Über die geplante Verschärfung des (Sexual)Strafrechts habe ich bereits hier geschrieben. Via Twitter bin ich nun auf den in der Presse schon breit diskutierten diesbezüglichen Referentenentwurf gestoßen, im Rahmen eines guten Kommentars von Thomas Stadler zu diesem Thema.
Ich will an dieser Stelle nur auf einige wenige Dinge eingehen. Ich gehe davon aus, im parlamentarischen Verfahren wird es noch genügend Zeit geben detaillierter auf den später dann Gesetzentwurf einzugehen. Der Referentenentwurf ist jedenfalls -das ist beim ersten Überfliegen bereits klar – nicht nur einer zur Änderung des Sexualstrafrechts. Und in meinen Augen ist er nicht zustimmungsfähig.
1) Der Anwendungsbereich des § 5 StGB, der für Auslandstaten mit besonderen Inlandsbezug (neue Überschrift) überhaupt erst die Anwendbarkeit des StGB eröffnet, wird ausgeweitet. Nach der Begründung des Gesetzentwurfes ist dies auf Grund der Richtlinie zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie nötig. Unter die Anwendbarkeit des StGB fallen dann auch bestimmte Formen der Zwangsheirat (§ 237 StGB). Gleiches gilt für im Einzelnen aufgezählte bestimmte Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (zum Beispiel sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen und sexueller Nötigung, Vergewaltigung) und bestimmte besonders schwere Formen des auch versuchten Schwangerschaftsabbruchs (der Referentenentwurf spricht insoweit von Zwangsabtreibung). Da das deutsche Strafrecht den Straftatbestand der Zwangssterilisation nicht kennt, soll die Strafbarkeit durch Aufnahme der schweren Körperverletzung (§ 226 StGB) erfasst werden. Die seit kurzem geltende Strafbarkeit der weiblichen Genitalverstümmelung wird ebenfalls in den Katalog des § 5 StGB aufgenommen.
2) Es werden diverse Änderungen im Sexualstrafrecht vorgeschlagen.
Zunächst sollen einige Verjährungsfristen für im weitesten Sinne Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung verlängert werden. Schon das finde ich schwierig. Denn es geht hier um strafrechtliche Verjährungsfristen und wenn diese nach hinten geschoben werden, dann wird auch eine ggf. auszusprechende Freiheitsstrafe nach hinten geschoben. Um es klar und deutlich zu sagen: eine zivilrechtliche Verlängerung von Verjährungsfristen finde ich an dieser Stelle sinnvoll, nicht aber eine strafrechtliche. Denn diese beeinhaltet, dass jemand für eine mehrere Jahre zurückliegende, ggf. sogar einmalige Tat viele Jahre später strafrechtlich zur Verantwortung gezogen und möglicherweise mit Freiheitsentzug bestraft wird. Die Resozialisierungsaufgabe des Strafvollzuges kann hier aber gar nicht mehr greifen und dem Opfer kann durch zivilrechtliche Schadensersatzansprüche in meinen Augen besser geholfen werden.
Des weiteren wird der § 174 Abs. 2 StGB (Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen) erweitert. Strafrechtlich erfasst werden sollen dies sog. Vertretungslehrerfälle.
Die Strafbarkeit des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176a StGB) wird um die Begehungsform des Einwirkens mittels Informations- und Kommunikationstechnologie erweitert. Begürndet wird dies damit, das der Schriftenbegriff des StGB nur Speichermedien umfasse.
