Rechtliches zu Ausgangssperren

In der Politik wird der Ruf nach Ausgangssperren lauter. Was ich von Ausgangssperren halte, habe ich an verschiedenen Stellen immer mal wieder ausgeführt, hier will ich vor allem einen kurzen Überblick über die Rechtsprechung zu Ausgangssperren geben. Dabei differenziere ich nachfolgend nicht zwischen Ausgangsbeschränkungen und Ausgangssperren.

Die Anordnung von Ausgangssperren richtet sich seit der letzten Änderung des IfSG nach § 28a IfSG, konkret nach § 28a Abs. 2 Nr. 2 IfSG.  Dieser ist am 19. November 2020 in Kraft getreten. Als Bedingung wird formuliert, dass eine Anordnung nur zulässig ist,

„soweit auch bei Berücksichtigung aller bisher getroffenen anderen Schutzmaßnahmen eine wirksame Eindämmung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) erheblich gefährdet wäre„.

In § 28a Abs. 6 Satz 2 IfSG wird dann generell gefordert:

„Bei Entscheidungen über Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) sind soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen auf den Einzelnen und die Allgemeinheit einzubeziehen und zu berücksichtigen, soweit dies mit dem Ziel einer wirksamen Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vereinbar ist.“

Ich lese das so, dass nur und wirklich nur wenn alle anderen Maßnahmen nicht zu einer wirksamen Eindämmung führen, eine Ausgangssperre zulässig wäre. In diesem Zusammenhang müssten auch alle nicht getroffenen aber nach § 28a Abs. 1 IfSG möglichen Maßnahmen einbezogen werden.

Konkret sehen die Entscheidungen der Gerichte dann in einem Überblick so aus:

