Manche Dinge bleiben zunächst liegen :-(.
Seit der Sitzung des Parteivorstandes im Dezember hatte ich mir vorgenommen, mich mal ein wenig intensiver mit dem Brandenburgischen Justizvollzugsgesetz zu beschäftigen. Schließlich handelt es sich um ein Justizvollzugesetz eines linken Justiziministers. Doch viele andere Dinge hielten mich von der Beschäftigung ab.
Am Anfang muss ich vielleicht sagen, dass ich eine grundsätzliche Skepsis habe ob in einer totalen Institution wie dem Strafvollzug überhaupt Resozialisierung -und das ist die Aufgabe des Strafvollzuges- gelingen kann. Nun weiß ich aber auch: revolutionäre Forderungen wie die Abschaffung des Strafvollzuges führen eher dazu, das man/frau für verrückt erklärt wird. Dies vielleicht auch nicht ganz zu Unrecht, weil die Alternativen nun auch nicht in großer Anzahl auf dem Tisch liegen. Die Frage einer Alternative zum Strafvollzug ist aber nicht vom Tisch, wie sich allein daran zeigt, dass der Strafverteidigertag 2012 sich mit diesem Thema beschäftigte.
Vor diesem Hintergrund kann aus meiner Sicht das Brandenburgische Justizvollzugsgesetz aus linker Sicht nur unter dem Gesichtspunkt beurteilt werden, was es zur Resozialisierung beiträgt. Mit der Föderalismusreform ging die Gesetzgebungskompetenz auf die Länder über.
Aus meiner Sicht positiv zu bewerten ist die Bündelung verschiedener Gesetze (zum Beispiel zum Jugendstrafvollzug und zur Untersuchungshaft) in einem Gesetz. Ebenfalls positiv zu bewerten ist der § 2. Hier wurde der Versuchung widerstanden, den Schutz der Allgemeinheit vor Straftaten als Ziel und Aufgabe des Strafvollzuges höher zu werten als die Resozialisierung. Angesichts eines allgemeinen Populismus im Umgang mit Strafgefangenen keine leichte Aufgabe. Konsequenter wäre -auch vor dem Hintergrund der Begründung des Gesetzentwurfes in welcher als alleiniges Vollzugsziel die Resozialisierung genannt wird- allerdings gewesen in § 2 S. 2 noch das Wörtchen „auch“ unterzubringen, damit der Satz lautet: „Er hat die Aufgabe … .“ Lobenswert ist aus meiner Sicht auch der § 5, der eine Einordnung der Untersuchungsgefangenen vornimmt, die den Gründen für die Anordnung der Untersuchungshaft entspricht. Während § 7 Abs. 1 nicht über das bisherige Strafvollzugsgesetzes hinausgeht (was er auch nicht mehr muss) , stellt der § 7 Abs. 4 eine deutliche Verbesserung dar. Die Berücksichtigung von Geschlecht, Alter, Herkunft, Religion, Behinderung und sexueller Identität bei der Vollzugsgestaltung ist im Hinblick auf das Ziel der Resozialisierung zu begrüßen. Auch die Formulierung in § 8 Abs. 5 S. 3 („Straf- und Jugendstrafgefangenen ist sobald wie möglich die Teilnahme am Leben in Freiheit zu gewähren“) ist im Hinblick auf das Resozialisierungsziel des Strafvollzuges richtig. Hier wird erstmals der Öffnungsgrundsatz normiert. Interessant wird sein, wie der §18 umgesetzt werden wird, der eine Einzelunterbringung vorsieht. Es bleibt insoweit zu hoffen, dass mit den in § 18 Abs. 3 genannten „zwingenden Gründe“ nicht mangelnde Haftplätze gemeint sind. Die Begründung des Gesetzentwurfes spricht insoweit von „gelegentlichen Belegungsspitzen“.
Der Abschnitt 4 zu Sozial- und Psychotherapie liest sich wie ein Rechtsanspruch. Dies würde -seine Richtigkeit unterstellt- eine lange geforderte linke Position nunmehr in Gesetzesform gießen.