Besondere Beachtung verdient in meinen Augen die Veränderung in § 184b StGB. Diese nimmt einer Erweiterung des Kinderpornografie-Begriffs vor und erstreckt Kinderpornografie auf die „Wiedergabe eines ganz oder teilweise unbekleideten Kindes in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung“. Gleiches soll auch für Jugendpornografie gelten. Nach der Rechtsprechung des BGH fällt aber das Einnehmen einer unnatürlichen, geschlechtsbetonten Körperhaltung bereits jetzt unter den Begriff der sexuellen Handlung im Sinne der §§ 184b und 184c StGB, worauf der Referentenentwurf auf Seite 18 auch hinweist. Nach der Begründung soll nunmehr unter den § 184b StGB auch die „unwillkürlich eingenommene geschlechtsbetonte Körperhaltungen, etwa durch ein schlafendes Kind“ fallen. Es soll „nicht mehr auf das Einnehmen dieser Körperhaltung als sexuelle Handlung ankommen, sondern lediglich auf die Körperhaltung selbst„. Ich verstehe das Anliegen hinter diesem Vorschlag, mir scheint aber auch fehlt es am Bestimmtheitsgebot. Meine Befürchtung ist: Hier entsteht Rechtsunsicherheit, wenn ein schlafendes Kind fotografiert wird. Denn niemand kann sich sicher sein ob dieses Foto nicht gerade eine Aufnahme in einer „geschlechtsbetonten Körperhaltung“ ist.
Mit der Änderung des § 184d StGB wird auch der Straftatbestand der Verbreitung pornografischer Darbietungen durch Rundfunk, Medien- oder Teledienste erweitert. Ausweislich der Begründung soll es um Fälle gehen, in denen kinder- und jugendpornografische Seiten „lediglich aufgerufen und betrachtet, aber vom Betrachter nicht dauerhaft abgespeichert werden„. Ganz vorsichtig würde ich hier mal die Frage aufwerfen wollen, wie dies ermittelt werden soll. Dies um so mehr, als im weiteren Verlauf der Begründung von einem bewussten und gewollten Aufruf solcher Seiten die Rede ist.
3) Die in der Öffentlichkeit derzeit am meisten beachtete Neuregelung betrifft den § 201a StGB. Konkret lautet die Änderung: „Ebenso wird bestraft, wer unbefugt eine bloßstellende Bildaufnahme von einer anderen Person oder unbefugt eine Bildaufnahme von einer unbekleideten anderen Person herstellt oder überträgt.“ Halleljua. Das genügt weder dem Bestimmtheitsgebot (was ist eine bloßstellende Bildaufnahme?) noch ist es angemessen und verhältnismäßig. Da aber der neue § 201a StGB bislang schon im Mittelpunkt der öffentlichen Auseinandersetzung stand will ich auf diesen gar nicht intensiver eingehen, denn alles wichtige und richtige insbesondere im Hinblick auf die Pressefreiheit ist bereits gesagt worden (auf den Blogbeitrag von Thomas Stadler habe ich schon verwiesen, auch die taz hat einen guten Kommentar veröffentlicht). In der Begründung wird zum Beispiel auf „betrunkene Personen auf dem Heimweg“ abgestellt. Neben diesen Ausführungen scheint mir noch der Fakt interessant zu sein, nämlich das jegliche „unbefugte Bildaufnahme einer unbekleideten anderen Person“ ebenfalls strafbar sein soll. Wer demnächst also am Ostsee- oder Nordseestrand (oder wo auch immer) ein schickes Foto macht und dabei eine/n Nacktbader/in erwischt ist strafbar. Zumindest kann das sein. In der Begründung wird namentlich auf „Bildaufnahmen unbekleideter Kinder“ verwiesen, allerdings stellt der Referentenentwurf auf Personen ab und nicht auf Kinder. Zusätzlich kommt hinzu, dass die Neuregelung aus einem sog. Antragsdelikt ein relatives Antragsdelikt macht. Bisher musste zur Verfolgung einer Straftat nach § 201a StGB eine Strafanzeige erstattet werden, jetzt reicht bei besonderem öffentlichen Interesse die Kenntnisnahme solcher Bilder aus um Ermittlungen einzuleiten.
4) Der Volksverhetzungsparagraf (§ 130 StGB) und der Gewaltdarstellungsparagraf (§ 131 StGB) werden ebenfalls verändert. Hat zwar nicht wirklich was mit Sexualstrafrecht zu tun, aber das macht nun auch nichts mehr. Die meisten Änderungen sind redaktioneller Art, richtig neu ist lediglich die Strafbarkeit des Versuchs der Volksverhetzung sowie die Erweiterung des Straftatbestandes auf die Zugänglichmachung vollksverhetzender Inhalte mittels Rundfunk und Telemedien. Den Mehrwert der Versuchsstrafbarkeit konnte ich angesichts der Strafbarkeit von Vorbereitungshandlungen (Herstellen, Beziehen, Liefern, Vorrätighalten, Anbieten, Ankündigen, Anpreisen, Unternehmen der Ein- und Ausfuhr zum Zwecke der späteren Verwendung) nicht erkennen.
