Es wird gerade viel um einen Neuwahltermin gestritten. Die Debatte ist häufig unterkomplex und droht ins verschwörungstheoretische zu kippen. Was dabei völlig aus dem Blick gerät, ist neben der Frage der Wahlorganisation durch die Wahlorgane, die Frage wie Parteien eigentlich bei einem Neuwahltermin an einer Wahl teilnehmen können und wie hier Chancengleichheit gewahrt werden kann.
Das Bundeswahlgesetz
Der Art. 38 Abs. 3 GG regelt hinsichtlich der Wahl, dass das Nähere ein Gesetz regelt. Dies ist das Bundeswahlgesetz.
Der Wahltag muss zwingend ein Sonntag oder ein Feiertag sein (§ 16 BWahlG).
Nach dem § 18 Abs. 2 BWahlG müssen Parteien, die im Deutschen Bundestag oder in einem Landtag seit deren letzter Wahl nicht auf Grund eigener Wahlvorschläge ununterbrochen mit mindestens 5 Abgeordneten vertreten waren nur Wahlvorschläge einreichen, wenn sie spätestens am 97 Tag vor der Wahl bei der Bundeswahlleiterin ihre Beteiligung anzeigen und der Bundeswahlausschuss ihre Parteieigenschaft festgestellt hat. Über § 19 BWahlG müssen Kreiswahlvorschläge und Landeslisten spätestens am 69. Tag vor der Wahl eingereicht werden.
Für die Einreichung von Kreiswahlvorschlägen, die nicht Parteien betreffen die im Bundestag oder in einem Landtag vertreten sind, sind 200 Unterschriften von Wahlberechtigten erforderlich (§ 20 BWahlG). Für die Einreichung von Landeslisten (§ 27 BWahlG) sind die Unterschriften von „1 vom Tausend der Wahlberechtigten des Landes bei der letzten Bundestagswahl, jedoch höchstens 2.000“ erforderlich.
Die Aufstellung von Wahlbewerbenden (§ 21 BWahlG) darf frühestens 32 Monate nach Beginn der Wahlperiode des Bundestages erfolgen. Der § 21 Abs. 5 BWahlG legt fest, dass das Nähere „über die Wahl der Vertreter für die Vertreterversammlung, über die Einberufung und Beschlussfähigkeit der Mitglieder- oder Vertreterversammlung sowie über das Verfahren für die Wahl des Bewerbers“ die Satzungen der Parteien regeln.
Nach § 26 BWahlG entscheidet der Kreiswahlausschuss am 58. Tag vor der Wahl über die Zulassung von Kreiswahlvorschlägen, eine Beschwerde ist binnen 3 Tagen beim Landeswahlausschuss möglich. Die Entscheidung ist spätestens am 52. Tag vor der Wahl zu treffen.
Der Landeswahlausschuss entscheidet spätestens am 58. Tag vor der Wahl über die Zulassung von Landeslisten (§ 28 BWahlG). Binnen drei Tage nach Entscheidung kann Beschwerde eingelegt werden, auch hier muss die Entscheidung über die Beschwerde spätestens am 52. Tag vor der Wahl getroffen werden.
Die Stimmzettel können erst nach diesen Entscheidungen gefertigt werden, der § 52 BWahlG erlaubt weitere Vorschriften durch Rechtsverordnung zu regeln, dies betrifft nach Nr. 13 auch die Briefwahl. Über § 52 Abs. 3 BWahlG gibt es die Möglichkeit der Abkürzung von Fristen durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Inneres und Heimat.
Dabei handelt es sich um die Bundeswahlordnung (BWO). Diese enthält vor allem Regelungen zur Wahlorganisation. So zum Beispiel, dass die Mitglieder der Wahlausschüsse „alsbald“ nach Festlegung des Wahltermins berufen werden. Ebenso muss ein Wahlvorstand gebildet werden. Die Gemeinden müssen ein Wähler*innen-Verzeichnis anlegen, nach § 16 Abs. 1 BWO muss dieses von Amts wegen am 42. Tag vor der Wahl die Wahlberechtigten erfassen. Spätestens am 21. Tag vor der Wahl kann ein Antrag auf Eintrag in das Wählerverzeichnis gestellt werden (§18 BWO). Die Benachrichtigung der Wahlberechtigten soll spätestens am Tag vor der Bereithaltung des Wählerverzeichnisses erfolgen , also am 43. Tag vor der Wahl. Am 20. Tag vor der Wahl ist bekanntzumachen, wer wie in das Wählerverzeichnis Einsicht nehmen kann (§ 20 BWO). Die Wahlscheine wiederum dürfen nicht vor Zulassung der Listen und Wahlkreisbewerbenden erteilt werden (§ 28 BWO), also spätestens am 52. Tag vor der Wahl wegen §§ 26 und 28 BWahlG. Der § 46 BWO enthält Vorschriften über die Wahlräume.
Es geht in der BWO aber auch um Kandidierende. Der § 32 BWO legt zum Beispiel fest, dass nach Bestimmung des Wahltermins die Wahlleitungen zur frühzeitigen Einreichung von Wahlvorschlägen aufrufen.
Der Neuwahltermin und das Grundgesetz
Nach Art. 68 GG kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers den Bundestag binnen 21 Tagen auflösen, wenn ein Antrag des Bundeskanzlers ihm das Vertrauen auszusprechen nicht die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages findet. Zwischen Antrag und Abstimmung müssen 48 Stunden liegen.
