Vergessene Dinge: Die Reform der Tötungsdelikte

Es ist schon eine Weile her, da gab es Debatten um eine Reform der Tötungsdelikte. Die Debatten sind leider verstummt.

Worum geht es? Das deutsche Strafrecht unterscheidet zwischen Mord und Totschlag. Lange schon hält sich das Missverständnis, dass Mord die vorsätzliche Tötung eines Menschen ist, also eine mit Willen und Wollen des Todes. Das ist aber nach der derzeitigen Gesetzeslage nicht der Fall. Auch der Totschlag ist eine Tötung mit Wissen und Wollen, also mit Vorsatz. Alles andere wäre eine fahrlässige Tötung (By the Way: Die Debatte zur Abgrenzung von Fahrlässigkeit und Vorsatz wird dann immer in den Raserfällen debattiert. Ich hatte hier schon mal versucht das ein wenig aufzudröseln.) Für Mord gibt es eine lebenslange Freiheitsstrafe, für Totschlag gibt es mindestens Freiheitsstrafe von fünf Jahren. Liegt ein besonders schwerer Fall des Totschlags vor, ist auch die lebenslange Freiheitsstrafe auszusprechen. Das Problem ist, wenn jemand wegen Mordes verurteilt wird, haben die Richter*innen keinerlei Möglichkeit im Strafmaß, also der Frage zu wieviel Jahren Freiheitsstrafe der/die Verurteilte verdonnert wird, zu variieren. Hintergründe der Tat, Vorgeschichte des/der Täterin und damit auch die Frage, ob er/sie bislang mit Straftaten aufgefallen ist – alles irrelevant.

Der Unterschied zwischen Mord und Totschlag besteht lediglich darin, dass beim Mord die in § 211 StGB abschließend geregelten Motive (Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs, Habgier, niedrige Beweggründe und Verdeckung oder Ermöglichung einer anderen Straftat) oder Handlungsweisen (heimtückisch, grausam, mit einem gemeingefährlichen Mittel) erforderlich sind. Liegen weder die genannten Motive noch die genannten Handlungsweisen vor, bleibt es beim Totschlag. Auch dann, wenn es die volle Absicht ist, jemanden zu töten. Die heute geltende Fassung des Mordparagrafen stammt aus dem Jahr 1941. Im Jahr 1871 wurde wegen Mordes noch bestraft, wer einen anderen Menschen „mit Überlegung“ tötet. Mit der Änderung des StGB im Jahr 1941 wurde zumindest im Bereich des Mordparagrafen das Tatstrafrecht in Frage gestellt, also ein Strafrecht, das an der Tat ansetzt. Es wird eben nicht mehr eine Tat, im Sinne einer Handlung, bestraft, sondern ein bestimmter Tätertyp. Dies beruht vor allem auch auf den sog. Gesinnungsmerkmalen. Die Besonderheit dieser liegt darin, dass es sich bei ihnen um mit Wertungen versehene Tatbestandsmerkmale handelt. Gesinnungsmerkmale in Straftatbeständen sind auch auf Grund des sich daraus ergebenden Richterrechts ein Problem, mit dem die eigene moralisch-sittliche Wertung der Richter*innen zur Grundlage einer Verurteilung wird.

Es gab eine Expertenkommission im Bundesjustizministerium, die Reformvorschläge unterbreitet hat. Das war im Juni 2015. Ich habe mich an dieser Stelle mit den Reformvorschlägen auseinandergesetzt. Bedauerlicherweise ist im Hinblick auf eine  Reform der Tötungsdelikte nichts passiert.

