Offensichtlicher Missbrauch des Fragerechts

Das Fragerecht von Abgeordneten ist Gegenstand umfassender Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Kleine Anfragen im Bundestag können nicht von Abgeordneten allein eingebracht werden, sondern nur von Fraktionen (§ 76 Abs. 1 GO BT iVm § 75 Abs. 3 GO BT). Die Rechtsprechung zum Fragerecht ist aber auf die Kleinen Anfragen übertragbar.

Die aktuellste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) explizit zum Fragerecht ist aus dem Dezember 2022. Das BVerfG wiederholt die ständige Rechtsprechung, dass dem Frage- und Informationsrecht eine grundsätzliche Antwortpflicht der Bundesregierung gegenübersteht (Rn. 53). Das Frage- und Informationsrecht existiert aber nicht nur einfach so, sondern hat einen bestimmten Zweck. Das BVerfG formuliert den Sinn und Zweck des Fragerechts wie folgt: „Ohne Beteiligung am Wissen der Regierung kann das Parlament sein Kontrollrecht ihr gegenüber nicht ausüben. Daher kommt dem parlamentarischen Informationsinteresse besonders hohes Gewicht zu, soweit es um die Aufdeckung möglicher Rechtsverstöße und vergleichbarer Missstände innerhalb von Verwaltung und Regierung geht.“ (Rn. 54). Im Hinblick auf die Grenzen des Frage- und Informationsrechtes verweist das BVerfG auf die in ständiger Rechtsprechung genannten Gründe, die ihren Grund im Verfassungsrecht haben müssen: Zuständigkeitsbereich der Regierung, Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung, Grundrechte Dritter und Staatswohl (Rn. 58).

Kein offizieller Grund, weil vermutlich noch nie dem BVerfG vorgelegt, ist die Grenze der Abwälzung eigener Recherchearbeit auf die Verwaltung in den Ministerien und offensichtlicher Missbrauch. Wenn der Sinn & Zweck des Frage- und Informationsrechts von Abgeordneten vor allem der Kontrolle der Regierung dient, dann fällt unter die Kontrolle der Regierung nicht, was im Internet öffentlich zugänglich ist und Dinge, die gar nicht in den Verantwortungsbereich der Regierung fallen.

Unter Zugrundelegung dieser Kriterien ist –jenseits einer politischen-inhaltlichen Bewertung- die Kleine Anfrage der CDU/CSU zur politischen Neutralität staatliche geförderter Organisationen vor allem ein Beweis für Faulheit und des Missbrauchs des Fragerechts. Der CDU/CSU geht es nicht darum etwas zu erfahren oder die Regierung zu kontrollieren. Die meisten der aufgeworfenen Fragen fallen gar nicht in den Zuständigkeitsbereich der Bundesregierung und könnten auch nur beantwortet werden, wenn es ein lückenloses Monitoring gemeinnütziger Organisationen geben und die Bundesregierung statt der Finanzämter über die Gemeinnützigkeit entscheiden würde.

In der Frage 1 will die Union wissen, welche gemeinnützigen Körperschaften in der 20. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages mit Bundesmitteln gefördert werden. Die Union hätte auch ihre Mitglieder des Haushaltsausschusses fragen oder auf die Webseite www.foederdatenbank.de gehen und dort „Demokratie“ oder „Klima“ (oder was auch immer sie wissen will) eingeben können (Recherchezeit 30 Sekunden). Dann wüsste die Fraktion zunächst, welche Förderprogramme es überhaupt gibt. Wenn beispielsweise das Programm „Demokratie leben!“ genommen wird, kann unter dem Unterpunkt Förderung und dort unter dem Punkt „Wen wir fördern“ und „Frühere Förderperioden“ sehr gut nachvollzogen werden, wer Geld erhalten hat (Auffindbarkeit der Seite und der Unterpunkte in einer Recherchezeit von 30 Sekunden). Aber gut, so werden halt staatliche Gelder dafür ausgegeben, dass die Verwaltung Dinge aufschreibt die Fraktionen auch selbst recherchieren könnten.

