Kompromisslerisches

Politik braucht Visionen. Oder wem das zu esoterisch ist Grundwerte und Grundüberzeugungen. Ohne diese wird Politik beliebig. Politik ist aber mehr als Vision/Grundwerte/Grundüberzeugungen vor sich hertragen (und in Anträgen niederzuschreiben). Politik ist, aus diesen Visionen/Grundwerten/Grundüberzeugungen konkrete Vorschläge mit Umsetzungsperspektive zu entwickeln. Sie sind eine Leit- oder Richtschnur für konkrete Handlungen.

Die Gleichwertigkeit von Menschen, die Würde des Menschen, Gewaltenteilung, Bindung an Recht und Gesetz – das sind Gemeinsamkeiten von Demokratinnen und Demokraten. Innerhalb dieses Rahmens haben Parteien in einer Demokratie unterschiedliche Visionen/Grundüberzeugungen/Grundwerte oder unterschiedliche Schwerpunkte. Das bedeutet auch, es muss Kompromisse geben. Anders funktioniert Demokratie nicht.

Der konkrete Kompromiss kann -je nach Sichtweise der Beteiligten und ihrer Ausgangsbedingungen- ein schlechter oder ein guter sein. Einen schlechten Kompromiss kann und sollte abgelehnt werden, ein guter Kompromiss nicht. Die Diskreditierung des Kompromisses an sich gefährdet die Demokratie.

Zur Bewertung eines Kompromisses lohnt es sich die Ausgangsbedingungen der am Kompromiss beteiligten Parteien anzusehen. Einer nichtbeteiligten Partei verbleibt die Möglichkeit deutlich zu machen, worin ihre Ausgangsposition sich von der Ausgangsposition der beteiligten Parteien unterscheidet. Sie kann dafür werben, dass ihre Ausgangsposition die Richtige und die der anderen die Falsche ist. Wenn sie ihre Ausgangsposition aber als Entscheidungsgrundlage für die Bewertung eines Kompromisses macht, dann kann diese immer nur negativ ausfallen, ihre Ausgangsposition wurde ja nicht berücksichtigt.

Bei der Bewertung eines Kompromisses sollten aber nicht nur die Ausgangspositionen der beteiligten Parteien eine Rolle spielen, sondern auch, was politische Alternativen bei Beteiligung der nichtbeteiligten Partei gewesen und wie wahrscheinlich deren Umsetzung gewesen wäre.

Und damit wären wir jetzt beim „Kompromiss zur Schuldenbrems und zum Sondervermögen“. Die Schuldenbremse ist in Art. 109 Abs. 3 GG verankert und besagt im Kern, dass die Haushalte von Bund und Ländern grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen sind (Satz 1). Es gibt unter Bedingungen bestimmte Abweichungsregelungen und die nähere Ausgestaltung für den Haushalt des Bundes wird in Artikel 115 GG geregelt, mit der Maßgabe, „dass  Satz 1 entsprochen ist, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten“ (Satz 4). Für die Haushalte der Länder wird in Satz 5 festgehalten, dass die nähere Ausgestaltung für ihre Haushalte diese „im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen mit der Maßgabe, dass  Satz 1nur dann entsprochen ist, wenn keine Einnahmen aus Krediten zugelassen werden“ regeln. Der Art. 115 GG wiederholt vor allem die Aussagen aus dem Art. 109 GG zum grundsätzlichen Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben ohne Einnahmen aus Krediten und der Möglichkeit der Abweichung “wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten“

Im Wahlprogramm der CDU/CSU steht: „Wir halten an der Schuldenbremse des Grundgesetzes fest.“ Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich im Januar 2024 für eine Reform der Schuldenbremse ausgesprochen, im Wahlprogramm wird die Reform der Schuldenbremse nur am Rande erwähnt (S. 39). Bei den Grünen wird die Reform der Schuldenbremse im Zusammenhang mit Investitionen in einen Deutschlandfonds erwähnt. Bei der Partei Die Linke heißt es: „Wir fordern die Abschaffung der Schuldenbremse.“

Die Positionen der im 21. Bundestag vertretenen demokratischen Parteien liegen also weit auseinander, für eine Grundgesetzänderung werden aber alle dieser Parteien gebraucht. Wenn an der Schuldenbremse etwas geändert werden soll, bedarf es eines Kompromisses. Dieser wird nur möglich sein, wenn keine der Parteien ihre Maximalforderung durchsetzt und möglicherweise dazu noch „eine Kröte schlucken“ muss, weil die anderen Parteien für ihre Wählerinnen und Wähler auch noch etwas herausholen müssen.