Immer wieder kommt der BGH deshalb in die Situation zu entscheiden, ob Mord oder Totschlag vorliegt. So auch in diesem Fall. Da hatte sich der BGH mit der „Heimtücke“ auseinanderzusetzen. Im vom BGH zu entscheidenden Fall ging es um einen Angeklagten, der wegen Totschlags zu 13 Jahren Haft verurteilt wurde, nachdem er  seine schlafende Ehefrau tötete, indem er ihr mit einem schweren Hammer neun wuchtige Schläge gegen den Kopf versetzte.  Das Ehepaar, insbesondere der Mann, waren erheblich verschuldet, es lagen Mietschulden vor und die Sperrung des Stromanschlusses war angekündigt. Es gingen mehrere Mahnungen ein. Dem Ehemann wurde fristlos gekündigt. Die Ehefrau wusste allgemein um den deströsenn finanziellen Sachstand, aber konkret nichts von Mietrückständen, der angekündigten Stromsperrung und der Kündigung. Die Ehefrau litt unter erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen, sie hatte einige Zeit zuvor eine Hirnblutung erlitten, von deren Folgen sie sich nicht erholt hatte. Der Angeklagte war der Ansicht, seine Ehefrau müsse von den  existenzbedrohenden Tatsachen verschont bleiben, er ging davon aus, sie würde es nicht verkraften, insoweit mit der „harten Realität“ konfrontiert zu werden. Eine Gespräch über ein „aus dem Leben scheiden“ oder ähnliches hat der Ehemann mit der Ehefrau nicht geführt.

Eigentlich wäre jetzt der Punkt einen langen Rant anzufangen,  wie es sein kann, dass der Mann meint zu wissen, was seine Frau verkraften kann und mit welcher Selbstverständlichkeit er über ihr Leben verfügt. Das Frauenbild dahinter gehört eigentlich mal gehörig auseinandergenommen. Aber hier soll es um den juristsichen Aspekt gehen.

Unter Heimtücke  wird kurz zusammengefasst eine besonders gefährliche Art der Tötung verstanden, die die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers ausnutzt. Weil das Opfer arglos ist und überrascht wird, hat es keine Chance auf Notwehr, Flucht oder den Versuch, den/die Täter*in zum Aufgeben zu überreden. Da dies aber möglicherweise zu Ergebnissen führt, die als ungerecht empfunden werden, hat sich die Rechtsprechung was ausgedacht.

Zusätzlich zum Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit muss der Angriff des Täters von einer feindlichen Willensrichtung gegen das Opfer getragen sein. Die Rspr. nimmt zum Ausschluss der Mitleidstötungen vom Mordtatbestand an, der Begriff der Heimtücke habe schon sprachlich eine feindliche Willensrichtung zum Inhalt (…)„. (BeckOK, StGB, § 211, Rdn. 55)

Das Landgericht hatte das Merkmal der Heimtücke als nicht verwirklicht angesehen und deshalb „nur“ wegen Totschlags verurteilt. Seiner Ansicht nach  sei zwar die Arg- und Wehrlosigkeit ausgenutzt worden, es fehlte aber an der feindseligen Willensrichtung. Das sah der BGH -zum Glück- aber anders.

Einer heimtückischen Tötung kann die feindselige Willensrichtung grundsätzlich nur dann fehlen, wenn sie dem ausdrücklichen Willen des Getöteten entspricht oder -aufgrund einer objektiv nachvollziehbaren und anzuerkennenden Wertung- mit dem mutmaßlichen Willen des zu einer autonomen Entscheidung nicht fähigen Opfers geschieht. Ansonsten hat ein Schuldspruch wegen Mordes zu erfolgen.

Auf den ersten Blick einleuchtend. Auf den zweiten Blick scheint mir fraglich, wie bei einem ausdrücklichen Willen getötet zu werden die Arglosigkeit dogmatisch hergeleitet werden soll. Der/Die Getötete möchte das ja und kann deswegen kaum überrascht sein.

Seine Entscheidung begründet der BGH damit, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe (BVerfGE 45, 187) mit Bindungswirkung für alle Strafsenate des Bundesgerichtshofs entschieden hat,

„dass bei einer Tötung in heimtückischer Begehungsweise auch beim Vorliegen außergewöhnlicher mildernder Umstände stets ein Schuldspruch wegen Mordes zu erfolgen hat und allenfalls eine Strafrahmenverschiebung in entsprechender Anwendung von § 49 Abs. 1 StGB in Betrachtkommt (…). Das Mordmerkmal der Heimtücke erschöpfe sich in einer besonders gefährlichen Begehungsweise, nämlich der vorsätzlichen Lebensvernichtung auf heimtückische Weise. Während dies auf der Ebene des Tatbestandes keine Differenzierungen zulasse, könnten sich erhebliche Unterschiede bei der Schuld ergeben wie etwa bei affektiver Antriebslage, besonde-ren Beweggründen oder der Belastung des Täters durch Provokation und Konflikt. 