Der Abschnitt 5 zur Frage Arbeit im Strafvollzug stellte einen wesentlichen Fortschritt zur bisherigen Rechtslage dar, da insoweit von einer Arbeitspflicht Abstand genommen wird. Wie sich aus den schriftlichen Stellungnahmen zur Anhörung im Rechtsausschuss des Brandenburgische Landtages ergibt, erfährt aber gerade dieser Punkt erhebliche Kritik. Der Bund der Strafvollzugsbediensteten (Landesverband Brandenburg) begründet seine Kritik am Wegfall der Arbeitspflicht damit, das die Arbeitspflicht doch nur eine „Anpassung an die realen Gegebenheiten in der Gesellschaft außerhalb der Vollzugsanstalten“ sei. Und weil es Leistungskürzungen gebe, wenn ein Bürger außerhalb des Strafvollzuges vom Jobcenter angebotene Arbeiten ablehne, sollte eine Leistungskürzung auch im Strafvollzug stattfinden, wenn Arbeit abgelehnt wird. Da bleibt mir erst mal die Spucke weg. Angleichung auf unterstem Niveau, statt sich generell gegen Arbeitspflicht zu wenden. Auch Dr. Endres (Leiter des Kriminologischen Dienstes des bayrischen Strafvollzuges) wendet sich gegen den Wegfall der Arbeitspflicht im vorgelegten Gesetzentwurf, ebenso wie Prof. Dünkel und der Deutsche Richterbund. Aus meiner Sicht sind die Kritiken nicht überzeugend und so hoffe ich, dass der Wegfall der Arbeitspflicht bei der Verabschiedung des Gesetzes erhalten bleibt.
Unklar bleibt im Gesetzentwurf leider, ob die Unterbringung in einer Wohneinheit (§ 20) den eigentliche Regelfall darstellen soll oder eine „Belohnung“ darstellt. Aus der Begründung ist lediglich zu entnehmen, dass dies im offenen Vollzug die Regel sein soll, was eher gegen die Einordnung als Regelfall spricht. Allerdings findet sich in der Begründung auch der Hinweis auf u.a. Straftäter von Vermögensdelikten. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Unterbringung in Wohneinheiten zumindest für diese Straftäter der Regelfall sein soll. Hier wird die praktische Handhabung interessant werden, weil die Unterbringung in einer Wohneinheit im Hinblick auf die Resozialisierung natürlich der Unterbringung in einem Haftraum vorzuziehen ist. Für mich liest sich der § 20 und die Begründung so, dass besondere Voraussetzungen nachgewiesen werden müssen um in einer Wohneinheit untergebracht zu werden und nicht -quasi im Umkehrschluss- besondere Voraussetzungen nachgewiesen werden müssen um von der Unterbringung in einer Wohneinheit ausgeschlossen zu sein. Diese Einschätzung wird durch § 22 noch verstärkt. Dieser schreibt gerade nicht -wie es wünschenswert wäre- den offenen Vollzug als Regelvollzug vor. In der Begründung zum Gesetzentwurf wird dann auch von „gleichrangingen Unterbringungsformen“ in Bezug auf den offenen und geschlossenen Vollzug gesprochen. Natürlich stellt das Brandenburgische Justizvollzugsgesetz an dieser Stelle keine Verschlechterung zum bisherigen Zustand dar, denn der offene Vollzug als Regelvollzug stand eher auf dem Papier als das er Praxis war. Dennoch wäre aus linker Sicht wünschenswert gewesen, die Prioritäten hier anders zu setzen.
Etwas unklar ist auch der Verweis in § 38 Abs. 1 S. 2 hinsichtlich der Verweisung auf die Besuchsregelungen bei Telefongesprächen. Streng genommen würde dies nämlich bedeuten, dass die Gefangenen im Grundsatz lediglich in dem Umfang, in welchem Besuche gestattet sind auch telefonieren dürfen. Ausweislich der Begründung sind Telefongespräche ohne Erlaubnis der Anstalt nicht erlaubt. Dies korrespondiert natürlich auch mit der Frage, inwiefern Mobiltelefone zugelassen werden. Wie der § 118 des Gesetzentwurfes aber leider klarstellt sind diese zumindest auf dem Anstaltsgelände des geschlossenen Vollzuges untersagt. Diese Regelung wiederum könnte den positiven Ansatz des § 61 Abs. 2 S. 2 wieder zunichte machen. Dieser besagt: „Andere Geräte der Informations- und Unterhaltungselektronik können (…) zugelassen werden.“ Richtigerweise heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfes: „Durch die Formulierung `andere Formen der Telekommunikation` soll die Möglichkeit der Nutzung von derzeit noch nicht verbreiteten Telekommunikationsformen für die Zukunft eröffnet werden. Nach derzeitigem Stand der technischen Entwicklung ist dabei auch vor dem Hintergrund des Angleichungsgrundsatzes insbesondere an E-Mail, E-Learning, Internet und Intranet zu denken.“ Angesichts der Veränderungen der Gesellschaft durch die Digitalisierung und im Hinblick auf die Resozialisierung eine sinnvolle Regelung, auch wenn insoweit eine generelle Erlaubnis die durch die Anstaltsleitung in begründeten Fällen versagt werden kann noch besser wäre. Allerdings dürfte vor dem Hintergrund des § 118 eine Internetnutzung über „funkbasierte Übertragung“ nicht möglich sein, was eine zusätzliche Einschränkung der schon eingeschränkten Erlaubnis darstellt. Damit wird der eigentlich positive Ansatz in sein Gegenteil verkehrt und in meinen Augen der Angleichungsgrundsatz verletzt.
Im Hinblick auf die Anhörung im Rechtsausschuss des Landtages Brandenburg am 21. Februar 2013 will ich lediglich noch auf eine Stellungnahme des Bundes der Brandenburgischen Staatsanwälte e.V. verweisen. Dieser kritisiert die Regelung zur Unterbringung in einer Wohneinheit in § 20 des Gesetzentwurfes. Er kommt zu dem Ergebnis, dass der Gesetzentwurf wegen nicht bezahlbarer Kosten auf der einen Seite und „Ablehnung durch die Mehrheit der Brandenburgerinnen und Brandenburger“ auf der anderen Seite abgelehnt werden soll. Sorry, aber gerade letzteres ist ein Armutszeugnis. Der Gesetzgeber ist aufgefordert für seine Auffassungen zu werben. Das nun ausgerechnet der Bund der Staatsanwälte im Bereich der Rechtspolitik einfach auf das „Rechtsempfinden“ abstellt statt zu bewerten wie er die Regelung im Hinblick auf die Ziele der auch von Staatsanwälten beantragten Freiheitsstrafe beurteilt, ist ein wenig seltsam.
Alles in allem handelt es sich beim Brandenburgischen Justizvollzugsgesetz um ein sehr vorzeigbares Gesetz. Mehr Licht als Schatten kommt als Kurzbeschreibung wohl ganz gut hin. Der Sachverständige Dr. Galli hat es wie folgt formuliert: „Inhaltlich weist der Gesetzesentwurf in die vernünftige Richtung einer Liberalisierung des Strafvollzuges. Diese Liberalisierung nach innen und außen ist nicht nur Gebot der Menschenwürde der Inhaftierten, sondern dient maßgeblich auch einer Erhöhung der Sicherheit der Allgemeinheit. Je mehr Kontakt und Beziehungen zur Außenwelt ermöglicht und gefördert werden, desto eher ist eine Integration Straffälliger nach ihrer Haft und damit eine Verringerung ihrer `Gefährlichkeit` möglich. Eine restriktive Handhabung von Außenkontakten und Lockerungen des Vollzuges unter dem Postulat von Sicherheit und Ordnung der Anstalt auf der einen und Schutz der Allgemeinheit auf der anderen Seite mag vordergründig und kurzfristig unerwünschtes Verhalten unterdrücken, langfristig und mit Blick auf die große Mehrheit der Inhaftierten erhöht dies die Wahrscheinlichkeit von weiteren Straftaten und schadet damit der Allgemeinheit.“
Ein klein wenig solidarische Kritik von Links lässt der Entwurf aber dennoch zu. Die Kritikpunkte lauten (noch einmal kurz und knapp zusammengefasst): keine Normierung des offenen Vollzuges als Regelvollzug, keine Festlegung der Unterbringung in Wohneinheiten als Regelfall, Ausschluss der Kommunikation über „funkbasierte Übertragung“ und damit auch Verbot von Handys auf dem Gelände des geschlossenen Vollzuges und keine generelle Zulassung von Geräten der Informations- und Kommunikationselektronik.
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Was mir etwas Bauchschmerzen bereitet, ist die Unterbringungs- bzw. Belegungfrage vor dem Hintergrund von „Belegungsspitzen“ und das auch vor dem Hintergrund des § 108 Abs. 3.
§ 18 Abs. 3 Sieht also vor, dass eine Mehrfachbelegung nicht die Norm sein soll, sondern nur vorübergehend und aus zwingenden Gründen. Eine Belegung eines Haftraumes mit mehr als 2 Personen ist nach § 108 Abs. 3 ebenfalls nur vorübergehend und mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde zulässig. In der Begründung zu 108 Abs. 3 ist wiederum die Rede von (neben Notsituationen) Belegungsspitzen.
Also wäre es denkbar, dass die gemeine Belegungsspitze hinreichender Grund für eine Belegung mit mehr als 2 Personen sein kann. Und das fänd ich persönlich schon schwierig. Eine Doppelbelegung kommt schon mal vor. Sie sollte nicht die Regel sein, auf keinen Fall – aber ich halte sie vorübergehend für ertragbar. Ich denke aber, man sollte generell und ohne Ausnahme auf eine Belegung mit mehr als 2 Personen verzichten.
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