Nachdem offensichtlich ist, dass dem amerikanischen Präsident nicht zu trauen ist (also ehrlicherweise nie zu trauen war) und dieser deutlich gemacht hat, dass es ihm weder um Freiheit, noch Meinungsfreiheit oder überhaupt Menschlichkeit geht, er vielmehr eine Diktatur der ökonomisch Mächtigen anstrebt, kam die Union auf die Idee, über die Schuldenbremse den 20. Bundestag entscheiden zu lassen. Deutlicher: Nach der Bundestagswahl soll der „alte“ Bundestag eine Grundgesetzänderung vornehmen, bevor der „neue“ Bundestag zusammentritt. Das ist politisch im Hinblick Vertrauen in die Demokratie schwer zu kritisieren, aber juristisch zulässig wie das BVerfG -zu Recht- festgestellt hat. Vermutlich wurde dieser Schritt auch gegangen, weil auf der einen Seite die Union mit der Linken nicht über das Grundgesetz reden will, auf der anderen Seite aber auch bei den beteiligten Parteien kein Vertrauen vorhanden war, dass Die Linke in der Lage und bereit ist einen Kompromiss zur Schuldenbremse zu machen, wenn dieser beispielsweise verbunden ist mit Erhöhung von Verteidigungsausgaben. Ob dieses fehlende Vertrauen berechtigt war oder ist, wird hypothetisch bleiben (müssen).

Am 10. März 2024 lagen dann drei Gesetzentwürfe vor: Der Gesetzentwurf der FDP ändert an der Schuldenbremse gar nichts, er schlägt einen Verteidigungsfonds als Sondervermögen vor. Der Gesetzentwurf der Union und der SPD ändert die Schuldenbremsen-Regelung im Grundgesetz dergestalt, dass von den zu berücksichtigenden Einnahmen aus Krediten „der Betrag abzuziehen (ist), um den die Verteidigungsausgaben 1 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt übersteigen.“ Für die Bundesländer wird das Verbot der Kreditaufnahme insoweit aufgehoben, als das für sie gilt, dass der Schuldenbremsenregelung entsprochen ist, „wenn die durch sie erzielten Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten.“  Die Aufteilung auf die einzelnen Länder soll dann ein Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundestages regeln. Für die juristischen Feinschmecker*innen ist der Vorschlag interessant, dass im Grundgesetz demnach auch geregelt wird, dass Regelungen in Landesverfassungen, die hinter der Neuregelung der Schuldenbremsenregel für die Länder nach der Neufassung zurückbleiben, außer Kraft treten. Erstaunlicherweise hat das in der Debatte  bisher keine Rolle gespielt. Die Regelung ist aber noch nicht rund, auch der Art. 115 Abs. 2 GG soll verändert werden. Ein neuer Satz 4 wird eingefügt: „Von den zu berücksichtigenden Einnahmen aus Krediten ist der Betrag abzuziehen, um den die Verteidigungsausgaben 1 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt übersteigen.“ Schließlich wird ein neuer Artikel 143h in das Grundgesetz eingefügt, mit dem der Bund „ein Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigung für Investitionen in die Infrastruktur mit einem Volumen von bis zu 500 Milliarden Euro errichten“ kann und für diese Kreditermächtigungen die Regelungen der Schuldenbremse nicht anwendbar sind. Aus diesem Sondervermögen stehen den Ländern 100 Milliarden Euro für Investitionen in die Infrastruktur zur Verfügung. Im Gesetzentwurf der Grünen fehlt die Änderung des § 143h, also das Sondervermögen. Die Grünen wollen, im Unterschied zu Union und SPD, dass von den zu berücksichtigenden Einnahmen aus Krediten „der Betrag abzuziehen (ist), um den die Verteidigungsausgaben 1,5 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt übersteigen“. Allerdings werden diese Verteidigungsausgaben konkret definiert. Es geht um die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit, einschließlich des Ausbaus nachrichtendienstlicher Fähigkeiten, auch in Systemen kollektiver Sicherheit und um Hilfe für völkerrechtswidrig angegriffene Staaten, krisenreaktive Maßnahmen der Auslandshilfe, die Stärkung internationaler Organisationen zur Friedenssicherung und den Schutz der Zivilbevölkerung, den Schutz der informationstechnischen Systeme und der Infrastruktur.

