Keine Senkung von Unterschriftenquoren trotz Pandemie

Der 2. Senat des BVerfG sieht keine Notwendigkeit das Unterschriftenquorum für die Teilnahme an der Bundestagswahl zu senken.

Die Entscheidung ist für mich aus vielerlei Gründen nicht wirklich nachvollziehbar. Geklagt hatten Parteien, die auf Grund einer Regelung im Wahlgesetz für einen Antritt zur Bundestagswahl Unterstützungsunterschriften beibringen müssen. Ich halte dies schon grundsätzlich für problematisch (1.) im konkreten Pandemiefall aber noch einmal mehr (2.).

Grundsatzproblem mit Unterstützungsunterschriften

In der herrschenden Literatur und vor allem in der Rechtsprechung ist die Voraussetzung, für einen Wahlantritt Unterstützungsunterschriften beibringen zu müssen (§ 20 Abs. 2 Satz 2 und § 27 Abs. 1 Satz 2 BWahlG), unstrittig. Zu Unrecht, finde ich.

Unterstützungsunterschriften in der Pandemie

Unabhängig von den Ausführungen zuvor herrschen nun aber mit der Pandemie besondere Zeiten. Zunächst aus meiner Sicht zutreffend und richtig ist, dass der 2. Senat in Rdn. 28 festhält, dass soweit „dem Grunde nach eine Handlungspflicht des Gesetzgebers besteht, (…) ihm bei der Wahrnehmung dieser Pflicht in der Regel ein weiter Gestaltungsspielraum eröffnet (ist).  (…) Nur in seltenen Ausnahmefällen lässt sich der Verfassung eine konkrete Handlungspflicht entnehmen, die zu einem bestimmten Tätigwerden zwingt.

Unabhängig von der Frage, ob die klagenden Parteien ihrer Substantiierungspflicht ausreichend nachgekommen sind. Scheint mir, dass die Ausführung in Randnummer 32 vom BVerfG nicht auf den konkreten Sachverhalt angewendet worden ist. Demnach hat der Gesetzgeber

„eine die Wahlrechtsgleichheit und die Chancengleichheit berührende Norm des Wahlrechts zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern, wenn deren verfassungsrechtliche Rechtfertigung durch neuere Entwicklungen infrage gestellt wird. (…) Bei dem ihm gemäß Art. 38 Abs. 3 GG obliegenden Ausgleich der Wahlrechtsgrundsätze und der sonstigen Verfassungsgüter hat er sich an der politischen Wirklichkeit zu orientieren. (…) Folglich ist der Gesetzgeber verpflichtet, bei neu auftretenden Entwicklungen, die unvorhergesehene Gefahren für die Integrität der Wahl als zentralem demokratischen Legitimationsvorgang mit sich bringen können, die von ihm geschaffenen Regelungen zu überprüfen (…).“ 

Nun wird kaum jemand bestreiten, dass die mit der Corona-Pandemie einhergehenden Kontaktbeschränkungen, noch einmal verstärkt durch die Regelungen des § 28b IfSG, das Sammeln von Unterstützungsunterschriften deutlich erschweren. Wenn aber wegen dieses Umstandes nich ausreichend Unterschriften gesammelt werden können und deshalb eine Partei nicht zur Wahl antreten kann, gefährdet das aus meiner Sicht auch die Integrität der Wahl. Es scheint mir offensichtlich, dass hier eine ganz massive Einschränkung der Parteien stattfindet, die für einen Wahlantritt Untereschriften zu sammeln haben. Explizit verweist der  2. Senat darauf, dass schon für die Sperrklausel anerkannt ist, diese könne „nicht ein für alle Mal abstrakt beurteilt werden„. Vielmehr sei es so, dass „wenn sich die vom Gesetzgeber vorausgesetzten tatsächlichen oder normativen Grundlagen (ändern) oder sich die beim Erlass der Norm hinsichtlich ihrer Auswirkungen angestellten Prognosen als irrig (erweisen)„, der Gesetzgeber zu entscheiden habe, ob er die Normen beibehält oder anpasst.

Genau das ist hier aber m.E. gegeben und aus meiner Sicht muss, wenn der Gesetzgeber sich diese Frage nicht stellt, eben ein Gericht entscheiden. Der 2. Senat kommt aber gar nicht so weit. Er weist in Randnummer 48 darauf hin, die klagenden Parteien hätten die Pandemie-Verordnungen der einzelnen Länder und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Sammlung von Unterstützungsunterschriften darlegen müssen. Warum dies nun zwingend erforderlich sein soll, wenn der 2. Senat doch selbst erkennt, dass die „in der Vergangenheit vorrangig eingesetzten Möglichkeiten des persönlichen Kontakts und der spontanen Gesprächsaufnahme auf der Straße, auf öffentlichen Plätzen oder bei Veranstaltungen mit dem Ziel, Personen zur Abgabe von Unterstützungserklärungen zu gewinnen (…) in erheblich geringerem Maße eröffnet (sind) als unter normalen Umständen.“  Er sieht sogar, dass es „nicht fernliegend (ist), dass aus Angst vor einer Infektion eine geringere Zahl an Parteimitgliedern für das Sammeln von Unterschriften im öffentlichen Raum zur Verfügung steht„.

Um nun aber der sich aus meiner Sicht ergebenden Schlussfolgerung, Unterstützungsunterschriften herabsetzen oder für diese Wahl streichen zu entgehen, argumentiert der 2. Senat streng formalistisch (Rdn 52), dass die klagenden Parteien nicht hinreichend dargelegt haben, dass es eine Verengung des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers dahin gibt, das Unterschriftenquorum auszuseten oder herabzusenken. Ich finde hingegen, dass das offensichtlich ist.

PS: Es ist ausgesprochen interessant, dass der Senat, der bei der Entscheidung zum Mietendeckel das explizit vorgetragene Argument des § 558 Abs. 2 Satz 2 BGB komplett ignoriert, nun einen ungenügenden Vortrag rügt.

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