Angst ruft nach Ausgangssperre und das ist keine Lösung

Ich bin in einer privilegierten Situation. Ich wohne nicht allein, ich bekomme mein Gehalt regelmäßig. Ich kann via Internet mit Leuten reden und sie dabei sogar sehen. Wenn es mir nicht gut geht, gibt es genügend Menschen in meinem Umfeld, die für mich da sind und mich beruhigen und mir (virtuell) helfen. Das hat nicht jede*r. Es gibt nicht wenige Menschen, die jetzt um ihre soziale Existenz bangen und denen schnell und unbürokratisch geholfen werden muss.

Trotz meiner privilegierten Position habe ich Angst. Ich habe Angst vor einer Infektion mit dem Corona-Virus. Riesenangst. Also tue ich, was ich tuen muss um die Infektionsgeschwindigkeit zu reduzieren.  Physische Kontakte minimieren, weitgehend Home Office, Hygienevorschriften und Abstandsregeln einhalten. Nicht alle machen das. Es gibt einige Menschen, die insbesondere das mit der Abstandsregelung nicht so ernst nehmen. Ich halte das für unverantwortlich.

Ich bewundere all jene, die den Betrieb des öffentlichen Lebens aufrechterhalten. Sie haben sicherlich auch Angst. Aber sie leisten ihren Beitrag dazu, dass das Leben weitergeht. Wenn das alles mal vorbei ist, sollten wir noch einmal darüber reden, wie die Arbeits- und Lebensbedingungen dieser Menschen verbessert werden können und wie wir ihnen danken können.

Trotz meiner Angst vor der Ansteckung mit dem Corona-Virus und trotz des unverantwortlichen Handelns Einzelner gibt es noch eine andere Angst. Die Angst was die Pandemie mit der Gesellschaft macht. Die Rufe nach Ausgangssperren werden lauter, also im Kern der Ruf danach, die Wohnung/das Haus nur noch für Arztbesuche, dringend notwendige Einkäufe und unaufschiebbare Arbeit verlassen zu dürfen. Ausgangssperren würden die Gesellschaft massiv verändern, denn sie sind ein Essential einer freien, demokratischen Gesellschaft.

Ja, es gibt Artikel 2 Abs. 2 GG, nachdem jede und jeder das Recht auf körperliche Unversehrheit hat.  Dafür hat der Staat tatsächlich eine Schutzverantwortung. Im Übrigen nicht nur in Corona-Krisenzeiten. Und es gibt Artikel 11 GG, das Recht auf Freizügigkeit. Dieses kann, so steht es auch in Absatz 2, unter bestimmten Bedingungen eingeschränkt werden. Artikel 11 GG und Artikel 2 Abs. 2 GG müssen in ein Verhältnis zueinenander gesetzt werden. Die Juristen*innen nennen das praktische Konkordanz. Ein Hinweis wie das aussehen kann, bietet der Absatz 2 des Artikel 11 GG. Danach kann das Recht auf Freizügigkeit unter bestimmten Voraussetzungen eingeschränkt werden.

In der juristischen Literatur wird beispielsweise vertreten, dass es an der Erforderlichkeit für eine Einschränkung auf Grundlage von Artikel 11 Abs. 2 GG dann fehlt, „wenn die Krankheit nur durch spezielle Infektionswege übertragen wird und die Bevölkerung entsprechende Schutzmaßnahmen ohne Weiteres selbst ergreifen kann“ (BeckOK, GG, Art. 11, Rdn. 36).