Der Dissens lautete also: 1,0% oder 1,5% Abzug von den zu berücksichtigenden Einnahmen aus Krediten für Verteidigungsausgaben, die Konditionierung der Verteidigungsausgaben und Sondervermögen.

Die Einigung zwischen Union, SPD und Grünen sieht nun so aus, dass es bei 1% verbleibt, eine Konditionierung der Verteidigungsausgaben aufgenommen und im Hinblick auf das Sondervermögen festgehalten wird, dass dieses  für „zusätzliche und nicht bereits geplante Vorhaben“ bestimmt ist, die 100 Milliarden für die Länder vor allem für die „kommunale Wärme- und Energieplanung“ verwendet werden sollen und weitere 100 Milliarden „für Klimaschutz und den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft vorgesehen“ sind. Im Ergebnis sind aus dem Sondervermögen also 300 Milliarden für zusätzliche und nicht bereits geplante Vorhaben frei verfügbar. Die Schuldenbremse wird reformiert, allerdings nur ein ganz klein wenig für Verteidigungsausgaben, das Sondervermögen wird -im Hinblick auf die aufzunehmenden Kredite- von der Schuldenbremse befreit, die Schuldenbremse für die Länder wird gelockert.

Das ist ein Kompromiss. Einer mit dem insbesondere die Grünen sehr gut leben können, die Union hingegen hat schwer einstecken müssen. Aus Sicht derjenigen, die die Schuldenbremse abschaffen wollen, ist das natürlich nicht befriedigend, aber die saßen aus den oben genannten Gründen auch nicht mit am Verhandlungstisch.

Letzteres macht die politische Kommunikation schwer. Wenn der Kompromiss kritisiert wird, dann geht das schief, weil wer nicht mitverhandelt, kann auch kein besseres Ergebnis erzielen. Die Ausgangspositionen wurden gar nicht in die Verhandlungen einbezogen. Dieses Schicksal teilen im konkreten FDP und Linke. Insofern bleibt ihnen eigentlich nur zu kritisieren, dass sich überhaupt auf Verhandlungen eingelassen wurde und dies mit „unzureichenden“ oder „falschen“ Prämissen. Dann allerdings müsste auch gesagt werden, zu was die nicht beteiligte Partei bereit gewesen wäre, wenn jemand mit ihnen hätte verhandeln wollen.

Die Reaktionen jenseits der demokratischen Parteien im 21. Bundestag auf die Einigung ist interessant: Ulrich Schneider bezeugt auf X den Grünen und der SPD „Respekt für diesen Verhandlungserfolg“. Der Deutsche Naturschutzring und Greenpeace finden es ein gutes Signal, dass „jetzt gezielt in Klimaschutz investiert werde“.

Gezielte Investitionen in den Klimaschutz sind unbedingt notwendig. Aus diesem Blickwinkel ist das Ergebnis tatsächlich zu begrüßen. Auch die Lockerung der Schuldenbremse für die Länder ist sehr sinnvoll. Vermutlich wird eine grundlegende Reform der Schuldenbremse aber auf absehbare Zeit nicht stattfinden, das kann aber den verhandelnden Parteien nur bedingt vorgeworfen werden, für einen solchen Druck fehlte die Partnerin, die die Schuldenbremse abschaffen wollte. Vielleicht schafft die es aber konkret umsetzbare Überlegungen in die Debatte zu bringen, welche „zusätzlichen und nicht bereits geplante Vorhaben“ in die Infrastruktur insbesondere im Hinblick auf soziale Gerechtigkeit notwendig wären.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert