Wo nur das Argument zählt

Am Donnerstag, 2. Juli,  wird es im Bundestag zu einer Debatte zur Suizidbeihilfe kommen. Mit Gruppenanträgen. Endlich sind mal die starren Fraktionsgrenzen aufgehoben und jede/r Abgeordnete muss sich am Ende entscheiden, welche Position er/sie vertritt.

Ich habe an einem Gruppenantrag mitgearbeitet und muss sagen, selten hat mir Arbeit so viel Spaß gemacht. Menschen, die ich vorher nicht kannte oder mit denen ich das eine oder andere politische Gefecht schon ausgetragen hatte, saßen an einem Tisch. Machtpolitik gab es nicht. Es gab einzig und allein die Suche nach einem Weg, den alle mitgehen können. Natürlich wurde zunächst geschaut, wieweit die Personen jeweils gehen würden. Dann wurde um Kompromisse gerungen und am Ende zählte einfach nur das Argument. Auf die Debatte am Donnerstag bin ich gespannt. In Vorbereitung der Debatte habe ich mir die vier bislang vorliegenden Gesetzentwürfe einmal angesehen und sie -hoffentlich halbwegs neutral- zusammengefasst.

Gesetzentwurf Sensburg

Dieser Gesetzentwurf führt einen neuen § 217 StGB ein. „Wer einen anderen dazu anstiftet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren bestraft“. Dieser Gesetzentwurf würde somit jegliche Anstiftung und Beihilfe zur Selbsttötung unter Strafe stellen. Das wäre eine komplette Änderung der Rechtslage. Bisher war die Beihilfe und Anstiftung nicht strafbar. Rechtssystematisch ergibt sich das daraus, dass es an einer strafbaren Haupttat fehlt, denn die Selbsttötung (und der Versuch der Selbsttötung) ist nicht strafbar. Zur Begründung heißt es: „Hinter dem Begriff der Beihilfe zur Selbsttötung verbirgt sich ein gesellschaftsweit wachsendes Unwerturteil hinsichtlich bestimmter Formen menschlichen Lebens. Unter Beihilfe zur Selbsttötung wird dabei eine Hilfeleistung zur Selbsttötung, auch durch einen nahen Angehörigen oder den Arzt verstanden. Der Gehilfe einer Selbsttötung billigt dabei nicht nur die Wertentscheidung des Suizidenten, sondern er strebt selbst den Tötungserfolg an. Dabei urteilt er aus der Lebenssituation des Gesunden und nicht des Kranken, dessen Äußerung sterben zu wollen allzu oft nur ein Hilferuf ist. Dabei vergisst der Gehilfe, dass der Leidende ein Ende der Leiden will, nicht aber ein Ende des Lebens. Es darf aber nicht zugelassen werden, dass das Leben eines Kranken, Schwachen, Alten oder Behinderten als lebensunwert angesehen wird – von ihm selbst oder von Dritten. Schon eine Ausnahmeregelung für den durch Angehörige und Ärzte assistierten Suizids würde für das Lebensende einen völlig neuartigen Erwartungs- und Entscheidungshorizont eröffnen.“ Es gehe aber nicht darum, „die Beendigung einer medizinisch nicht mehr angezeigten oder vom Patienten nicht mehr gewünschten Therapie zu verbieten.“ Ein Schuss Ideologie darf nicht fehlen: „Von den Befürwortern einer Straflosigkeit bestimmter Fälle der Beihilfe zur Selbsttötung wird ein gesellschaftlicher Konsens über lebensunwertes Leben angestrebt.“ Der Gesetzentwurf verweist darauf, dass in Österreich, Italien, England und Wales, Irland, Portugal, Spanien und Polen die Mitwirkung am Suizid Dritter strafbar ist. Im Hinblick auf die Ärzte heißt es: „Die ausnahmsweise erlaubte Mitwirkung am Suizid durch Ärzte würde zudem zwangsläufig zu Änderungen in der Approbationsordnung sowie in den ärztlichen Ausbildungsordnungen führen. Vor allem aber würde dies zu einer Änderung der Vorstellung über den Arztberuf als solchem führen.

Gesetzentwurf Brand, Griese u.a.

