Bundesverfassungsgericht und Richter*innenwahl

Normalerweise ist die Wahl von Richter*innen für das Bundesverfassungsgericht kein großer Aufreger. Würde eine Umfrage gemacht werden, wüssten wahrscheinlich die wenigsten Menschen, wie so ein Wahlvorgang abläuft und das vor der Wahl im Plenum des Bundestages der Wahlausschuss einen Vorschlag unterbreitet. Die Richter*innen des BVerfG werden zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt. Erforderlich ist eine Zweidrittelmehrheit (§§ 6,7 BVerfGG). Es gibt also gar keine offizielle Regelung, welche Partei welches Vorschlagsrecht hat, das Vorschlagsrecht liegt beim Wahlausschuss. Es gibt aber inoffizielle Vorschlagsregelungen. Im Jahr 2018 habe ich mal die Idee gehabt, dass zur Entkopplung von Politik und Bundesverfassungsgericht auch Selbstbewerbungen möglich sein könnten oder die Standesorganisationen auch ein Vorschlagsrecht haben.

Das mit dem Wahlausschuss ist keine Nebensache, sondern ziemlich zentral. Denn die Idee dahinter ist gerade eine weitgehende Entkopplung des Vorschlagsrechts von eigenen machtpolitischen Interessen der Fraktionen/Parteien. Aus dem Grund fand ich es auch immer schwierig, wenn aktive Politiker*innen faktisch ohne Unterbrechung vom politischen Amt in das Amt eines/einer Verfassungsrichter*in wechselten. In einer Bundestagsdebatte soll ich sogar mal gesagt haben, „Wir sollten darüber nachdenken, ob es sinnvoll und angemessen ist – darüber sprechen wir heute Abend noch –, eine Karenzzeit einzuführen, in der aktive Politikerinnen und Politiker nicht in das Bundesverfassungsgericht wechseln dürfen.“ Anders als von mir befürchtet, muss ich zur Kenntnis nehmen, dass der Rollenwechsel von aktiven Politikern (meines Wissens betraf das bislang nur Männer) zu Bundesverfassungsrichtern ganz gut gelungen ist.

Die im Wahlausschuss angelegte Entkopplung von Politik und Bundesverfassungsgericht, die ich ausdrücklich teile, wird derzeit massiv in Frage gestellt. Zu Lasten der Reputation des BVerfG und der Bewerbenden für das Richter*innenamt. Es findet gerade eine aggressive Politisierung der Wahl statt, die der Funktion des BVerfG nicht angemessen ist.

Begonnen damit hat die Union, indem sie eine absurde Debatte um einen Vorschlag eröffnet hat. In dieser ging es nicht um juristisch vertretbare Positionen oder juristische Qualität, sondern um aus Sicht der Union problematische politische Positionen. Die Union hat eine Staatskrise organisiert. Die Wahl von Bundesverfassungsrichter*innen sollte aus meiner Sicht an deren juristischer Qualität ansetzen. Wenn politische Positionierungen zum Maßstab gemacht werden und politische Positionen unabhängig ihrer juristischen Vertretbarkeit zum Wahlkriterium gemacht werden, dann wird es schwierig mit der Unabhängigkeit des BVerfG. Doch nicht nur an dieser Stelle politisiert die Union unnötig.

Die Union provoziert eine Option, nach der die Wahl am Freitag scheitert oder nur mit Mehrheit der AfD zustande kommt. Die Provokation besteht darin, dass sie dem Ansinnen der Linken, mit dieser zu sprechen völlig albern und überflüssig eine Absage erteilt. Warum Die Linke auf diese Provokation einsteigt oder einzusteigen droht und damit ihren Beitrag zur Verfassungskrise leisten könnte oder leistet, verstehe ich nicht. Es macht mich auch ein wenig fassungslos. Das BVerfG ist keine Zockerbude für zukünftige machtpolitische Einflüsse.

Mit Stand Montag hat Jan van Aken erklärt, ohne Gespräche der Union mit der Linken keine Wahl durch die Linke. Eine Position, die auch der der von mir geschätzte Pascal Beucker in der taz vertritt. Bodo Ramelow vertritt im Spiegel eine andere Position. Er hat sich nach eigener Aussage mit der Biografie aller drei Kandidierenden beschäftigt und hält alle für wählbar. Deshalb werde er sie wählen. Das ist aus meiner Sicht, angesichts der Rolle des BVerfG die angemessene Reaktion.

