Vor dem Hintergrund bekannt gewordener Fälle von Steuerhinterziehung läuft eine Debatte um das Strafrecht. Sie kommt nicht als eine solche daher, aber wenn genauer hingeschaut wird und die Verbindung zu anderen Normen der Strafgesetzgebung gezogen werden, dann ist sie es. Und sie könnte sehr spannend werden – wenn sie sich wirklich von dem Delikt Steuerhinterziehung emanzipiert.
Aus meiner Sicht kann die Debatte an drei Punkten geführt werden: Sinn und Zweck von Strafvollzug (insbesondere bei Delikten bei denen es um Geld geht), strafbefreiende Selbstanzeige sowie Tätige Reue und Verjährung.
I.
Was regelt die Abgabenordnung nun eigentlich? Zunächst wird in § 71 AO folgendes formuliert: „Wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, haftet für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile sowie für die Zinsen nach § 235.“ Der § 235 AO regelt die Verzinsung hinterzogener Steuern. Der § 71 AO enthält für Täter/innen und Teilnehmer/innen einer Steuerhinterziehung zunächst also eine Regelung einer Geldstrafe, wobei die „Strafe“ hier lediglich in den Zinsen liegt. Die Regelung in der AO entspricht nicht ganz § 27 StGB, nachdem als Gehilfe bestraft wird, „wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat“, da nach Abs. 2 sich „die Strafe für den Gehilfen nach der Strafdrohung für den Täter richtet“ und diese nach § 49 Abs. 1 StGB zu mildern ist. Während im allgemeinen Strafrecht der/die Teilnehmer/in also genauso hart oder weich bestraft wird wie der/die Täter/in ist das bei Steuerhinterziehung nur im Hinblick auf die Geldstrafe der Fall. Denn, soweit ich das richtig verstanden habe, haftet der Beteiligte (Teilnehmer/in) „nur“ für die verkürzten Steuern bzw. zu Unrecht gewährten Steuervorteile, der § 370 AO gilt aber nicht. In § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO wird festgehalten, dass mit „Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe“bestraft wird, wer „den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht“ und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt. Nach Absatz 2 ist auch der Versuch strafbar. Der Absatz 3 regelt besonders schwere Fälle, in denen die Freiheitsstrafe dann zwischen sechs Monaten und zehn Jahren liegt. Mit anderen Worten, wer Steuern hinterzieht kann ggf. in den Knast wandern, der/die Teilnehmer/in aber nicht.
Bevor nun aber die Frage aufgeworfen wird, ob es Sinn macht auch den/die Teilnehmer/in einer Steuerhinterziehung mit Freiheitsstrafe zu bedrohen, stellt sich aus meiner Sicht die Frage, welchen Sinn es macht Steuerhinterzieher/innen in den Knast zu stecken? Der Verweis auf andere Delikte, für die Freiheitsstrafe verhängt wird, hilft in meinen Augen nicht weiter. Denn die Debatte um Steuerhinterziehung könnte meines Erachtens genutzt werden darüber nachzudenken, ob es nicht sinnvoller wäre auch bei anderen Delikten statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafen zu setzen. Zumindest bei Delikten wo es in erster Linie um Geld geht. Und ja, wenn dieser Weg gegangen werden sollte, dann müsste natürlich bei Steuerhinterziehung zum Beispiel geregelt werden, dass der doppelte Betrag der hinterzogenen Summe als Strafe zu bezahlen ist. Und damit wären wir bei der Debatte, was Sinn und Zweck einer Freiheitsstrafe ist. Sie soll der General- und Spezialprävention dienen. Das meint, dass durch die Strafe die Bevölkerung abgeschreckt werden soll ähnliche Taten zu begehen und der/die Täter/in durch die Strafe zur Einsicht kommen soll, dass sich eine Straftat nicht lohnt. Aber ist das wirklich -bei Delikten in denen es um Geld geht- die Freiheitsstrafe? Oder schreckt eine/n Täter/in nicht eher der Gedanke ab das doppelte von dem zahlen zu müssen, was zum Beispiel an Steuern hinterzogen, gestohlen oder unterschlagen wurde? Hinzu kommt aber auch, dass der Strafvollzug -also der Vollzug der Freiheitsstrafe- der Resozialisierung dienen soll. In fast allen Landesvollzugsgesetzen findet sich die Formulierung, das der Strafvollzug (Knast) dazu dienen soll, dass der/die Insassin künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten führt und der Strafvollzug auch dazu dient die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen. Wenn nun jemand Steuern hinterzieht, betrügt oder stiehlt dann wird eine Resozialisierung aus meiner Sicht wohl eher über eine saftige Geldstrafe zu erreichen sein, als über eine Freiheitsstrafe.
