Wahlanalysen

(Innerparteiliche) Wahlanalysen sind häufig eher die Bestätigung der eigenen Position in Abgrenzung zu anderen Positionen, denn Analysen. Denn Analysen beginenn mit Zahlen und dabei müssen natürlich alle Zahlen in den Blick genommen werden. Andernfalls wird die Analyse schief.

Die Angebote an Zahlen sind äußerst vielfältig. Es gibt also keinen Grund „aus dem Bauch heraus“ Dinge zu behaupten oder Schlussfolgerungen zu ziehen.

Beim Wahlatlas zu den Strukturdaten zum Beispiel kann sich der oder die Interessierte Wahlkreisgenau über die Bevölkerungszusammensetzung informieren. Auf dieser Seite finden sich als Download Daten über Wahlbewerbende. Und hier zumindest für die Bundestagswahl detaillierte Ergebnisse.

Wem es mehr um Hintergründe und Wanderungen von Wählenden geht, dem bzw. der ist diese Seite zu empfehlen, aus der sich viele interessante Dinge ergeben. Ich wusste bis ich mir die Seite in Ruhe angeschaut habe zum Beispiel nicht, dass 40% der Wählenden einen grundlegenden Wandel und 51% einige Korrekturen wollten. Nach diesen Grafiken wird SPD und Grünen die besten Antworten auf die Fragen der Zukunft zugetraut und neben dem Thema Soziale Sicherheit (28%) sind die Themen Umwelt und Klima (22%) sowie Arbeit und Wirtschaft (22%) die Themen, die für die Wahl die größte Rolle spielten.  „Umwelt und Klima spielten bei meiner Wahlentscheidung die größte Rolle“  sahen 32% der Wählenden von DIE LINKE. so, bei Wirtschaft und Arbeit waren es 12%. LINKEN-Wählenden war die Frage der Sozialen Sicherheit zu 39% am wichtigsten, bei den SPD-Wählenden waren es hingegen 44%. Eine Koalition aus SPD, Grünen und LINKEN fänden zwar 78% der LINKEN-Wählenden gut, aber nur 51% der Grünen-Wählenden und 29% der SPD-Wählenden, insgesamt gar nur 22% der Wählenden. LINKEN-Wählende sagen zu 94%, sie fänden es gut wenn die LINKE an der nächsten Regierung beteiligt wäre. Über die LINKE wird weiter gesagt, sie hat keine ausreichenden Führungspersönlichkeiten (70%) und ihre Forderungen seien unrealistisch und nicht finanzierbar (62%). Die meisten Stimmen holte DIE LINKE bei den 18-24jährigen und unter Erwerbslosen (11%).

Die Wanderung der Wählenden ergibt, dass die DIE LINKE die meisten Wählenden an die SPD (820.000), danach an die Grünen (610.000) und an Nichtwählende (520.000) verliert.

Bei den Gewerkschafter:innen liegt die SPD weit vorn (32,1%) und DIE LINKE auf dem letzten Platz (6,6%) der im Bundestag vertretenen Parteien, die FDP konnte Zugewinne erzielen.

Leider habe ich keine Zahlen gefunden über das Wahlverhalten von Bewegungen. Mich jedenfalls hätte schon interessiert, wie das Wahlverhalten von Mitglieder beispielsweise von Amnesty International und Greenpeace aussieht oder das von Aktivisten:innen aus der Klima-, Umwelt-, Bürgerrechts- und Flüchtlingsbewegung.

Die Zahlen werfen bei mir eher Fragen auf, als das ich eine Antwort oder Strategie hätte. Wer jetzt schon weiß, woran ein Ergebnis gelegen hat und welche Schlussfolgerungen zu ziehen sind, den oder die betrachte ich eher skeptisch. Ich würde gern -nicht aus dem Erleben am Infostand oder zugeschickten Mails- noch ein paar empirische Daten haben, bevor ich mich an die Interpretation der Zahlen mache.