Mein Fazit nach erster Durchsicht des Referentenentwurfes lautet: Dieser Gesetzentwurf ist in meinen Augen nicht zustimmungsfähig. Und genau ein solches „Nein“ werde ich meiner Fraktion auch empfehlen.
Mit Stand vom 13. April 2014 kritisieren bereits 27 Erstunterzeichner: Wissenschaftler und Experten aus Kriminologie, Strafrechtswissenschaft, Psychiatrie und Psychologie den neuesten Maas-Entwurf:
http://criminologia.de/2014/04/keine-weiteren-verschaerfungen-im-sexualstrafrecht/
Offenbar haben sich zahlreiche Fachleute im Nachgang zur Edathy-Affaire bereits ihre Gedanken gemacht. Weitere werden sich anschließen.
Sie kommen zu dem Ergebnis, dass der Diskurs über den sexuellen Missbrauch von Kindern „weit über sein Ziel hinausgeschossen ist“. In der Tat ist das Sexualstrafrecht in den vergangenen ca. 20 Jahren im Zuge dieses Diskurses immer wieder erweitert und verschärft worden. Missbrauchsopfer haben sich erfolgreich zusammengeschlossen und den Diskurs befeuert. Wer widersprach oder zur Versachlichung aufrief, wurde diffamiert. Dabei wurden die Grundrechte immer weiter ausgehöhlt. Die negative sexuelle Freiheit wurde überbetont, während die positive Freiheit, die positive sexuelle Selbstbestimmung des Einzelnen auf der Strecke blieb. Die Sexualprozesse gleichen zunehmend den Hexenprozessen des Mittelalters.
Bestraft werden darf nur wer anderen nachweislich einen Schaden zugefügt, bzw. andere in ihren Rechten verletzt hat. Wer das nicht tut, hat ein Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 GG). Nacktaufnahmen herzustellen schädigt niemanden. Wer Aufnahmen von Kindern oder Erwachsenen BESITZT schadet dadurch niemandem, vor allem nicht wenn es sich um anonyme Netzkopien handelt.
Für das Strafrecht gibt es einen klaren Auftrag, den Rechtsgüterschutz der Einzelnen. Abstrakte Gefährdungsdelikte passen dazu nicht. Einvernehmliches Handeln, nichtschädigendes Verhalten und Zensur von Bildern und Texten gehören nicht hinein.
Die strafrechtlichen Erörterungen kann ich nicht beurteilen.
Mich bewegt mehr, dass man einerseits durch technischen Neuerungen – mit der Erfindung und massenhaften Verbreitung von Fotoapparaten – nach und nach Ein- und Übergriffe in und auf die Privatheit anderer Menschen mehr und mehr zur Normalität erklärte, anstelle von Anfang an solche Ein- und Übergriffe zu unterbinden. Und zwar nicht über das Urheberrecht und das Recht am eigenen Bilde, sondern grundsätzlich. Warum auch sollte ich mich von irgendwem fotografieren lassen, wenn auch nur als zufällig aber gut erkennbare im Bereich des Fotografen zum Zeitpunkt der Aufnahme befindliche Person?
Das hat sich mit neuer Technik – ‚Handykameras, Googledatenbrillen‘ – und einer gewissen öffentlichen Verwahrlosung und Respektlosigkeit sogar noch ausgebreitet, wo sich jeder berechtigt fühlt, alles zu fotografieren, ohne jemanden zu fragen oder das Foto tatsächlich nur auf die ihm bekannten und mit der Aufnahme einverstandenen Personen zu beschränken, was, nebenbei bemerkt, technisch und fotografisch recht einfach ist. Die elektronischen Aufnahmen lassen sich ja nun aufgrund der vernetzten Computer [‚Internet‘] sofort verbreiten, ohne dass man da unmittelbar etwas gegen unternehmen kann. Damit kann man eben auch unmittelbar dem Spott, Hohn und der Verächtlichmachung durch Bloßstellung durch andere ausgesetzt werden.