  • Der VGH München hat am 7. März 2021 in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nächtliche Ausgangssperren als zulässig angesesehen. Bei einer Inzidenz von bundesweit 64 und in Bayern von 67 seien die Schwellenwerte des IfSG für umfassende Schutzmaßnahmen überschritten. Die Gefährdungsprognose, eine wirksame Eindämmung sei ohne die Ausgangsbeschränkungen erheblich gefährdet, erweise sich nicht als rechtsfehlerhaft. Mit der Regelung in § 28a IfSG, dass ohne die Ausgangssperre eine effektive Eindämmung der Ausbreitung der Epidemie erheblich gefährdet wäre, wollte der Gesetzgeber Schutzmaßnahmen im Hinblick auf ihre spezifische Eingriffsintensität grundrechtsdeterminiert eingrenzen (…) und die Regelung betone  das Gebot der Erforderlichkeit der Maßnahme, indem sie klarstellt, dass von besonders grundrechtsintensiven Maßnahmen erst dann Gebrauch gemacht werden darf, wenn mildere Mittel zur wirksamen Eindämmung der Verbreitung von COVID-19 nicht ebenso erfolgversprechend sind. In Randnnummer 30 heißt es dann: „Ob und in welcher Form Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen im entscheidungserheblichen Zeitpunkt eine angemessene Schutzmaßnahme darstellen, hat der Verordnungsgeber nach § 32 IfSG zu entscheiden. Dieser hat in einer dokumentierten Entscheidung die besonders gewichtigen infektiologischen Erfordernisse mit sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen auf den Einzelnen und die Allgemeinheit nach § 28a Abs. 6 IfSG abzuwägen. Dabei dürfte es sich um eine prognostische Abwägungsentscheidung handeln, welche dem Verordnungsgeber einen Beurteilungsspielraum eröffnet, der gerichtlich nur begrenzt überprüfbar ist. (…)   Der gerichtlichen Kontrolle unterliegt allerdings die Frage, ob der Verordnungsgeber von sachlichen Erwägungen ausgegangen ist. Hierbei kommt der Begründung der Verordnung nach § 28a Abs. 5 IfSG besondere Bedeutung zu.“
  • Das OVG Bautzen hat am 04. März 2021 eine Regelung zur Beschränkung hinsichtlich der Ausübung von Sport und Bewegung im Freien im Umkreis von 15 Kilometern des Wohnbereichs oder der Unterkunft vorläufig außer Vollzug gesetzt. Das OVG sah die für die Anordnung von Ausgangsbeschränkungen nach § 28a Abs. 1  Nr. 3 IfSG und § 28a Abs. 2 Nr. 2 IfSG erforderliche besondere Notwendigkeit  weder als offensichtlich vorhanden an, noch lasse sich diese der Verordnungsbegründung oder sonstigen Abwägungsentscheidungen des Verordnungsgebers entnehmen. Voraussetzung für Ausgangssperren sei, dass andernfalls auch unter Berücksichtigung aller bisher getroffener Schutzmaßnahmen eine wirksame Eindämmung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit erheblich gefährdet wäre.
  • Das VG Schleswig hat am 26.02.2021 eine nächtliche Ausgangsbeschränkung als „geeignetes Mittel um der Ausbreitung des Infektionsgeschehens wirksam zu begegnen“ bestätigt. Dazu wird auf die im Frühjahr 2020 in Deutschland während des sog. ersten Lockdowns sowie bis Herbst in anderen europäischen Staaten gesammelten Erfahrungen verwiesen. Eine nächtliche Ausgangssperre könne zur Kontaktreduzierung beitragen, weil damit unbeabsichtigte Kontakte von Menschen, die auch bei einem nächtlichen Spaziergang und davor bei einer zufälligen Begegnung etwa im Flur eines Mehrfamilienhauses und dergleichen stattfinden können, verhindert werden. Mit solchen Ausgangsbeschränkungen würden Anreize stark vermindert, soziale und gesellige Kontakte im privaten Bereich, insbesondere in den Abendstunden zu pflegen. Hinsichtlich nach wie vor bestehender Unsicherheit in der Wissenschaft hinsichtlich der konkreten Wirkung einzelner Maßnahmen erfordere diese Ungewissheit, dass auch Maßnahmen getroffen werden, die nur möglicherweise geeignet sind, die Verbreitung des Virus einzudämmen, solange ihre Nicht-Eignung nicht feststeht bzw. jedenfalls nicht ganz überwiegend anzunehmen ist. Gleich wirksame, gleichwohl mildere Mittel seien nicht ersichtlich. Ausgangsbeschränkungen seien aber nach dem gesetzgeberischen Willen nicht bereits dann zulässig, wenn ihr Unterlassen zu irgendwelchen Nachteilen in der Pandemiebekämpfung führt, sondern ihre Anordnung komme nur dann in Betracht, wenn der Verzicht auf Ausgangsbeschränkungen auch unter Berücksichtigung aller anderen ergriffenen Maßnahmen zu einer wesentlichen, im Umfang der Gefahrenrealisierung gewichtigen Verschlechterung des Infektionsgeschehens führen würde. (Anmerkung: Aus Randnummer 18 ergibt sich, dass die Entscheidung am Tag des Auslaufens der Ausgangssperre gefallen ist.) Bei der zu entscheidenden Regelung gab es jedoch eine „Vielzahl“ geregelter Ausnahmetatbestände, „die den von den Beschränkungen Betroffenen noch ein Mindestmaß der Teilhabe am sozialen Leben in der Gemeinschaft auch während des relativ kurzen Anordnungszeitraums ermöglichten“. Schließlich wies das Gericht, welches im einstweiligen Rechtsschutz zu entscheiden hatte, darauf hin, dass es sich bei der „Bewertung der Verhältnismäßigkeit der getroffenen Anordnungen um eine schwierige Rechtsfrage im Einzelfall (handelt), deren Beantwortung von einer unklaren Sachlage weiter erschwert wird. Eine offensichtliche Rechtmäßigkeit oder offensichtliche Rechtswidrigkeit der Anordnungen kann daher gegenwärtig nicht hinreichend sicher festgestellt werden.“
  • Der BayVerfGH hat am 09. Februar 2021 Ausgangsbeschränkungen als zulässig angesehen. Allerdings bezieht sich die Begründung auf die Rechtslage vor der Einführung des § 28a Abs. 2 IfSG.
  • Der VGH Mannheim wiederum entschied am 5. Februar 2021, dass die Regelungen zu den abendlichen und nächtlichen Ausgangsbeschränkungen „inzwischen“ (5.2.2021) aller Voraussicht nach nicht mehr mit höherrangigem Recht vereinbar sind. Es heißt in den Leitsätzen weiter, Ausgangsbeschränkungen sind nicht bereits dann zulässig, wenn ihr Unterlassen zu irgendwelchen Nachteilen in der Pandemiebekämpfung führt, „sondern dass dies nur dann in Betracht kommt, wenn der Verzicht auf Ausgangsbeschränkungen auch unter Berücksichtigung aller anderen ergriffenen Maßnahmen zu einer wesentlichen, im Umfang der Gefahrenrealisierung gewichtigen Verschlechterung des Infektionsgeschehens führen würde„. Der VGH geht davon aus, dass der Gesetzgeber als Mindestvoraussetzung für die Anordnung von Ausgangssperren verlangt, „dass der Verzicht auf eine solche Anordnung zu einer Gefahr führt, also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bei im Übrigen ungehindertem Ablauf und auch bei Berücksichtigung aller bisher getroffenen anderen Schutzmaßnahmen wahrscheinlich zu einem Schaden für das Ziel der Eindämmung der Verbreitung von COVID-19 und die damit geschützten Rechtsgüter (…) führt.“ Weiter geht der VGH davon aus, dass sich diejenigen, die eine Ausgangssperre verhängen sich nicht darauf beschränken können, „aufzuzeigen, dass der Verzicht auf eine bzw. die Aufhebung einer bereits normierten Aufenthaltsbeschränkungen zu Nachteilen führen könnte“, sondern dass ausgehend von einer auf den aktuellen Erkenntnissen beruhenden, nachvollziehbaren Prognose substantiiert dargelegt werden muss, „dass diese auch bei Berücksichtigung der übrigen Maßnahmen und ausgehend von dem konkreten und aktuellen Pandemiegeschehen (…), voraussichtlich einen wesentlichen, im Umfang gewichtigen Anstieg der Infektionszahlen oder vergleichbar schwerwiegende Folgen für die wirksame Eindämmung der Verbreitung von COVID-19 zur Folge hätte.“