Wünschenswert wäre ein Diskussion in welchen Fällen eine Freiheitsstrafe sinnvoll ist und in welchen Fällen andere Sanktionen sinnvoller sein können.
II.
Des weiteren sieht die AO die sog. strafbefreiende Selbstanzeige vor. In § 371 Abs. 1 AO heißt es:
„Wer gegenüber der Finanzbehörde zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt, wird wegen dieser Steuerstraftaten nicht nach § 370 bestraft.“ Doch das gilt nicht immer, wie sich aus § 371 Abs. 2 AO ergibt. Denn die Straffreiheit tritt nicht ein, wenn „dem Täter oder seinem Vertreter eine Prüfungsanordnung nach § 196 bekannt gegeben worden ist oder dem Täter oder seinem Vertreter die Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens bekannt gegeben worden ist oder ein Amtsträger der Finanzbehörde zur steuerlichen Prüfung, zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit erschienen ist oder eine der Steuerstraftaten im Zeitpunkt der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ganz oder zum Teil bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste oder die nach § 370 Absatz 1 verkürzte Steuer oder der für sich oder einen anderen erlangte nicht gerechtfertigte Steuervorteil einen Betrag von 50 000 Euro je Tat übersteigt.“ Müsste ich die strafbefreiende Selbstanzeige kurz zusammenfassen würde ich formulieren: Wer ohne Wissen das die Steuerhinterziehung aufgedeckt zu werden droht und damit freiwillig sich selbst anzeigt und der hinterzogene Betrag 50.000 Euro je Tat nicht überschreitet, der bleibt straffrei.
Über diese sog. selbstbefreiende Strafanzeige wird nun massiv gestritten. Die einen wollen sie ganz abschaffen, die anderen wollen den Betrag heruntersetzen. Dritte wollen alles so lassen wie es ist. Übersehen wird aus meiner Sicht aber, dass es im StGB an verschiedenen Stellen die Regelung der Tätigen Reue gibt (z.B. §§ 306e, 314a, 320 StGB). Abstrakt gesehen ist diese durchaus mit dem strafbefreienden Rücktritt vergleichbar. Bei Brandstiftungsdelikten kann von der Strafe abgesehen werden, wenn der Brand gelöscht wird, bevor ein erheblicher Schaden entsteht. Ähnliches gilt über den § 314a StGB beim Missbrauch ionisierender Strahlen (§ 309 StGB), gemeingefährlicher Vergiftung (§ 314 StGB) soweit die Ausführung der Tat freiwillig aufgegeben oder die Gefahr sonst abgewendet wird. In bestimmten Fällen des Herbeiführens einer Explosion durch Kernenergie (§ 307 Abs.2 StGB), bestimmten Fällen des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion (§ 308 Abs. 1 und 5 StGB), bestimmte Fälle der Freisetzung ionisierender Strahlen ( § 311 Abs. 1 StGB), Fälle der fehlerhaften Herstellung kerntechnischer Anlagen (§ 312 Abs. 1 und 6 Nr. 1 StGB) sowie der Herbeiführung einer Überschwemmung (§ 313 StGB) kann von Strafe abgesehen werden, wenn freiwillig die Tat abgewendet wird, bevor ein erheblicher Schaden entsteht. Der § 320 StGB erlaubt von der Strafe abzusehen, wenn freiwillig die Gefahr abgewendet wird, bevor ein erheblicher Schaden entsteht soweit es bestimmte Fälle von gefährlichem Eingriff in den Bahn-, Schiffs- und Flugverkehr (§ 315 Abs. 1, 3 Nr. 1 oder Abs. 5 StGB), gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 1, 3 oder 4 StGB), die Beschädigung wichtiger Anlagen (§ 318 Abs. 1 oder 6 Nr. 1 StGB) oder Baugefährdung (§ 319 Abs. 1 bis 3 StGB) betrifft. Das alles scheinen mir nun keine ungefährlichen Delikte zu sein.