Der Gesetzentwurf führt einen neuen § 217 StGB, Geschäftsmäßige Förderung der Selbstötung, ein: „(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.“ Dieser Gesetzentwurf stellt das grundsätzliche Konzept der Straflosigkeit des Suizids und der Teilnahme an ihm (Teilnahme heißt Anstiftung und Beihilfe –H.W.) nicht in Frage. Dies beruhe darauf, dass sich die Tat nicht gegen einen anderen Menschen richtet und der Rechtsstaat keine allgemeine, erzwingbare Pflicht zum Leben kennt. Eine Korrektur sei aber da erforderlich, wo „geschäftsmäßige Angebote der Suizidhilfe als normale Behandlungsoptionen“ erscheinen könne. Mit dem Gesetzentwurf soll der Beihilfe zum Suizid (assistierter Suizid) „zu einem Dienstleistungsangebot der gesundheitlichen Versorgung“ entgegengewirkt werden. Es wird geregelt (Abs. 2), dass Angehörige oder andere dem Suizidwilligen nahestehende Personen sich nicht strafbar machen, wenn sie lediglich Teilnehmer an der Tat sind und selbst nicht geschäftsmäßig handeln. Im Hinblick auf Hospize wird formuliert: „Von der Hilfe zum Sterben` abzugrenzen ist die `Hilfe beim Sterben`, wie sie grundsätzlich in Hospizen und auf Palliativstationen geleistet wird. Unter Hilfe beim Sterben werden ärztliche und pflegerische Maßnahmen verstanden, durch die ohne das Ziel der Lebensverkürzung Schmerzen gelindert werden (…). Die `Hilfe beim Sterben` ist strafrechtlich irrelevant und stellt keine geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung im Sinne dieses Gesetzes dar. Vielmehr ist sie ein selbstverständliches Gebot der Humanität.“ Strafbar sollen nur geschäftsmäßige Handlungen sein. Darunter sind wiederholte und nachhaltige Tätigkeiten zu verstehen. Auf eine Gewinnerzielungsabsicht kommt es nicht an. Konkret heißt es: Strafbar macht sich, „wer die Gewährung, Verschaffung oder Vermittlung der Gelegenheit zur Selbsttötung zu einem dauernden oder wiederkehrenden Bestandteil seiner Tätigkeit macht, unabhängig von einer Gewinnerzielungsabsicht und unabhängig von einem Zusammenhang zu einer wirtschaftlichen oder beruflichen Tätigkeit.“ Hinsichtlich der Strafbarkeit wird aber auch formuliert: „Eine Strafbarkeit ist ferner auch nach der Neufassung nicht gegeben, wenn im Einzelfall nach sorgfältiger Untersuchung und unter strikter Orientierung an der freiverantwortlich getroffenen Entscheidung einer zur Selbsttötung entschlossenen Person Suizidhilfe gewährt wird.“ Die Kommunikation und der Informationsaustausch über Selbsttötung bleiben zulässig, soweit sie sich nicht auf Vermittlung, Verschaffung oder Gewährung einer konkreten Gelegenheit beziehen. Um strafbar zu sein, muss mit Absicht gehandelt werden. „Auf subjektiver Seite ist erforderlich, dass die gewährte Hilfestellung zur Selbsttötung absichtlich, also zielgerichtet erfolgt.“ Der etwas unvermittelt wirkende Absatz 2 soll sicherstellen, dass „wer z.B. um einen oder einem todkranken Angehörigen Hilfestellung zu geben – allein aus Mitleid in einer singulären Situation Hilfe zur Selbstötung leistet“ nicht von der Strafbarkeit erfasst wird. „Derartige Fälle unter Strafe zu stellen ist weiterhin nicht wünschenswert.“ Der Absatz 2 ist eine sog. persönlicher Strafausschließungsgrund. „Der Ehemann, der seine todkranke Ehefrau ihrem eigenverantwortlich gefassten Entschluss entsprechend zu einem geschäftsmäßig handelnden `Suizidhelfer` fährt, um sie mit in den Tod zu begleiten, fördert damit zwar dessen Haupttat als Gehilfe. Er legt damit jedoch kein strafwürdiges, sondern in der Regel ein von tiefem Mitleid und Mitgefühl geprägtes Verhalten an den Tag.

Gesetzentwurf Künast, Sitte u.a.