Gehen wir weiter zur Frage 2, in der die Unionsfraktion wissen möchte, wie sich die Strukturen und Arbeitsweisen von mildtätigen gemeinnützigen Körperschaften und politisch aktivistischen gemeinnützigen Körperschaften unterscheiden. Mir ist der Begriff „politisch aktivistische gemeinnützige Körperschaft“ nicht bekannt, in dem § 52 Abgabenordnung (AO), der für das Steuerrecht die Gemeinnützigkeit definiert, kommt er auch nicht vor. Wie soll sich etwas unterscheiden, was es gar nicht gibt bzw. was rechtlich gar nicht definiert ist?

Mit der Frage 5 will die Fraktion wissen, ob es Beispiele gemeinnütziger Organisationen gibt, die sich bewusst aus politischen Debatten heraushalten und wenn ja, welche? Die Fragestellenden müssten hier wiederum gefragt werden, ob sie davon ausgehen, dass die Bundesregierung alle gemeinnützigen Organisationen lückenlos darauf überwacht, ob sie sich bewusst aus politischen Debatten heraushalten und dies dann dokumentiert oder wie sich die Fraktion die Beantwortung der Frage sonst vorstellt.

Wenn die Union in Frage 7 wissen will, wie sich die Rechtsprechung in Deutschland zur politischen Betätigung gemeinnütziger Organisationen in den letzten Jahren entwickelt hat, hat dies nichts mit Kontrolle der Regierung zu tun. Wenn das die Union wirklich interessiert, setzt sie ihre Juristen*innen an die juristischen Datenbanken und diese können das dann recherchieren. Im Übrigen weiß die Fraktion sehr genau, wie die Rechtsprechung aussieht, verweist sie doch in Frage 9 explizit auf den Attac-Beschluss des Bundesfinanzhofes.

Völlig absurd wird es wenn die Unionsfraktion zu einzelnen Organisationen fragt. Ich nehme hier das Beispiel der Fragen zu CORRECTIV gGmbH, weil das die Absurdität so schön deutlich macht. Die Fragen werden dann de facto für jede Organisation wiederholt.

Frage 11: Erfüllt die CORRECTIV gGmbH aus Sicht der Bundesregierung ausschließlich gemeinnützige Zwecke gemäß der Abgabenordnung (§ 52AO), und wenn ja, welche? Sorry, aber das hat die Bundesregierung gar nicht zu entscheiden, das machen die Finanzämter. Im Übrigen in der Debatte um Attac wurde immer gesagt, dass dies nicht von der Bundesregierung zu entscheiden ist und zu der Zeit war die Union auch in der Regierung.

Frage 12: „Wie definiert die CORRECTIV gGmbH ihre gemeinnützigen Tätigkeiten und wie grenzt sie sich von parteipolitischer Einflussnahme ab?“ Das kann die Bundesregierung gar nicht beantworten. Was erwartet denn die Union jetzt? Dass die Bundesregierung CORRECTIV gGmbH anfragt: Hey, sagt mal die Unionsfraktion will wissen, wir Ihr Eure Gemeinnützigkeit definiert, was sollen wir denn da antworten? Eigentlich kann die Bundesregierung hier doch nur antworten, dass dies nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fällt. Aber ich sehe schon wie die Union genau diese Antwort als nächsten Skandal vorbereitet.

Frage 13: Gibt es Fälle, in denen die CORRECTIV gGmbH explizit für oder gegen eine Partei geworben hat? Was hat diese Frage mit Kontrolle der Regierung zu tun? Diese hat meines Wissens jedenfalls keine Monitorringstelle, die das Handeln gemeinnütziger Organisationen lückenlos überwacht. Die Union will jetzt entweder den Boden bereiten für eine solche Behörde (was für ein Horror) oder mit öffentlichen Geldern wird jetzt tage- oder wochenlang recherchiert, um diese Frage zu beantworten.

