phoenix zu folgen habe ich mir das auch angetan. Ich war schockiert und bin es bis jetzt. Die hier von Dir aufgeschriebene Analyse trifft es ziemlich gut. Umfassend und auf das wesentliche beschränkt. Und auf den Punkt! Bleibt zu hoffen, dass dies auch gehört wird und dann gehandelt. Wenn nicht, sehe ich ziemlich schwarz für Die Linke.

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