Toxische Diskussionskultur

… killt Demokratie.

Gesegnet sind jene, die in diesen Zeiten eine feste Meinung haben. Und diese öffentlich vertreten (können). Ich bewundere das irgendwie und gleichzeitig macht es mich skeptisch.

Ich schaffe das nämlich nicht mehr. Meine Hemmschwelle sich zum Thema X oder Y zu äußern wird immer größer. Und das hat ganz viel mit der toxischen Diskussionskultur zu tun. Und nein, ich will nicht mit überzeugten Nazis debattieren oder diskutieren, ich will mit Leuten debattieren und diskutieren, welche die Demokratie gegen Autoritarismus verteidigen wollen.

Es gibt schwarz und weiß in dieser Diskussionskultur. Keine Grautöne. Dafür oder dagegen, dazwischen ist nichts. Entweder 100% eigene Meinung oder Shitstorm durch die jeweilige Bubble, blocken, ghosten oder lächerlich machen.

Es geht nach meiner Erfahrung nicht mehr um Argumente, es geht um Ideologie. Die größte Zuspitzung, die schrägste Parole – Schlagzeilen statt Aufklärung. Nur nicht zu kompliziert machen, Vereinfachung ist alles. Empörungsbewirtschaftung ist (mindestens kurzfristig) erfolgreicher, als auf Strukturen und Hintergründe hinzuweisen und Schritte zu konzipieren, diese zu ändern.

Gibt es erst mal ein Vorurteil zu einer Person, wird nur nach dessen Bestätigung gesucht. Eine Diskussionskultur, in der selbst bei Zustimmung behauptet wird, es sei ein Widerspruch und danach die Diskussion abgebrochen wird ist eine toxische Diskussionskultur, nicht nur in diesem Beispiel.

Es gibt kein Zuhören mehr, keinen Versuch sich in die Situation des/der Gegenüber hineinzuversetzen und dies in der eigenen Argumentation zu berücksichtigen. So kann keine Diskussion entstehen. Aus heutiger Sicht mit heutigen Erkenntnissen Dinge bewerten und Urteile (nicht im juristischen Sinne gemeint) sprechen, ist unredlich. Dinge die z.B. vor 5 Jahren nicht bekannt waren, heute aber sind, hätten vielleicht auch vor 5 Jahren zu anderen Entscheidungen geführt. Den Maßstab von heute auf Entscheidungen von gestern anzulegen, funktioniert nicht – also jedenfalls nicht im Sinn von Erkenntnisgewinn für sich möglicherweise in Zukunft wiederholende ähnliche Situationen.

Fehlerkultur ist Fehlanzeige. Neue Erkenntnisse, die zu neuen Schlussfolgerungen führen, ein Argument, welches die eigene Position ändert – Anlass sich darüber lustig zu machen. Es geht nicht mehr um Überzeugung es geht um Recht behalten und Gewinnen – Debatten als Sportwettkampf in der die (vermeintlich) eigene (moralische) Überlegenheit zelebriert wird.

Es gibt kaum noch gemeinsame Ausgangspunkte von denen aus debattiert wird, häufig wird aber so getan, als gäbe es sie. Um es mit einem Bild zu versuchen: „Wir treffen uns links an der Bühne“ heißt noch lange nicht, dass sich dort getroffen wird. Die einen meinen nämlich links, betrachtet mit dem Rücken zur Bühne, die anderen links mit dem Gesicht zur Bühne. Ohne gemeinsamen Ausgangspunkt aber kein treffen.

So schön es ist über viele Informationen zu verfügen, für mich sind es zu viele, auf zu vielen Kanälen und zu wenig Zeit um sie zu verarbeiten. Was davon Fake News sind, wo was Entscheidendes davor oder danach weggelassen wurde – ich kann das nicht bewerten. Für dieselbe Situation gibt es gefühlt fünf verschiedene unterschiedliche Quellen und gefühlt 10 Kritiken an diesen.

Die Welt ist nicht mehr die Gleiche wie vor 35 Jahren. Das ist per se nicht schlecht. Nur bedeutet das eben auch, dass in dieser Zeit entstandene Positionen auf neue gesellschaftliche Entwicklungen angepasst werden müssen. Dabei die eigenen Grundüberzeugungen und -werte nicht zu verraten und trotzdem zu überprüfen ist herausfordernd und im Übrigen mit Verunsicherung verbunden. Den Teufel würde ich tun, dies konkret öffentlich darzulegen. Es gibt Situationen wo der Humanismus mit der Rechtslage -die sich auch weiterentwickelt- kollidiert und da eine Position zu finden verlangt Zeit, Offenheit für neue Argumente, Rückversicherung und Anregungen.

Diskussionen führe ich fast nur noch mit guten Freund*innen in sicherem Umfeld, in einer solidarischen Atmosphäre, wo ich anfangen kann mit: „Es kann sein, dass ich jetzt was komplett Falsches sage, dann sag mir das bitte auch und vor allem warum Du das anders siehst.“ und weiß, dass dies ohne Häme möglich ist.

 

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