Frage 14: Wann wurde die Gemeinnützigkeit der CORRECTIV gGmbH letztmalig durch das zuständige Finanzamt geprüft? Da es keine Monitorringstelle gibt und das Finanzamt die Prüfung vornimmt muss zur Beantwortung der Frage das zuständige Finanzamt gefunden und dann um Auskunft gebeten werden.

Frage 15: Wurde die CORRECTIV gGmbH in der Vergangenheit wegen parteipolitischer Betätigung abgemahnt oder verwarnt? Da die Abmahnung ja nur vom Finanzamt erfolgen könnte, gilt hier das was zur Frage 14 steht.

Frage 16: Wie groß ist der Anteil der finanziellen Mittel der CORRECTIV gGmbH, der aus staatlichen Förderprogrammen stammt? Wie hoch der Anteil der finanziellen Mittel ist, kann die Bundesregierung gar nicht beantworten, denn sie kontrolliert ja nicht die Finanzen der gGmbH. Aber die Union kann sich das gut selbst ausrechnen, sie muss nur einfach hier schauen, wo die Finanzen dargestellt werden (Recherchezeit im Übrigen ca. 20 Sekunden).

Frage 17: Wie hoch ist der Anteil der Spenden aus der Wirtschaft oder von parteinahen Stiftungen an die CORRECTIV gGmbH? Um diese Frage überhaupt beantworten zu können (weil die Union nicht selbst recherchieren kann) müsste die Bundesregierung doch eigentlich einen öffentlichen Aufruf starten: Bitte Wirtschaft (und parteinahe Stiftungen) teilt uns doch mal mit, ob ihr an die gGmbH gespendet habt. Oder wie stellt sich die Union die korrekte Beantwortung sonst vor?

Frage 18: Gibt es direkte Verbindungen zwischen der CORRECTIV gGmbH und bestimmten Parteien oder politischen Akteuren? Auch hier wieder: Wie soll die Bundesregierung das beantworten? Dies Frage kann doch eigentlich nur die gGmbH beantworten und die sind im Übrigen überhaupt nicht verpflichtet, der Bundesregierung die Antwort zu geben.

Frage 19: Haben Vorstände oder Führungspersonen der CORRECTIV gGmbH politische Ämter oder enge Verbindungen zu Parteien? Geht die Union davon aus, dass die gGmbH der Bundesregierung ein Organigramm übermittelt, wer politische Ämter hat und enge Verbindungen (was ist das?) zu Parteien? Im Übrigen macht die gGmbH kein Geheimnis daraus, wer sie sind und wer da arbeitet.  Aber klar, die Bundesregierung kann die von mir schon weiter oben aufgeschriebene Frage noch erweitern und an die gGmbH schreiben: Hey, sagt mal die Unionsfraktion will wissen, ob Eure Vorstände oder Führungspersonen politische Ämter oder enge Verbindungen zu Parteien haben, könnt Ihr uns das mal mitteilen bitte?

Frage 21: Gibt es Hinweise darauf, dass die CORRECTIV gGmbH gezielt gegen bestimmte Parteien oder Politiker Kampagnen führt? Das ist im Kern die Wiederholung der Frage 13 und auch das ist nur mit langer Recherchetätigkeit in der Verwaltung beantwortbar.

Frage 22: Unterstützt die CORRECTIV gGmbH politische Demonstrationen oder Proteste mit ihren finanziellen Mitteln? Offensichtlich geht die Union davon aus, dass irgendwo in der Bundesregierung erfasst wird, wer welche Demonstration oder welchen Protest finanziell unterstützt. Auch diese Frage ist gar nicht beantwortbar.

Das geht jetzt Frage um Frage so weiter. Besonders absurd ist noch die Frage 25: „Hat die Bundesregierung Erkenntnisse dazu, dass Parteien Einfluss auf die Entscheidungsstrukturen innerhalb der CORRECTIV gGmbH haben, und wenn ja, welche?“ Eigentlich müsste einfach geantwortet werden: „Nein“. Aber was denkt sich denn die Union? Dass Parteien und/oder die gGmbH bei der Bundesregierung melden, wie Entscheidungsfindung läuft?