Der weitgehend unkritisiert bleibende Ruf nach Ausgangssperren überrascht mich. Das ist der Ruf nach dem autoritären Staat, der den Menschen nicht mehr als eigenständig handelndes Individuum ansieht. Das ist der Ruf nach Einschränkung von Grundrechten ohne eine Abwägung nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip. Es wird gerade nicht -jenseits der Frage der Erforderlichkeit- geschaut ob es mildere Mittel gibt. Es wird nicht geschaut, was die Folgewirkung einer Ausgangssperre ist. Die sog. Abstandsregeln sind mehrfach kommuniziert worden, über alle Kanäle. Auch der Aufruf weitgehend physische Kontakte mit anderen Personen zu meiden (soziale Distanz). Es gibt Menschen, die halten sich nicht daran. Aus meiner Sicht hilft hier konsequente Ansprache, immer und immer wieder. Individuell. Als Ordnungsbehörde ebenso wie als „normale*r“ Bürger*in. Die Ausganssperre ist auf den ersten Blick natürlich der beste Weg, insbesondere vulnerable Gruppen (Risikogruppen) zu schützen. Und ja, das muss geschehen. Ein zweiter Blick muss aber, im Sinne einer Verhältnismäßigkeitsabwägung und unter Berücksichtigung des Aspekts, dass jede*r seinen/ihren Beitrag leisten kann die Folgewirkungen in den Blick nehmen. Menschen, die auf engstem Raum mehrere Wochen zusammenhocken werden nicht entspannter, im Gegenteil. Frust und Aggression werden sich entladen. Das kann zu Hause passieren (Stichtwort: häusliche Gewalt). Das kann eine Auseinandersetzung mit dem/der Nachbar*in sein, der/die gerade mal wieder zu laut Musik hört. Das kann -Internet hin oder her- zu Vereinsamung führen, mit all den damit verbundenen Folgewirkungen. Ausgangssperre heißt auch, ein politisches Anliegen nicht mehr auf die Straße tragen zu können – auch nicht unter Einhaltung der Abstandsregelungen. Im schlimmsten Fall  entlädt sich die Aggression in einem bewusste Bruch der Ausgangssperre um staatliche Reaktion zu provozieren. Diese Reaktion wiederum führt zu weiteren Reaktionen.

Ich fürchte also, Ausgangssperren sind nicht die Lösung. Die Debatten um Ausgangssperren sind aber einfach zu beenden. Wenn sich alle an die Regeln von Abstand und Hygiene halten. Das hilft allen. Also Let`s do it.

 

4 Replies to “Angst ruft nach Ausgangssperre und das ist keine Lösung”

  1. Liebe Halina
    wenn ich es richtig interpretiere, spricht niemand der handelnden Personen über Ausgangssperre, sondern über Ausgangseinschränkung. Daneben sind diese Einschränkungen zeitlich begrenzt.

    Ich möchte deinen Blick einfach nach Italien richten, dorthin wo genau diese Maßnahme erheblich verspätet ergriffen wurde.
    Deine juristischen Bedenken mögen / nein sind absolut korrekt, helfen aber nicht die Pandemie einzudämmen.
    Man muss auch hier an die Wurzel allen Übels und auch hier ist dies, wie sooft, der Mensch, dem das geringere Mittel geboten wurde, welches er aber durch eine Abstimmung mit den Füßen abgewählt hat.
    Sorry, ich nehme die zeitlich begrenzte Einschränkungen des Grundrechtes der Freizügigkeit gern in Kauf, um das der körperlichen Unversehrtheit zu erhalten, in Kauf, um zu leben.

  2. Lieber Robert,
    zum Zeitpunkt des Schreibens des Blogbeitrages wurde über Ausgangssperren geredet, ohne Verhältnismäßigkeitsdebatte und ohne die von mir am Ende des Beitrages aufgeführten Probleme zu thematisieren. Heute, Samstagabend, ist das partiell anders. Da geht es um Ausgangsbegrenzungen und werden die Folgewirkungen betrachtet. Ein großer Fortschritt in der Debatte wäre, wenn eine Verdachtskultur hier Grundrechtseinschränkungsbefürworter dort Verharmloser/Flatten-the-Curve-Negierer ausbliebe. Ich nehme wahr, dass viele abwägen und zu Entscheidungen kommen, die sich nicht immer decken, aber jeweils gut begründbar sind.

  3. Robert,
    Du darfst doch auch Leben. Wenn du die Ausgangsbeschränkung gern in Kauf nimmst, dann bleibe doch einfach ein Jahr zu Hause. Anscheinend kein Problem. In der Zeit werden draußen verschiedene Dinge passieren:

    1. Immunisierung der Bevölkerung (doch, bei der hohen Überlebensquote unter der *gesunden* Bevölkerung! 30:1 Infektionen zu Toten auf den schönen interaktiven Karten sind ja schließlich die Fälle, die im KH landen. Plus solche, wo Corona nur mitspielte, nicht bewiesen ursächlich. Rechneten wir alle anderen ungemessenen Infektionen hinzu… Von der Dunkelziffer der Genesungen mal ganz abgesehen)

    2. Eine Volkswirtschaft, die weiterging, und dich damit auch weiter versorgt und evtl. sogar noch Ressourcen für den Ausbau des Gesundheitssystems übrig hat. Stichwort Italien wo das kaputtgespart wurde (das Virus spricht doch nicht Italienisch!)

    Diese beiden Umstände erwarten dich dann nach freiwilliger Selbstisolation. Das ist doch nicht schlecht.

  4. Pingback: Es ist kompliziert – Blog von Halina Wawzyniak

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