Der Ampel-Koalitionsvertrag

Die Ampelparteien von SPD, Grünen und FDP haben ihren Koalitionsvertrag vorgestellt und die Reaktionen waren meist vorhersehbar. Während auf der einen Seite der Koalitionsvertrag ausschließlich kritisiert wurde, gab es auf der anderen Seite regelrechte Loblieder. Doch das Leben ist bunter.

Wenn ich mir den Koalitionsvertrag anschaue, dann atmet er gesellschafltichen Aufbruch. Das Land wird progressiver und liberaler. Das ist erst mal nicht schlecht. Der Koalitionsvertrag hat aber eben auch Leerstellen und Fehler. Das wiederum ist nicht gut.

Der Koalitionsvertrag ist auch daran zu messen, was mit diesen drei Parteien möglich ist. Aus linker Sicht steht am Anfang einer Betrachtung, dass vorwiegend aus eigenem Verschulden die Partei DIE LINKE als potentieller Koalitionspartner gar nicht zur Verfügung stand. Nur den eigenen Maßstab anzulegen kann aus meiner Sicht also nicht überzeugen, wenn es um eine Bewertung des Koalitionsvertrages geht. Es wäre allerdings richtig darauf hinzuweisen, was mit einer Beteiligung von DIE LINKE anders oder besser möglich gewesen wäre – nicht als Vorwurf, sondern als Feststellung. Vielleicht erinnert sich ja in vier Jahren noch jemand.

Wenn ich nachfolgend Dinge aufzähle, dann ist das natürlich subjektiv und vor allem ausgewählt. Ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit. .

Positiv

Neue Formen der Einbeziehung von Bürger:innen sollen stattfinden, konkret ist vorgesehen Bürgerräte zu konkreten Fragestellungen“ einzusetzen und dabei auf gleichberechtigte Teilhabe zu achten. Das korrespondiert mit einer Nachschärfung des Lobbyregistergesetzes und der Offenlegung von Einflüssen Dritter für Gesetzentwürfe der Bundesregierung und aus dem Bundestag. Das Wahlrecht soll innerhalb eines Jahres geändert werden und mit einer Grundgesetzänderung das aktive Wahlrecht auf 16 Jahre gesenkt werden.

Im Koalitionsvertrag wird Mobilität als Teil der Daseinsvorsorge bezeichnet, was immerhin die Chance eröffnet, dies in Bezug auf die abstrakte Berechnung von Transferleistungen mit entsprechendem politischen Druck auch praktisch umzusetzen. An anderer Stelle wird sogar von bezahlbarer Mobilität gesprochen. Und im Hinblick auf die Deutsche Bahn ist festzustellen, dass diese als integrierten Konzern inklusive des konzerninternen Arbeitsmarktes im öffentlichen Eigentum erhalten bleiben soll. Beim ÖPNV soll eine gesetzliche Grundlage dafür geschaffen werden, dass Tarifverträge zur Bedingung bei Ausschreibungen gemacht werden.

Im Hinblick auf Klimaresilienz ist mir besonders aufgefallen, dass es ein Klimaanpassungsgesetz geben soll, mit dem ein Rahmen geschaffen werden soll, „um
gemeinsam mit den Ländern eine nationale Klimaanpassungsstrategie mit messbaren Zielen etwa in den Handlungsfeldern Hitzevorsorge, Gesundheits- und Allergieprävention und Wasserinfrastruktur umzusetzen„. Sicherlich, das Gesetz selbst muss dann erst noch zeigen, dass es wirklich etwas zu Klimaresilienz beiträgt.