 

Es gibt demnach keine herrschende Rechtsprechung, sondern sehr unterschiedliche Gerichtsentscheidungen. Wegen der mit Ausgangssperren verbunden tiefen Grundrechtseingriffe plädiere ich ausdrücklich für enge Grenzen, die sich streng am Wortlaut des § 28a Abs. 2 IfSG orientieren. Aus meiner Sicht müsste der Prüfungsmaßstab sein, ob „auch bei Berücksichtigung aller bisher getroffenen anderen Schutzmaßnahmen eine wirksame Eindämmung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) erheblich gefährdet wäre“. Dabei müsste denklogischerweise aus meiner Sicht auch geschaut werden, welche weniger grundrechtsintensive Maßnahmen bereits ergriffen oder eben auch unterlassen wurden, bevor eine Ausgangssperre verhängt wird.

Anders formuliert: Solange nicht alle Maßnahmen des § 28a Abs. 1 IfSG versucht wurden, es weder eine Homeofficpflicht (dort wo Homeoffice möglich ist) gibt noch Geschäfte jenseits des alltäglichen Bedarfs weiterhin hoffen bleiben (oder deren Besuch nicht an Vorlage eines negativen Schnelltests gekoppelt ist) und solange Kontaktreduzierung in geschlossenen Räumen nicht zur Senkung des Infektionsrisikos versucht wurde – solange kann es in meinen Augen keine Ausgangssperren oder -beschränkungen geben, die dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und den Anforderungen des § 28a Abs. 2 IfSG entsprechen. Und ja, dieses Maßnahmen müssen überhaupt erst Wirkung entfalten können, bevor über neue Maßnahmen nachgedacht wird.

Schließlich will ich darauf hinweisen, dass zumindest in Berlin das Landesparlament (also das Abgeordnetenhaus) nach dem meines Wissens einmaligen Covid-Parlamentsbeteiligungsgesetz aktiv einer Ausgangssperre -wie auch anderen Maßnahmen nach § 28a Abs. 2 IfSG-  zustimmen muss, damit diese überhaupt in Kraft treten kann.

Ich bin der festen Überzeugung, dass nicht alles was juristisch erlaubt ist auch zwingend gemacht werden muss. Ausgangssperren sind aus meiner Sicht ein Placebo und dann noch eines, das nur mit erheblichen autoritären Mitteln durchgesetzt werden kann. An dieser Stelle will ich dann auf ein besonderes Schmankerl des AG Straubing vom 01. Februar 2021 verwiesen. Im Hinblick auf ein Verbot des Verlassens der Wohnung entschied es, dass dies „nicht den Aufenthalt in der Öffentlichkeit“ umfasst, zwar war „das Verlassen der Wohnung ordnungswidrig, nicht aber der anschließende Aufenthalt in der Öffentlichkeit oder die unterlassene Rückkehr in die Wohnung“.

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