Tätige Reue und strafbefreiende Selbstanzeige haben also einen gemeinsamen Gedanken. Die Freiwilligkeit der Schadensminimierung. Und dieser Gedanke soll es rechtfertigen unter bestimmten Bedingungen von -mindestens- Freiheitsstrafe abzusehen, weil das Strafbedürfnis entfallen sei. Warum soll -so müssen sich Befürworter/innen der Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige- das Absehen von Freiheitsstrafe für die genannten Delikte möglich sein, nicht aber für Steuerhinterziehung? Andererseits müssen sich diejenigen, die ander strafbefreienden Selbstanzeige festhalten wollen fragen lassen, warum die Tätige Reue eigentlich nur bei ausgewählten Delikten des Allgemeinen Strafrechts gelten soll und ob das die richtigen Delikte sind. Und dabei verkenne ich nicht, dass bei der Tätigen Reue nicht zwingend eine Straffreiheit eintritt sondern dies in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.
Aus einer Draufsicht auf das Strafrecht wäre nun denkbar, statt der strafbefreienden Selbstanzeige in der AO auch eine solche Ermessensentscheidung, wie die Tätige Reue eine ist, zu formulieren. Oder eben umgedreht bei den Delikten für die es Tätigen Reue gibt auch die zwingende Rechtsfolge der Straffreiheit zu normieren. Eine Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige ohne sie durch eine Regelung ähnlich der Tätigen Reue zu ersetzen, scheint mir aber nicht angemessen. Mindestens dann nicht, wenn -wie in § 370 Abs. 2 AO- eine freiwillige Selbstanzeige plus Nachzahlung im Sinne der unter I. angedachten erhöhten Geldstrafe erfolgt. Denn es ist irgendwie ja nicht einzusehen, dass die benannten durchaus mit erheblichen Auswirkungen versehenen Straftaten unter bestimmten Bedingungen straffrei bleiben, das bei eine Selbstanzeige wegen falscher Angaben bei der Steuer aber nicht der Fall sein soll.
Wünschenswert wäre also eine Diskussion, an welcher Stelle strafbefreiende Selbstanzeigen oder Tätige Reue sinnvoll sein könnten was von beidem der bessere Wege im konkreten Fall ist.
III.
Viel zu wenig in der Debatte sind die Verjährungsfristen. Ich bin keine Anhängerin davon, die strafrechtlichen Verjährungsfristen (also die Fristen innerhalb derer eine Person wegen einer Straftat zur Verantwortung gezogen werden kann) auszudehnen. Denn eine längere Verjährung bedeutet auch immer, dass relativ spät nach einer Tat möglicherweise eine Freiheitsstrafe verhängt wird. Ob diese dann die ihr zugedachte Funktion noch erfüllen kann, stelle ich durchaus in Frage.
Aber es spricht in meinen Augen relativ wenig dagegen im konkreten Fall der Steruerhinterziehung über eine veränderte Verjährungsfrist nachzudenken. Der § 228 AO regelt, dass die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis einer besonderen Verjährungsfrist unterliegen und diese fünf Jahre beträgt. Das heißt nichts anderes, als das nach Ablauf von fünf Jahren der Anspruch auf die Steuern nicht mehr geltend gemacht werden kann. Hier wäre aus meiner Sicht eine Debatte zu führen, ob diese Verjährungsfrist nicht beispielsweise auf 10 Jahre heraufgesetzt werden kann. Natürlich würde eine solche Verlängerung der Verjährungsfrist jede/n Bürger/in treffen. Aber ich glaube, das kann in Kauf genommen werden. Denn es ist in meinen Augen angemessen, von Personen die Steuern hinterziehen auch noch nach 8 oder 9 Jahren zu verlangen, dass sie diese nebst Zinsen nachzahlen.
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