Es ist offensichtlich, dass es sich hier nicht um die Kontrolle der Regierung handelt, für die das Fragerecht eigentlich da ist, sondern um eine Kampagne unter Zuhilfenahme parlamentarischer Mittel. Die hier genannten Fragen werden ja nicht nur zu CORRECTIV gGmbH gestellt, sondern für alle möglichen Organisationen, die der Union offensichtlich nicht gefallen. Es betrifft: Omas gegen Rechts, Campact e.V., Attac und viele andere.  Was das für die Meinungsfreiheit unter Kanzler Merz bedeutet, lässt sich nur erahnen – es wird schlimm.

Auch an anderer Stelle wird deutlich, dass es gar nicht um Fragen geht.  Es heißt in der Kleinen Anfrage: „Dies wirft die Frage auf, inwiefern sich gemeinnützige Vereine, die zusätzlich noch mit Steuergeldern gefördert werden, parteipolitisch betätigen dürfen, ohne ihren Gemeinnützigkeitsstatus zu gefährden.“ Dazu gibt es Rechtsprechung (von der die Union weiß), wie die vom schon zitierten Bundesfinanzhof. Dieser sagt in der schon zitierten Entscheidung, dass eine gemeinnützige Körperschaft gleichwohl auf die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung Einfluss nehmen kann, „wenn dies der Verfolgung der in § 52 Abs. 2 AO genannten Zwecke (…) dient. Eine derart dienende und damit ergänzende Einwirkung muss aber gegenüber der unmittelbaren Förderung des steuerbegünstigten Zwecks in den Hintergrund treten. Die Tagespolitik darf nicht im Mittelpunkt der Tätigkeit der Körperschaft stehen.“ (Rn. 19). Zu dieser Rechtsprechung wäre viel, auch viel Kritisches anzumerken, aber darum soll es hier an dieser Stelle nicht gehen (sonst wird der Beitrag auch endgültig zu lang) und außerdem entscheidet das BVerfG ja auch noch über den Fall.

Im Kern –und jetzt wird es dann doch hochpolitisch- geht es mit der Kleinen Anfrage um etwas Anderes. Es geht um die Einleitung der Beendigung der Förderprogramme, denn in der Kleinen Anfrage heißt es: „Auch erscheint es den Fragestellern zweifelhaft, dass etwaige Förderprogramme, die die betroffenen Vereine in ihrer gemeinnützigen Arbeit unterstützen sollen, ihren Zweck erfüllen. Ein Beispiel ist das Bundesprogramm >Demokratie leben!<, dass einige Organisationen finanziell fördert, die an den Demonstrationen beteiligt waren.“  Und wenn die Programme erst mal gekürzt oder abgeschafft wurden kommt der nächste Schritt. Wer –wie die Union in der Kleinen Anfrage- unter Verweis auf „Manche Stimmen“ von „Schattenstruktur“ im Hinblick auf die NGO redet, dem geht es um mehr, dann wird der Spin gesetzt, dass NGOs gefährlich sind und die Demokratie gefährden – mit unabsehbaren Folgen.  Dafür wird dann auch zum Beispiel die Frage 40/68 (u.a.) gestellt: “Haben die Kampagnen der CORRECTIV gGmbH/Omas gegen Rechts (u.a.) nach Einschätzung der Bundesregierung direkte Auswirkungen auf Wahlergebnisse oder politische Entscheidungen.“ Mensch stelle sich mal vor diese Frage würde zu BILD, WELT, RTL oder ARD und ZDF gestellt werden. Wenn es nicht so gefährlich wäre, könnte mensch einfach nur Hand-Kopf-Hand-Kopf machen, aber dafür ist die Lage zu ernst.

 

 

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