‚… Wer demnächst also am Ostsee- oder Nordseestrand (oder wo auch immer) ein schickes Foto macht und dabei eine/n Nacktbader/in erwischt ist strafbar. …‘
Zu Zeiten und in der DDR war das wohl kein Problem, das setzt aber auch eine andere Gesellschaft, ein anderes Menschenbild sowie einen anderen Umgang der Menschen miteinander voraus, die, das und den es nicht mehr gibt.
‚… Mit der Änderung des § 184d StGB wird auch der Straftatbestand der Verbreitung pornografischer Darbietungen durch Rundfunk, Medien- oder Teledienste erweitert. Ausweislich der Begründung soll es um Fälle gehen, in denen kinder- und jugendpornografische Seiten “lediglich aufgerufen und betrachtet, aber vom Betrachter nicht dauerhaft abgespeichert werden“. Ganz vorsichtig würde ich hier mal die Frage aufwerfen wollen, wie dies ermittelt werden soll. Dies um so mehr, als im weiteren Verlauf der Begründung von einem bewussten und gewollten Aufruf solcher Seiten die Rede ist. …‘
Das ist offensichtlich: mit einer Totalüberwachung aller Bürger.
Der Grund für diesen Eiertanz liegt aber einfach in der bigotten sowie durch und durch verkommenen Haltung der Bürgerlichen [CDU/CSU-SPD-Grüne-FDP] begründet, die bestimmte Bereiche pornografischer Darstellung erst ermöglichen und eben als dem ‚heiligen Markt‘ zugehöriges und damit grundsätzlich gutes Geschäft erklären. Angefangen von den überall und auch durch Kinder einsehbaren Nacktbildern in der Bild bis hin zu abscheulichen und krankhaften Verirrungen. So, wie SPD&Grüne das auch mit ihrem Prostitutionsförderungsgesetz machten. Das dahinter und dem zugrundeliegende Menschen- und Weltbild muss man sich vor Augen führen, und zwar jedesmal, wenn man mit diesen Leuten zusammentrifft. Es durchzieht deren ganzes Denken und Fühlen, von der Agenda 2010 bis hin zu den hier jetzt diskutierten Gesetzen.
Die bisher schweigende Vielfalt sollte Ihre Stimme erheben, um dazu beizutragen, eine erneute Verschärfung des Sexualstrafrechts zu verhindern. Ich bin davon überzeugt, dass es trotz bestehender Ängste, eine Mehrheit unter den Experten und dem aufgeklärten Bürger/In gibt. Die Art und Weise der Berichterstattung in den Medien spielt bei der Aufklärung zu diesem brisanten Themenkomplex eine ganz entscheidende Rolle. Die Medien sind bekanntlich die sogenannte ungeschrieben 4. Macht im Staat(1. Legislative, 2. Exekutive, 3. Judikative) . Der Meinungsbildungsprozess in einer Gesellschaft wird maßgeblich durch die Medien bestimmt. Deshalb ist es sehr wichtig, dass diese Criminologia-Erklärung eine große Präsenz in den Medien findet. Meinen Anteil daran werde ich auch weiterhin leisten. Das sich nun auch die Fraktion Die LINKE kritisch zum Gesetzesvorhaben von Heiko Maas äußert, freut mich. Die geplanten Erweiterungen in §§ 184b und insbesondere im § 184c sowie im § 201a StGB verletzen klar das Bestimmungsgebot. Niemand wir genau wissen, was legal ist und was illegal sein soll. Das geht gar nicht…
Mit freundlichen Grüßen
Dieter Gieseking
@dieter.gieseking: im moment habe erst mal ich mich geäußert. ob die fraktion das teilt, wird sich zeigen. aber ich bin ganz optimistisch. schließlich haben wir als linke von anfang an gesagt, wir lehnen die strafrechtsverschärfung ab.
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