In Bezug auf die „feindselige Willensrichtung“ führt der BGH (Rdn. 16) aus, dass er sich

anstelle einer Restriktion auf der Tatbestandsebene für eine Ergänzung auf der Rechtsfolgenseite entschieden. Danach ist bei >außergewöhnlichen Umständen, auf Grund welcher die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheint<, im Wege richterlicher Rechtsfortbildung § 49 Abs. 1 Nr.1 StGB entsprechend anzuwenden„.

Es entscheidet also kein Gesetz,  sondern richterlicher Rechtsfortbildung zunächst abstrakt und dann richterliche  Entscheidung im konkreten, ob nun lebenslang oder nicht, also Mord oder Totschlag. Wegen der Formulierung des § 211 StGB (Mord) muss es eigentlich zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe kommen, aber in besonderen Situationen lassen wir eine Ausnahme zu, obwohl sie im Gesetz nicht vorgesehen ist. Hier wird die Problematik der derzeitigen Formulierung der Tötungsdelikte sehr deutlich.
Doch zurück zur Heimtücke und  der feindseligen Willensrichtung. Der BGH stellt erfreulicherweise klar (Rdn. 23, 24)

Eine ungewollte Tötung stellt grundsätzlich einen feindseligen Angriff auf das Lebensrecht des Opfers dar (…). Weil jeder Mensch, insbesondere aus religiösen und weltanschaulichen Gründen, höchst unterschiedliche Vorstellungen vom Wert des Weiterlebens in schwierigen oder möglicherweise ausweglosen Situationen hat, darf sich kein Dritter anmaßen, hierüber bestimmen zu wollen, ohne den Betreffenden –soweit möglich –zuvor gefragt zu haben. Wird dies bewusst unterlassen, ist es unangebracht, das Motiv einer ungewollten Tötung zum vermeintlich Besten des Opfers besonders zu privilegieren und ein solches >einseitiges Absprechen des Lebensrechts< (…) von vorneherein aus dem Anwendungsbereich der Heimtücke auszuschließen, ohne dass dies durch die Formulierung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals erfordert wäre.“

An dem hier aufgeführten Beispiel wird deutlich, welche Verrenkungen angesichts der Rechtslage (Mord gleich lebenslange Freiheitsstrafe, Mord bei Erfüllung der benannten Merkmale) notwendig sind um ein halbwegs gefühlt gerechte Strafe auszusprechen. Dabei ginge es ganz einfach. Ich habe hier (unter Punkt 3) meine Vorschlag zur Reform schon skizziert. Ich finde den ja immer noch überzeugend :-). Danach wird ein Straftatbestand der vorsätzlichen Tötung geschaffen.

Wer einen anderen Menschen vorsätzlich tötet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu xx Jahren bestraft.

Dieser Grundtatbestand könnte im Rahmen einer Qualifizierung oder eines besonders schweren Falls eine höhere Strafandrohung vorsehren.

„In einem besonders schweren Fall ist auf Freiheitsstrafe von xx +x Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall ist gegeben, wenn der/die Täter*in … .“ 

Bei der Aufzählung des besonders schweren Falls dürften dann nur noch bestimmte Tatausführungen genannt werden. Denn die Motive des/der Täter*in werden bereits bei der Strafzumessung berücksichtigt. Ja, die lebenslange Freiheitsstrafe wäre dann weg, aber das ist –wie ich hier unter 4. schon ausgeführt habe– auch sinnvoll.

Kurz und gut: Vielleicht mag ja doch noch jemand sich des Themas Reform der Tötungsdelikte annehmen. Das lönnte ja verbunden werden mit einer engeren Kopplung des Strafrechts an Delikte gegen Leib, Leben und die sexuelle Selbstbestimmung. Denn der Versuch, alles über das Strafrecht zu lösen, ist irgendwie auch nicht so prickelnd.

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