Der Gesetzentwurf hat 11 Paragrafen. Nach dessen § 1 soll das Gesetz: (1) die Voraussetzungen für die Hilfe zur Selbsttötung bestimmen; (2) die rechtlichen Unsicherheiten für Einzelpersonen und Organisationen, die Hilfe zur Selbsttötung leisten, ausräumen; (3) für Ärzte klarzustellen, dass sie Hilfe zur Selbsttötung leisten dürfen, und (4) Regeln für Organisationen aufzustellen, deren Zweck es ist, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten. § 2 stellt noch einmal klar, dass die Selbsttötung und die Beihilfe zur Selbsttötung grundsätzlich straffrei ist. § 3 regelt die Voraussetzungen der Beihilfe zur Selbstötung, u.a. das der Wunsch zur Selbsttötung „freiverantwortlich“ gefasst werden muss. In § 4 wird geregelt, dass wer gewerbsmäßig und in der Absicht, Selbsttötungen zu fördern, „sich oder einem Dritten durch wiederholte Hilfehandlungen eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen (gewerbsmäßiges Handeln)“ beabsichtigt, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft wird. Im Hinblick auf Ärzte wird in § 6 festgehalten, dass diese nicht verpflichtet sind dem Wunsch nach Selbsttötung zu entsprechen, sie sind aber auch nicht strafbar, wenn sie dem Wunsch nachkommen. Die §§ 7 und 8 regeln für den Fall der Hilfe zur Selbsttötung durch Ärzte Beratungs- und Dokumentationspflichten. § 11 legt eine Evaluierung des Gesetzes fest. Der Gesetzentwurf formuliert: „Staat und Gesellschaft dürfen es einem Menschen nicht abverlangen, einen qualvollen Weg bis zum bitteren Ende zu gehen und zu durchleiden. Deswegen muss es auch möglich sein, Menschen zu helfen, wenn diese sich selbstbestimmt und aus objektiv verständlichen Gründen das Leben nehmen möchten.“ Es sei aber nicht hinnehmbar, „wenn Einzelpersonen oder Organisationen aus dieser Hilfe zum Sterben in der Not eine kommerzielle Geschäftsidee machen wollen.“ Weiter heißt es: „Dass Sterbehilfeorganisationen den Willen der zu Beratenden hin zu einer vorschnellen Entscheidung oder überhaupt zum Suizid beeinflussen, ist also weder belegt noch plausibel.“ Es soll dabei bleiben, dass auch Vereine Beratung und Hilfe zur Selbsttötung anbieten können. Den Sterbehilfeorganisationen soll mit dem Gesetz ein klarer gesetzlicher Rahmen gegeben werden. Aber einer „Kommerzialisierung der Hilfe zum Suizid, also das gewerbsmäßige Anbieten solcher Hilfehandlungen muss unterbleiben“.

Gesetzentwurf Reimann, Hintze u.a.

