Vielleicht geht es doch? Vielleicht ist eine andere Art des Regierens möglich. Vielleicht kann der Parlamentarismus lebendiger werden?
Eine lebendigere Demokratie verlangt einen Bruch mit festgezurrten und als unabänderlich angesehenen Verfahrensweisen, die zum Ritual verkommen sind. Hier Oppositionsfraktion, dort Regierungsfraktion. Hier ein Koalitionsvertrag, der zu gegenseitiger »Treue« im Abstimmungsverhalten (und damit Fraktionszwang) verpflichtet, dort Vorführpolitik oder auch »Landesregierungsbullshitbingo«. Bei letzterem reicht die Oppositionsfraktion eine Bundesratsinitiative eines Landes, in dem einer der Koalitionspartner an der Regierung ist, in den Bundestag als Antrag ein. Die Initiative scheitert, weil ja im Koalitionsvertrag gegenseitige »Treue« vereinbart wurde. Unter großem Aufgepluster empört sich die Oppositionsfraktion, wie denn so ein widersprüchliches Verhalten zustandekommen kann. Bis eine der Regierungsfraktionen mit einem Beispiel kommt, das dann ein ähnlich widersprüchliches Verhalten der Oppositionsfraktion im Bundestag und einem Land, in dem die Oppositionspartei in der Regierung ist, aufzeigt. Das ist ermüdend. Eine lebendige Demokratie verlangt nach Aufklärung, nicht nach Populismus. Landesregierungsbullshitbingo ist ebenso antiaufklärerisch wie Vorführanträge. Wissend, dass in einer Koalition die Koalitionspartner nicht gegeneinander stimmen, dienen Anträge, die sich auf Parteitagsbeschlüsse des einen Koalitionspartners beziehen, nur dem Klamauk, der kurzfristigen Stimmungsmache und führen am Ende zu Verdummung. Verdummung wird angewendet, wenn sich jemand einen parteitaktischen Vorteil verspricht. Dann geht es nicht mehr darum, um das bessere Argument zu ringen, dann geht es um Krawall. Das schadet der Demokratie.
Der Schlüssel zu einer lebendigeren parlamentarischen Demokratie liegt aus meiner Sicht in einer anderen Art des Regierens. Für r2g habe ich das hier und hier mal formuliert. Kernidee dieser seit einigen Jahren vertretenen Position: Die Koalitionspartner vereinbaren 10-15 (oder 5-10) gemeinsame Projekte. Für diese vereinbarten Projekte gilt, dass die Abgeordneten der Koalitionsparteien nicht gegeneinander stimmen, sondern für diese vereinbarten Projekte. Für alle anderen Vorschläge muss sich im Parlament eine Mehrheit gesucht werden.
Statt starrer Koalitionskorsette, die zu einem erstarrten und ritualisierten Parlamentarismus führen, ein Regieren mit wechselnden Mehrheiten. Ganz aktuell könnte beispielsweise durch so ein Modell der § 219a StGB gestrichen oder zumindest abgeschwächt werden. Denn, soweit ich das mitbekommen habe, wollen SPD, FDP, Grüne und LINKE an diesen Paragrafen ran. Sicherlich, es werden sich bei wechselnden Mehrheiten auch Mehrheiten finden, die Dinge beschließen, die ich blöd finde. Aber das gab es mit dem starren Koalitionskorsett ja auch zur Genüge.
Für den demokratischen Meinungsstreit, einen lebendigen Parlamentarismus ist eine Kooperationskoalition #KoKo eine gute Sache. Glaube ich jedenfalls.
Die Idee hat zweifellos Charme.
Eine erste Möglichkeit wäre ein nationales Vorgehen gegen Glyphosat.
Die taz hat die Möglichkeit bereits angedeutet: http://www.taz.de/!5463714/
Gleichfalls könnte eine LINKE-GRÜNE-SPD-FDP-Mehrheit den unsäglichen § 219a aus der Welt schaffen.
Interessante Betrachtung, Frau Wawzyniak.
Was spricht denn aber gegen eine Minderheitsregierung? Das wäre meines Erachtens nach eine weitaus lebendigere demokratische Konstellation als irgendwelches im reinen Interesse des Machterhalts wildes hin- und her-koalieren. Wer keine Mehrheit hat, der kann nicht mal eben irgendwelche einsamen Entscheidungen als „alternativlos“ hinstellen.
Den Vorschlag der SPD zu einer „Kooperationskoalition“ sehe ich persönlich als Ansinnen, zwar mal wieder mitregieren zu wollen (Pöstchenschacherei) ohne am Ende der Legislaturperiode die Verantwortung für irgendetwas übernehmen zu wollen!
Bezüglich des „Fraktionszwangs“ (Fraktionsdisziplin) wird meiner Ansicht nach auch viel zu wenig darüber gesprochen, dass diese(r) im Grunde genommen eine Verfassungswidrigkeit darstellt, da gemäß Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 Abgeordnete „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ sind.
Wieder meiner Ansicht nach wäre es dringend notwendig, ein allgemeines „Koalitionsverbot“ ins Grundgesetz aufzunehmen. Nirgends steht geschrieben, dass eine Regierung zwangsweise die Stimmenmehrheit haben muss.
nichts spricht gegen eine minderheitsregierung. aber realpolitisch ist eine koko wahrscheinlicher (wenn auch nicht wahrscheinlich).