Warum wollen LINKEN-Wählende zu 94%, dass die LINKE in der Regierung ist und in welchem Umfang sehen sie, dass die  Forderungen für unrealistisch und nicht finanzierbar gehalten werden?

Über den Terminus „unsere“ Wählenden und die Auffassung diese „zurückzugewinnen“ habe ich bereits hier geschrieben. Und dort habe ich auch aufgezeigt, dass es mit der Aussage „uns“ hätten früher die Erwerbslosen und Arbeiter:innen gewählt nicht so einfach ist. Denn die Statistik zeigt:

  • 1990  waren die Stimmenanteile für die  PDS/LL 1%  unter Arbeiter:innen und 1% unter Angestellten
  • 1994 waren die Stimmenanteile der PDS  12% unter Arbeitslosen und 5% unter  Arbeiter:innen
  • 1998 waren die Stimmenanteile der PDS 13% unter Arbeitslosen und 6% unter Arbeiter:innen
  • 2002 waren die Stimmenanteile der PDS 11%  unter Arbeitslosen und 4% unter  Arbeiter:innen
  • 2005 waren die Stimmenanteile der DIE LINKE 25%  unter Arbeitslosen und 12% unter Arbeiter:innen
  • 2009 waren die Stimmenanteile der DIE LINKE 31% unter Arbeitslosen und 35%  unter Arbeiter:innen
  • 2013 waren die Stimmenanteile der DIE LINKE 21% unter Arbeitslosen und 12%  unter Arbeiter:innen
  • 2017 waren die Stimmenanteile der DIE LINKE 15% unter Arbeitslosen  und 10% Arbeiter:innen
  • 2021 waren die Stimmenanteile der DIE LINKE 11% unter Arbeitslosen und 5% unter Arbeiter:innen

Aus den Zahlen ergerben sich für mich ebenfalls zunächst mal Fragen: Warum ist der Verlust bei der LINKEN unter Arbeiter:innen (halbiert) deutlich höher als unter Arbeitslosen? Wie erklärt sich, dass DIE LINKE bei den Stimmenanteilen unter den Arbeiter:innen den letzten und unter Arbeitslosen den vorletzten Platz der im Bundestag vertretenen Parteien belegt, wenn DIE LINKE ständig erklärt, dass die Politik aller anderen im Bundestag vertretenen Parteien nicht gut für die Betroffenen ist? Diese Frage stellt sich m.E. nicht nur für die letzten Bundestagswahlen sondern im Kern eigentlich für alle Wahlen mindestens seit 1990.

Im Hinblick auf die Wanderung der Wählenden würde mich eine Untersuchung interessieren, warum LINKEN-Wählende zu anderen Parteien oder zu den Nichtwählenden gewechselt sind. Die Gründe könnten ja einen Hinweis darauf geben ob etwas schief läuft und wenn ja was.

Auch bei den Gewerkschaftsmitlgliedern würden mich die Gründe für die Wahlentscheidung interessieren. Warum hat beispielsweise die FDP hier Zugewinne?

Ebenfalls nicht gefunden habe ich Umfragen, die das Verhältnis von Stadt und Land beleuchten. Also etwas in die Richtung, was die wahlentscheidenden Themen für die Städter:innen waren und was für die Menschen jenseits der Stadt. Dies scheint mir für eine Strategie ebenfalls nicht ganz unwichtig zu sein.

Eine Wahlanalyse ist also nicht so einfach zu machen. Zahlen können natürlich nicht alles erklären und sie sind selbstverständlich auch immer für die eigene politische Position instrumentalisierbar. Aber ohne Zahlen geht es eben auch nicht. Ich wünsche mir eine Wahlanalyse an deren Anfang viele Zahlen stehen und aus denen zunächst erst mal Fragen folgen. Aus diesen Fragen könnten dann Antworten und aus Antworten kann Strategie und Politik  entwickelt werden. Das alles geht nicht von heute auf Morgen, es darf aber auch nicht 5 Jahre dauern.

 

 

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