Selbst im Bereich Arbeit und Soziales gibt es – unter Berücksichtigung, dass die FDP mitregiert- einige überraschend gute Dinge. So soll für Saisonbeschäftigte der volle Krankenversicherungsschutz ab dem ersten Tag gelten. Die öffentliche Auftragsvergabe des Bundes soll an die Einhaltung eines repräsentativen Tarifvertrages der jeweiligen Branche gebunden werden. Betriebsausgliederung bei Identität des bisherigen Eigentümers zum Zwecke der Tarifflucht soll dadurch verhindert werden, dass die Fortgeltung des geltenden Tarifvertrags sichergestellt wird. In der Realität wäre es für viele Betroffene sicherlich von großem Vorteil, wenn umgesetzt wird, dass wo immer möglich, Leistungen, die Bürgerinnen und Bürger zustehen, automatisch ausgezahlt werden. Das Mindestrentenniveau von 48 Prozent soll dauerhaft gesichert werden, es soll keine Rentenkürzungen und keine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters geben. Und für neue Selbständige soll gelten, dass sie in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert sind, sofern sie nicht im Rahmen eines einfachen und unbürokratischen Opt-Outs ein privates Vorsorgeprodukt wählen. Für die Betroffenen ebenfalls sicherlich eine Erleichterung -wenn natürlich auch nicht ausreichend- die Regelung, dass beim Bürgergeld (früher Hartz IV) in den ersten beiden Jahren des Bezuges die Leistung ohne Anrechnung des Vermögens gewährt und die Angemessenheit der Wohnung anerkannt wird. Die Anrechnung von Schüler- und Studentenjobs von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Bedarfsgemeinschaften nach dem SGB II sowie Pflege- oder Heimkindern soll entfallen. Mit der Kindergrundsicherung sollen bessere Chancen für Kinder und Jugendliche geschaffen werden. Auch hier scheint mir für die Betroffenen eine deutliche Verbesserung vorzuliegen, wenn es gelingt im Rahmen der Familienförderung bisherige finanzielle Unterstützungen – wie  Kindergeld, Leistungen aus SGB II/XII für Kinder, Teile des Bildungs- und Teilhabepakets, sowie den Kinderzuschlag – in einer einfachen, automatisiert berechnet und ausgezahlten Förderleistung zu bündeln.

Insbesondere im Familienrecht zeichnet sich nach dem Koalitionsvertrag ein Mentalitätswandel ab, der als progressiv bezeichnet werden kann. So soll das Familienrecht modernisiert werden und dazu das „kleine Sorgerecht“ für soziale Eltern ausgeweitet und zu einem eigenen Rechtsinstitut weiterentwickelt werden, das im Einvernehmen mit den rechtlichen Eltern auf bis zu zwei weitere Erwachsene übertragen werden kann. Das Institut der Verantwortungsgemeinschaft soll eingeführt werden und damit jenseits von Liebesbeziehungen oder der Ehe zwei oder mehr volljährigen Personen ermöglichen, rechtlich füreinander Verantwortung zu  übernehmen. Wenn ein Kind in die Ehe zweier Frauen geboren wird, sind automatisch beide rechtliche Mütter des Kindes, sofern nichts anderes vereinbart ist.

Zu den Punkten, die positiv zu bewerten sind, gehört auch die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften. Erwähnenswert scheint mir auch zu sein, dass ein:e unabhängige:r Polizeibeauftragte:r für die Polizeien des Bundes als Anlaufstelle beim Deutschen Bundestag mit Akteneinsichts- und  Zutrittsrechten  geschaffen wird und eine pseudonyme Kennzeichnung von Polizistinnen und Polizisten.

Zumindest auf dem Papier steht, dass das Strafrecht immer nur Ultima Ratio ist und die  Kriminalpolitik sich an Evidenz orientiert und die Evaluation bisheriger Gesetzgebung im Austausch mit Wissenschaft und Praxis stattfinden soll. Ich fürchte allerdings, dass an diesen Satz immer und immer wieder erinnert werden muss. Die Überwachungsgesamtrechnung für Sicherheitsgesetze zählt auch zu den positiv zu erwähnenden Dingen. Mit der Ampel kommt auch ein Grundsätzegesetz im Dialog mit den Ländern und den Kirchen um einen fairen Rahmen für die Ablösung der Staatsleistungen zu schaffen. Der § 219a StGB soll gestrichen werden.

Ein Partizipationsgesetz soll vorgelegt und ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht, welches die Mehrfachstaatsangehörigkeit ermöglicht und den Weg zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit vereinfacht, geschaffen werden. 

Als Lehre aus der Corona-Pandemie soll es ein Gesundheitssicherstellungsgesetz geben, mit dem insbesondere die effiziente und dezentrale Bevorratung von Arzneimittel- und Medizinprodukten sowie regelmäßige Ernstfallübungen für das Personal für Gesundheitskrisen sichergestellt werden soll. Es wäre schön, wenn das möglichst schnell in die Wege geleitet werden könnte.

Leerstellen/Kritik

Die Aussage in der Präambel , dass in die Modernisierung des Landes umfassend investiert werden muss endet mit „privat wie öffentlich“. Wenn aber folgt, dass dies im Rahmen der „bestehenden Schuldenregel des Grundgesetzes“ geschehen soll, ist auch klar, dass hier Grenzen gesetzt sind. Vermutlich ist mit der FDP nichts anderes machbar gewesen, aber das Festhalten an der Schuldenbremse könnte das Vorhaben, zumindest was die öffentlichen Investitionen angeht, schnell zum stoppen bringen.