Dieser Gesetzentwurf führt neue Regelungen im BGB ein. Nach § 1921a kann ein „volljähriger und einwilligungsfähiger Patient, dessen unheilbare Erkrankung unumkehrbar zum Tod führt, (…) zur Abwendung eines krankheitsbedingten Leidens die Hilfestellung eines Arztes bei der selbst vollzogenen Beendigung seines Lebens in Anspruch nehmen“. Nach Absatz 2 darf die Hilfestellung des Arztes nur erfolgen, wenn „der Patient dies ernsthaft und endgültig wünscht, eine ärztliche Beratung des Patienten über andere Behandlungsmöglichkeiten und über die Durchführung der Suizidassistenz stattgefunden hat, die Unumkehrbarkeit des Krankheitsverlaufs sowie die Wahrscheinlichkeit des Todes medizinisch festgestellt und ebenso wie der Patientenwunsch und die Einwilligungsfähigkeit des Patienten durch einen zweiten Arzt bestätigt wurde“. In Absatz 3 wird festgehalten, dass die Hilfestellung des Arztes freiwillig ist. In diesem Gesetzentwurf heißt es: „Demoskopische Erhebungen belegen einen ausgeprägten Wunsch nach Selbstbestimmung in der letzten Lebensphase. Die klare Mehrheit der Bevölkerung spricht sich für die Möglichkeit aus, im Fall einer unheilbaren, irreversibel zum Tode führenden Erkrankung zur Abwendung eines starken Leidensdruckes eine ärztliche Hilfe bei der selbstvollzogenen Lebensbeendigung in Anspruch nehmen zu können.“ Der Gesetzentwurf erkennt das Recht auf „umfassende Dispositionsfreiheit im Hinblick auf das eigene Leben“ an. Er verweist darauf, dass das ärztliche Standesrecht in 10 von 17 Ärztekammerbezirken jede Form der Hilfestellung zur selbstbezogenen Lebensbeendigung untersagt. Deshalb sei es nötig, im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) eine Ergänzung vorzunehmen, die Ärzten ausdrücklich ermöglicht, „dem Wunsch des Patienten nach Hilfe bei der selbstbezogenen Lebensbeendigung entsprechen zu können“. Der Weg über das BGB wird gewählt, weil das BGB als „staatliche Rechtsnorm (…) Vorrang vor dem die Berufsausübung der Ärzte regelnden Kammerrecht“ hat. Die Regelung wurde gewählt, um „einerseits der ärztlichen Suizidassistenz so hohe Hürden zu errichten, dass der überragenden Bedeutung des Lebensschutzes ausreichend Rechnung getragen wird, und andererseits die Anforderungen an die Durchführung einer Suizidassistenz so gering zu halten, dass ein übermäßig bürokratisches Verfahren vermieden wird“. Die Suizidbeihilfe durch Ärzte ist nur gestattet, wenn der „Patient an einer unheilbaren und unumkehrbar zum Tode führenden Erkrankung leidet“. Der Anwendungsbereich der Erlaubnis der ärztlichen Suizidbeihilfe ist damit auf „die Fälle von nicht mehr therapierbaren organischen und zugleich irreversibel tödlich verlaufenden Erkrankungen eingeschränkt“. In der Gesetzesbegründung wird erwähnt, dass „die Bestimmung keine Anwendung auf psychisches Erkrankungen, wie zum Beispiel Depression, auf eine lediglich altersbedingte Demenz und auf unheilbare, aber nicht tödlich verlaufende Erkrankungen“ findet. Das „Vorliegen einer unheilbaren Erkrankung als auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Erkrankung tödlich verläuft, müssen durch mindestens zwei Ärzte nach dem Vier-Augen-Prinzip medizinisch festgestellt werden“.

Ich weiß noch nicht, ob ich in der Debatte am Donnerstag werde reden können, das muss ich erst noch mit meiner Gruppe klären. Meine Gruppe ist die Gruppe Brand, Griese u.a.. Tatsächlich hatte ich mir die Orientierungsdebatte im Plenum des Bundestag im Fernsehen angeschaut, weil ich da besser zuhören konnte. Und ich habe lange überlegt, wo ich mitmachen will. Mein großes Ziel war, eine strafrechtliche Regelung zu vermeiden. Also habe ich ewig nach einem Weg gesucht, wie das möglich sein kann ohne gleichzeitig sog. Sterbehilfevereine zu erlauben. Ich habe leider keinen Weg gefunden, ohne Strafrecht auszukommen, denn die Vereinsfreiheit hat glücklicherweise einen solchen hohen Wert, dass ein Verein nicht einfach mal so verboten werden kann. Ein Vereinsverbot kann nach § 3 Abs. 1 Vereinsgesetz eben nur stattfinden, wenn die Zwecke und Tätigkeiten des Vereins den Strafgesetzen zuwiderlaufen, sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten. Auch in meiner Gruppe gibt es sicherlich einen unterschiedlichen Zugang zum Thema. Mein Zugang ist die Personale Autonomie. Ich finde, jede/r hat das Recht selbst zu entscheiden, wann der Zeitpunkt kommt zu gehen. Im Übrigen unabhängig vom Vorliegen einer nicht mehr therapierbaren, organischen und zugleich irreversibel tödlich verlaufenden Erkrankung. Aber eine solche autonome Entscheidung kann ich -zumal im Kapitalismus mit seiner Verwertungslogik- eben nur treffen, wenn die Bildung eines eigenen Willens durch die Gesellschaft auch ermöglicht wird. Genau diese freie Bildung des Willens sehe ich durch Vereine die Sterbehilfe anbieten gefährdet. In meinen Augen stellen solche Vereine die Normalisierung einer Dienstleistung dar, welche den gesellschaftlichen Druck aus Verwertungsgesichtspunkten (Belastung für Angehörige, Kosten für Hospiz, Krankenhaus oder Seniorenwohnheim) erhöht. Mir geht es also ausschließlich um die Strafbarkeit der Förderung der Selbsttötung einer andern Person durch das geschäftsmäßige und absichtliche gewähren, verschaffen und vermitteln von Gelegenheiten dazu.

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