Die Sache mit der EU-Urheberrechtsrichtlinie

Bisher bin ich tatsächlich nicht dazu gekommen, mich detaillierter mit der EU-Urheberrechtslinie zu beschäftigen. Heute habe ich nun endlich Zeit dafür gefunden.

Bevor ich im Detail auf die Debatte um die EU-Urheberrechtsrichtline eingehe, will ich erst einmal erläutern, was eine Richtlinie der EU überhaupt ist. Im Gegensatz zur Verordnung (wie EU-Datenschutzgrundverordnung) ist die Richtlinie nur insofern ein verbindlicher Rechtsakt, als in ihm ein von allen EU-Ländern zu erreichendes Ziel festgelegt wird. Es ist jedoch Sache der einzelnen Länder, eigene Rechtsvorschriften zur Verwirklichung dieses Ziels zu erlassen. Oder um es noch einfacher zu sagen: Eine Verordnung der EU gilt direkt in allen Mitgliedsländern, eine Richtlinie muss in nationales Recht umgesetzt werden. Eine Richtlinie wird im sog. ordentlichen Gesetzgebungsverfahren beschlossen, das sich in Art. 294 AEUV findet. An ihm sind sowohl die Kommission als auch das Europäische Parlament und die Regierungen der Mitgliedstaaten der EU beteiligt.

Die EU-Urheberrechtsrichtlinie (hier im Original) mit Stand vom 20.03.2019 enthält  nun folgende Punkte:

  • In Artikel 2 Ziffer 6 werden Dienstanbieter für das Teilen von Online-Inhalten“ definiert als Anbieter eines Dienstes der Informationsgesellschaft, bei dem der Hauptzweck bzw. einer der Hauptzwecke darin besteht, eine große Menge an von seinen Nutzern hochgeladenen, urheberrechtlich geschützten Werken oder sonstigen Schutzgegenständen zu speichern und der Öffentlichkeit Zugang hierzu zu verschaffen, wobei dieser Anbieter diese Inhalte organisiert und zum Zwecke der Gewinnerzielung bewirbt. Keine Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten sind Anbieter von Diensten, zum Beispiel nicht gewinnorientierte Online-Enzyklopädien, nicht gewinnorientierte bildungsbezogene und wissenschaftliche Repositorien, Entwicklungs- und Weitergabeplattformen für quelloffene Software und Cloud-Dienste, die ihren Nutzern das Hochladen von Inhalten für den Eigengebrauch ermöglichen.
  • Artikel 12 ist die Anwendung des GEMA-Vermutung auf Verwertungsgesellschaften. Danach können die Mitgliedstaaten vorsehen, „dass für den Fall, dass eine Verwertungsgesellschaft, die den nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2014/26/EU unterliegt, gemäß ihren von den Rechteinhabern erteilten Mandaten eine Lizenzvereinbarung über die Nutzung von Werken oder sonstigen Schutzgegenständen abschließt: a) die Geltung einer solchen Vereinbarung auch auf die Rechte von Rechteinhabern ausgeweitet werden kann, die dieser Verwertungsgesellschaft weder auf der Grundlage einer Abtretungs-, Lizenz- noch einer sonstigen vertraglichen Vereinbarung zur Wahrnehmung eingeräumt wurden; oder b) im Hinblick auf eine solche Lizenzvereinbarung die Verwertungsgesellschaft eine gesetzliche Berechtigung hat oder die Vermutung gilt, dass sie Rechteinhaber vertritt, die der Verwertungsgesellschaft kein entsprechendes Mandat erteilt haben.“
  • In Artikel 15 wird nunmehr das Leistungsschutzrecht für Presseverleger verankert. Die Mitgliedstaaten sollen Bestimmungen festlegen, mit denen Presseverlage mit Sitz in einem Mitgliedstaat die Rechte für die Online-Nutzung ihrer Presseveröffentlichungen durch Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft erhalten. Das gilt nicht für die private oder nicht-kommerzielle Nutzung von Presseveröffentlichungen durch einzelne Nutzer; der Schutz bezieht sich nicht auf Hyperlinks und nicht für die Nutzung einzelner Wörter oder sehr kurzer Auszüge aus einer Presseveröffentlichung. In Absatz 5 findet sich allerdings eine spannende Formulierung, nach der die Mitgliedstaaten vorsehen müssen, dass Urheber der in einer Presseveröffentlichung enthaltenen Werke einen angemessenen Anteil der Einnahmen erhalten, die die Presseverlage aus der Nutzung ihrer Presseveröffentlichungen durch Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft erhalten.
  • Artikel 16 wiederum führt wieder ein, was der BGH im Hinblick auf die VG Wort gerade untersagt hat. Die Verlegerbeteiligung. Denn nach dieser Regelung können die Mitgliedsstaaten festlegen,  „dass für den Fall, dass ein Urheber einem Verleger ein Recht übertragen oder ihm eine Lizenz erteilt hat, diese Übertragung oder Lizenzierung eine hinreichende Rechtsgrundlage für den Anspruch des Verlegers auf einen Anteil am Ausgleich für die jeweilige Nutzung des Werkes im Rahmen einer Ausnahme oder Beschränkung für das übertragene oder lizenzierte Recht darstellt„.
  • Schließlich findet sich in Art. 17  die Lizensierungspflicht für Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten, also die Regelung, die eher unter Uploadfilter bekannt ist. Konkret heißt es in der Regelung: „Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass ein Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten eine Handlung der öffentlichen Wiedergabe oder eine Handlung der öffentlichen Zugänglichmachung für die Zwecke dieser Richtlinie vornimmt, wenn er der Öffentlichkeit Zugang zu von seinen Nutzern hochgeladenen urheberrechtlich geschützten Werken oder sonstigen Schutzgegenständen verschafft. Ein Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten muss deshalb die Erlaubnis von den in Artikel 3 Absatz 1 und 2 der Richtlinie 2001/29/EG genannten Rechteinhabern einholen, etwa durch den Abschluss einer Lizenzvereinbarung, damit er Werke oder sonstige Schutzgegenstände öffentlich wiedergeben oder öffentlich zugänglich machen darf.“ Die sog. Uploadfilter kommen über Abs. 4 Ziffer b) und c) ins Spiel. Dort wird formuliert: „Wird die Erlaubnis nicht erteilt, so ist der Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten für nicht erlaubte Handlungen der öffentlichen Wiedergabe, einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung, urheberrechtlich geschützter Werke oder sonstiger Schutzgegenstände verantwortlich, es sei denn, der Anbieter dieser Dienste erbringt den Nachweis, dass er a) alle Anstrengungen unternommen hat, um die Erlaubnis einzuholen; und b) nach Maßgabe hoher branchenüblicher Standards für die berufliche Sorgfalt alle Anstrengungen unternommen hat, um sicherzustellen, dass bestimmte Werke und sonstige Schutzgegenstände, zu denen die Rechteinhaber den Anbietern dieser Dienste einschlägige und notwendige Informationen bereitgestellt haben, nicht verfügbar sind; und in jedem Fall c) nach Erhalt eines hinreichend begründeten Hinweises von den Rechteinhabern unverzüglich gehandelt hat, um den Zugang zu den entsprechenden Werken oder sonstigen Schutzgegenständen zu sperren bzw. die entsprechenden Werke oder sonstigen Schutzgegenstände von seinen Internetseiten zu entfernen und alle Anstrengungen unternommen hat, um gemäß Buchstabe b das künftige Hochladen dieser Werke oder sonstigen Schutzgegenstände zu verhindern.“

Die Regelung in Art. 12 ist die Fortschreibung der GEMA-Vermutung auf die Europäische Ebene und in meinen Augen eine Entmündigung von Urheber*innen. Denn diese werden mindestens indirekt gezwungen einer Verwertungsgesellschaft die Wahrnehmung der Rechte einzuräumen, weil sie andernfalls mehr Stress haben und ständig darlegen müssen, dass sie nicht in dieser Verwertungsgesellschaft sind.