Wenn auf der Haben-Seite die Stabiliät des Rentenniveaus steht, dann wird dies aber offensichtlich damit bezahlt, dass die gesetzliche Rentenversicherung um eine teilweise Kapitaldeckung erweitert wird. Und es ist zumindest enttäuschend, dass lediglich geprüft wird, ob die soziale Pflegeversicherung um eine freiwillige, paritätisch finanzierte Vollversicherung ergänzt werden soll.

Der Verzicht auf ein generelles Tempolimit zählt zu den großen Enttäuschungen im Koalitionsvertrag, ebenso die Tatsache, dass die Anzahl der Kurzstreckenflüge lediglich verringert werden soll. 

Ein windelweicher Kompromiss ist der Satz: „Wir werden für Menschen mit ungeklärtem Versicherungsstatus, wie insbesondere Wohnungslose, den Zugang zur Krankenversicherung und zur Versorgung prüfen und im Sinne der Betroffenen klären.“ Entweder es wird geprüft oder es wird im Sinne der Betroffenen geklärt. Wenn unbedingt das Wort „prüfen“ enthalten sein muss, dann wird halt geprüft wie im Sinne der Betroffen das sichergestellt wird. Aber eigentlich sollte es doch sichergestellt werden.

Auch beim Thema bezahlbares Wohnen gibt es zwar einen kleinen Fortschritt, der aber längst nicht ausreichend ist. So soll in angespannten Märkten die Kappungsgrenze auf elf Prozent in drei Jahren abgesenkt und die Mietpreisbremse bis zum Jahre 2029 verlängert werden.

Beim Thema Staatsangehörigkeit blieb leider außen vor, dass mit der Geburt in Deutschland die deutsche Staatsangehörigkeit erworben wird. Stattdessen sollen in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern nur dann mit ihrer Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten, wenn ein Elternteil seit fünf Jahren einen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat.

Bei dem Kapitel Integration, Migration und Fluch gibt es Licht und Schatten. Enttäuscht hat mich, dass  vereinbart wird irregeluäre Migration zu reduzieren und das Asylbewerberleistungsgesetz statt abzuschaffen lediglich weiterentwickelt werden soll. Und es wird beschönigend von einer „Rückführungsoffensive, um Ausreisen konsequenter umzusetzen“ gesprochen, wenn es darum geht, Menschen aus dem Land zu weisen. Da hätte ich mir mehr Liberalität gewünscht.

Was wäre wenn ….

Der Koalitionsvertrag zeigt aber eben auch auf, was alles möglich gewesen wäre, wenn es eine Option oder gar eine Realisierung von r2g gegeben hätte. Das dies nicht möglich ist, scheint mir das eigentlich dramatische Versagen zu sein. Und das ist ziemlich bitter:

– Beim Thema Rente wäre eine Rente für Alle denkbar gewesen. Also eine Rentenversicherung, in die alle Erwerbstätigen einzahlen.

– Eine Vermögenssteuer oder wenigstens eine höhere Erbschaftssteuer wäre nicht ausgeschlossen gewesen.

– Die Bürgerversicherung bei der Krankenversicherung wäre wohl mit ziemlicher Sicherheit gekommen und möglicherweise wären die Krankenhäuser wenigstens in großen Teil der Profitlogik enzogen worden. An diesen Punkt will der Koalitionsvertrag gar nicht ran.

– Hartz IV heißt jetzt Bürgergeld, an der Grundausrichtung ändert sich leider so gut wie nichts. Ob eine sanktionsfreie Mindestsicherung mit r2g durchsetzbar gewesen wäre weiß ich nicht. Aber mindestens ein Sanktionsauschluss, scheint mir, wäre drin gewesen.

– Im Bereich des Mieter:innenschutzes wäre deutlich mehr möglich gewesen, als jetzt vereinbart, beispielsweise eine einfrieren der Mieten in angespannten Wohnungsmärkten.

– Ein Abschaffung des § 218 StGB schiene mir mit r2g möglich gewesen zu sein.

Wie immer 🙁 …. 

… findet sich im Koalitionsvertrag folgende Passage: „Im Deutschen Bundestag und in allen von ihm beschickten Gremien stimmen die Koalitionsfraktionen  einheitlich ab. Das gilt auch für Fragen, die nicht Gegenstand der vereinbarten Politik sind. Wechselnde  Mehrheiten sind ausgeschlossen.“

Ich finde diese Vereinbarung grundsätzlich falsch, fürchte aber dass selbst r2g sich nicht darauf verständigen könnte, dass 5-10 Projekte gemeinsam vereinbart werden und daneben mit wechselnden Mehrheiten abgestimmt wird. Dabei wäre genau das für einen lebendigen Parlamentarismus richtig gut.

 

 

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