Ich finde den von Clara Bünger formulierten Anspruch richtig, dass die Linke perspektivisch auch einen Anspruch erhalten soll, einen Vorschlag zu unterbreiten (also wenn an einem Vorschlagsrecht für Parteien festgehalten werden soll, dazu aber am Ende dieses Beitrages). Also einen Anspruch innerhalb der inoffiziellen Regelung zum Vorschlagsrecht. Und das dazu Gespräche geführt werden müssen ist richtig, aber eben vor oder nach der Wahl und nicht als Junktime für eine konkrete Verfassungsrichter*innenwahl.  Selbstverständlich müssen für originär politische Anliegen, die eine Zweidrittelmehrheit erfordern, ebenfalls Gespräche zwischen Regierungsparteien und demokratischen Oppositionsparteien geführt werden, es gibt da ja auch richtig was zu verhandeln. Wenn sich dem die Union verweigert, dann ist das schädlich für die Demokratie.

Was ich aber wirklich nicht verstehe und auch für gefährlich halte, ist eine Gesprächsbedingung für eine Wahl konkret vorliegender Kandidaturen. Zumal es offensichtlich keine fachlichen Einwände gegen die vorgeschlagenen Kandidaturen gibt. So wird das BVerfG zum Pfand für politische (Macht)Auseinandersetzungen gemacht. Gespräch oder Nichtwahl ist eine „politische Erpressung“ bei einer nicht originär politischen Entscheidung. Diese Position ist auch sachfremd, denn konkret geht es halt nur um Wahl oder Nichtwahl, nicht um mehr. Mit dem BVerfG spielt mensch nicht, denn bei der konkreten Wahl geht es nicht um Aushandlungsprozesse und zukünftiges Verhalten bei politischen Entscheidungen, sondern um konkret vorgeschlagene Personen für das BVerfG. Eine reine Sachentscheidung.

Ein prinzipielles Beharren auf einem Gespräch, um Kandidierende zu wählen, beschädigt das BVerfG als Institution. Denn es macht die Richter*innenwahl zu einer parteipolitischen Instrumentalisierung zukünftiger Machteinflüsse. Das ist der Anfang einer von politischen Interessen bestimmten Auswahl von Richter*innen am BVerfG. Etwas, was durch den Wahlausschuss explizit vermieden werden sollte. Wozu das führen kann, zeigt ein Blick nach Ungarn, Polen oder in die USA. Die Grundfrage, der sich Die Linke stellen und wo sie sich entscheiden muss ist, ob ihr die Gesprächsverweigerung der Union wert ist, sachlich nicht zu kritisierende Vorschläge für das Richter*innenamt nicht zu wählen. Die Frage ist, ob der Preis der Beschädigung des BVerfG gezahlt werden soll, um sagen zu können, die Union ist schuld.

Was bei der ganzen Debatte kaum Beachtung findet, ist die Tatsache, dass soweit ich das richtig verstanden habe, der Bewerber Spinner bereits ein Bewerber nach dem Ersatzwahlmechanismus nach § 7a BVerfGG ist. Spinner ist also ein Vorschlag des Plenums des BVerfG, was die ganze Debatte noch einmal absurder macht, denn er ist gerade kein expliziter Vorschlag der Union und die Drohung der Nichtwahl betrifft damit den Vorschlag des Plenums des BVerfG. Wird Spinner nicht gewählt, kann das Nominierungsrecht auf den Bundesrat übergehen.

Insofern verstehe ich auch Pascal Beucker nicht, der zunächst schreibt, dass Spinner „möglicherweise keine schlechte Wahl für das Bundesverfassungsgericht“ wäre, weil er „als fachlich versierter und umgänglicher Jurist“ gilt, ihm aber denn empfiehlt zu überlegen, nicht zu kandidieren. Weil, wenn die Linke wegen der Gesprächsverweigerung der Union nicht für ihn stimmt, die AfD für ihn stimmen könnte. Vielleicht überlegen Union und Linke -jede für sich- noch mal, ob sie der AfD wirklich diesen Einfluss geben wollen und ob sie riskieren wollen, dass „keine schlechte Wahl“ gar nicht gewählt wird, nur mit Mehrheit der AfD gewählt wird oder gar nicht mehr zur Wahl antritt. Alle Abgrenzungen zur AfD sind nämlich für den Allerwertesten, wenn der AfD durch eigenes Handeln die Macht gegeben wird, Einfluss auf Entscheidungen zu nehmen.

Und vielleicht kann auch noch überlegt werden, wie das BVerfG gegen diese Politisierung geschützt werden kann, indem zum Beispiel objektive Kriterien für Bundesverfassungsrichter*innen gesetzlich normiert werden, das inoffizielle Wahlvorschlagsrecht den Parteien entzogen wird und auf Standesorganisationen oder Gerichte übergeht – die parlamentarische Legitimation durch Wahlausschuss und Plenum wäre dann immer noch gewährleistet.

 

 

 

 

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