Zum sog. Leistungsschutzrecht (LSR) für Presseverleger will ich mich gar nicht erneut umfassend äußern, weil ich das früher schon umfassend getan habe. Nachzulesen hier und hier. In der deutschen Umsetzung des Art. 15 sollte insbesondere der Abs. 6 beachtet werden. Demnach sollen „Urheber der in einer Presseveröffentlichung enthaltenen Werke einen angemessenen Anteil der Einnahmen erhalten, die die Presseverlage aus der Nutzung ihrer Presseveröffentlichungen durch Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft erhalten„.  Ich lese das ja als Verbot von (Total) Buy Out -Verträgen.

Die Regelung zur Verlegerbeteiligung ist aus meinen Augen besonders krass. Ich sage einem Verleger, bitte verwerte mein Buch und zahle ihm etwas dafür. Von den Einnahmen aus dieser Verwertung profitiert dann erneut der/die Verlegerin. Das wäre ungefähr so, wie wenn ich als Anwältin für einen Mandanten einen Vertrag aushandele und nicht nur die Kohle für den Vertragsabschluss, sondern auch noch einen gewissen Prozentsatz aus den Erträgen aus der Vertragsabwicklung bekomme. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 12 wird das Selbstbestimmungsrecht der Urheber*innen über die Verwertung ihrer Werke doch erheblich eingeschränkt.

Bei den sog. Uploadfiltern war die Aufregung besonders groß. Zunächst normiert der Abs. 1 aber erst mal eine Lizensierungspflicht. Ohne Lizensierung kein öffentliches Zugänglichmachen von Werken. An vielen Stellen ist darauf hingewiesen worden, dass dies total Ballaballa ist und -Überraschung- eine Stärkung von Verwertungsgesellschaften bei Schwächung der Urheber*innen, die die Verwertung selbst vornehmen (wollen). Und nein, die Lizensierungspflicht ist nicht optional, sondern nach dem Wortlaut verpflichtend. Die Uploadfilter werden natürlich nicht als Uploadfilter bezeichnet. Sie werden -soweit auf den ersten Blick richtig- also nicht vorgeschrieben. De facto wird ihre Notwendigkeit aber in Art. 17 Abs. 4 b) und c) aber vorgeschrieben. Denn ich kann die Lizensierungspflicht des Art. 17 Abs. 1 unmöglich für alle Inhalte erfüllen. Da ich das aber nicht kann, bin ich aber für auf meinem Dienst begangene Urheberrechtsverletzungen verantwortlich, es sei denn ich weise nach, dass ich „nach Maßgabe hoher branchenüblicher Standards für die berufliche Sorgfalt alle Anstrengungen unternommen (habe), um sicherzustellen, dass bestimmte Werke und sonstige Schutzgegenstände, zu denen die Rechteinhaber den Anbietern dieser Dienste einschlägige und notwendige Informationen bereitgestellt haben, nicht verfügbar sind und in jedem Fall c) nach Erhalt eines hinreichend begründeten Hinweises von den Rechteinhabern unverzüglich gehandelt (habe), um den Zugang zu den entsprechenden Werken oder sonstigen Schutzgegenständen zu sperren bzw. die entsprechenden Werke oder sonstigen Schutzgegenstände von (meinen) Internetseiten zu entfernen, und alle Anstrengungen unternommen (habe), um gemäß Buchstabe b das künftige Hochladen dieser Werke oder sonstigen Schutzgegenstände zu verhindern.“

Um es vorweg zu sagen, ich finde die Uploadfilter bekloppt und falsch. Denn es gibt das sog. „Notice and take down“ – Verfahren, d.h. ich teile mit, es liegt ein Urheberrechtsverstoß vor und dann ist der entsprechende Inhalt zu entfernen, andernfalls bin ich haftbar. Wenn ich ein anderes Verfahren anwenden will, müsste ich vorher mindestens darlegen, wie häufig Notice and take down angewendet worden ist und wie häufig es erfolgreich bzw. nicht erfolgreich war. Es spricht aus meiner Sicht nichts für die Absicht, Uploadfilter umfassender einzuführen. Es ist also aus meiner Sicht völlig richtig, argumentativ gegen Uploadfilter vorzugehen, die Argumentation mit dem Wort „Zensur“ finde ich allerdings nicht überzeugend. Uploadfilter sind keine neue Erfindung. Youtube verwendet sie schon länger, ohne dass es zusammengebrochen wäre. Mein Eindruck ist aber auch, dass viele laut sich über Youtube beschwerende Urheber*innen weder vom Uploadfilter noch vom Notice und take down Verfahren wissen.  In der Debatte um die Uploadfilter wurde häufig auf Art. 17 Abs. 6 verwiesen, wonach es doch großzügige Ausnahmeregelungen gibt. Tatsächlich formuliert Abs. 6, dass die Regelung von Absatz 4 für „neue Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten, deren Dienste der Öffentlichkeit in der Union seit weniger als drei Jahren zur Verfügung stehen und deren Jahresumsatz, berechnet nach der Empfehlung der Kommission 2003/361/EG20, 10 Millionen EUR nicht übersteigt, darauf beschränkt ist, Absatz 4 Buchstabe a einzuhalten und nach Erhalt eines hinreichend begründeten Hinweises von den Rechteinhabern unverzüglich zu handeln, um den Zugang zu den entsprechenden Werken und sonstigen Schutzgegenständen zu sperren bzw. die entsprechenden Werke und sonstigen Schutzgegenstände von ihren Internetseiten zu entfernen„. Das besagt, das diese neuen Dienstleister bei Vorliegen aller drei Voraussetzungen (andernfalls hätte „oder“ stehen müssen) auf die Uploadfilter verzichten können und allein nach dem Notice and take down-Verfahren im Falle von Urheberrechtsverletzungen vorgehen müssen. Das heißt aber auch, nach  3 Jahren ist Schluss mit der Privilegierung, egal wie groß der Dienstleister dann ist.

Was in der ganzen Debatte auffällt, die Verwerter*innen haben es erneut geschafft, einen Gegensatz zwischen Nutzer*innen und Urheber*innen zu konstruieren, diese gegeneinander auszuspielen und dabei der lachende Dritte zu sein. Sie haben ihre Rechte durchgesetzt, die Kasse klingelt. Leidtragende sind Urheber*innen und Nutzer*innen. Nötig ist vor allem eine Änderung des Urhebervertragsrechtes und eine Änderung des Rechtes der Verwertungsgesellschaften. Wird dies verbunden mit akzeptablen Modellen der Generierung von Einnahmen wäre die Gesellschaft ein Schritt weiter. Zum Thema Änderungen im Urhebervertragsrecht hatte DIE LINKE in der 17. und 18. Wahlperiode des Bundestages konkrete Alternativen auf den Tisch gelegt. Auch hinsichtlich der Verwertungsgesellschaften hat DIE LINKE konkrete Vorschläge unterbreitet. Generell lohnt sich ein Blick auf den Zwischenbericht Urheberrecht der Enquete Internet und Digitale Gesellschaft aus der 17. Wahlperiode, wenn es um die Frage der Gestaltung des Urheberrechts in der Digitalen Gesellschaft geht. Und was akzeptable Modelle der Generierung von Einnahmen angeht, fand ich das Konzept der Kulturwertmark ganz spannend, habe aber den Anschluss an die Diskussion verpasst und weiß derzeit nicht, ob das überhaupt noch jemand vertritt.

Kurz und gut: Wenn Urheber*innen und Nutzer*innen sich weiterhin gegenseitig das Leben schwer machen, verlieren beide. Beide müssen erkennen, dass sie zusammen ihre Interessen gegen die Verwerter*innen vertreten müssen, damit beide die Vorteile des digitalen Zeitalters für Wissen, Kunst und Kultur nutzen können.

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