Es handelt sich also um ein mehrstufiges Verfahren: Abstimmung und abhängig vom Ergebnis Entscheidung des Kanzlers dem Bundespräsidenten Neuwahlen vorzuschlagen (vgl. BeckOK, Grundgesetz, Art. 68, Rz. 7). Das bedeutet zunächst, dass der Bundeskanzler dem Bundespräsidenten überhaupt die Auflösung vorschlagen muss. Das ist nicht zwingend, er könnte auch mit einer Minderheitsregierung weiterregieren, selbst wenn er die Vertrauensfrage verliert (vgl. BeckOK, Grundgesetz, Art. 68, Rz. 2) Der Bundespräsident wiederum kann die Auflösung explizit ablehnen oder die Dreiwochenfrist ohne Entscheidung verstreichen lassen, mit der Folge, dass der Kanzler weiterregieren muss (vgl. BeckOK, Grundgesetz Art. 68, Rz. 13). Oder der Bundespräsident entscheidet sich für die Auflösung entsprechend des Wunsches des Bundeskanzlers.
Für die Auflösung des Bundestages durch den Bundespräsidenten besteht eine Frist von 21 Tagen. Fristbeginn ist der Tag der Vertrauensabstimmung (vgl. BeckOK, Grundgesetz, Art. 68, Rz. 12). Wozu es meines Wissens keine Literatur und keine Rechtsprechung gibt ist die Frage, ob die 21-Tage-Frist verkürzt werden kann. Aus meiner Sicht spricht dagegen, dass der Bundestag innerhalb dieser Frist eine/n neue/n Kanzler/in wählen kann.
Auch wenn der Bundeskanzler einfach zurücktritt, finden nicht automatisch Neuwahlen statt. Zunächst würde nämlich eine Wahl des/der Nachfolgers/Nachfolgerin nach Art. 63 GG anstehen (vgl. BeckOK, Grundgesetz, Art. 68, Rz. 33). Der Bundespräsident müsste dann einen Vorschlag für eine/n neue/n Kanzler/in unterbreiten und der/die müsste die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erreichen. Passiert dies nicht, hat der Bundestag 14 Tage Zeit eine andere Person zum/zur Kanzler/in zu wählen. Passiert dies nicht, findet unverzüglich ein neuer Wahlgang statt, in der die Mehrheit der Stimmen ausreicht (dritte Wahlphase). Entspricht diese Mehrheit nicht der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages kann der Bundespräsident entscheiden, ob er den sog. Minderheitenkanzler ernennt oder den Bundestag auflöst (vgl. BeckOK, Grundgesetz, Art. 63, Rz. 28). Für diese Entscheidung hat der Bundespräsident 7 Tage Zeit.
Die Praxis
Die Praxis kann an verschiedenen Beispielen unter Berücksichtigung des Sitzungskalenders des Bundestages durchgespielt werden, wobei immer davon ausgegangen wird, dass die 21-Tagesfrist für die Entscheidung des Bundespräsidenten eingehalten wird und möglichst nah an der 60-Tagesfrist für die Neuwahl geblieben wird.
Dies führt zu mehreren Problemen. Zunächst kommt es zu Konflikten mit den regulären Fristen nach dem BWahlG. Die Beteiligungsanzeige müsste nach § 18 Abs. 7 BWahlG 97 Tage vor dem Wahltermin eingereicht werden, die Wahlvorschläge inklusive möglicher Unterstützungsunterschriften und die „Anerkennung“ als Partei am 69. Tag vor der Wahl und nach §§ 26 und 28 BWahlG entscheiden die Wahlausschüsse am 58 Tag vor der Wahl über die Zulassung. Unter Beachtung des Schulferienkalenders dürften sich keine Konflikte ergebe
a) Vertrauensfrage am 13. November und Abstimmung am 15. November
In dieser Variante fiele die Auflösung des Bundestages auf den 6. Dezember. Die Bundestagswahl müsste spätestens am 2. Februar stattfinden. Am 25. November müssten die Kandidierenden bei den Wahlausschüssen eingereicht werden.
b) Vertrauensfrage am 27. November und Abstimmung am 29. November
Die Auflösung des Bundestages würde auf den 20. Dezember fallen, der Wahltermin wäre der 16. Februar. Die Einreichung der Kandidierenden müsste am 9. Dezember erfolgen.
c) Vertrauensfrage am 04. Dezember und Abstimmung am 6. Dezember
Der Bundestag würde am 27. Dezember aufgelöst, die Bundestagswähl müsste spätestens am 23. Februar stattfinden. Die Einreichung der Kandidierenden müsste am 16. Dezember erfolgen.
d) Vertrauensfrage am 18. Dezember und Abstimmung am 20. Dezember
Am 10. Januar würde der Bundestag aufgelöst werden, der Neuwahltermin wäre der 9. März, die Einreichungsfrist für Kandidaturen würde am 30. Dezember enden.
e) Vertrauensfrage am 15. Januar und Abstimmung am 17. Januar
Der 7. Februar wäre der Tag, an dem der Bundestag aufgelöst werden würde und der 6. April der Tag der Bundestagswahl. Der 27. Januar wäre der Tag, an dem die Kandidierenden ihre Kandidatur eingereicht haben müssten.
Die Verkürzung der Fristen
Weil das mit den Einreichungsfristen mindestens für die Varianten d) und e) mindestens sportlich ist, zumindest wenn noch berücksichtigt wird, Verdass manche Parteien die Unterschriften bis zu diesem Zeitpunkt beizufügen haben und in den Varianten a) bis c) realistischerweise unrealistisch ist, ist davon auszugehen, dass eine Rechtsverordnung nach § 52 Abs. 3 BWahlG erlassen wird. Diese wiederum kann –und so war es auch 2005– erst an dem Tag erlassen werden, an dem der Bundestag aufgelöst wird.
Würden diese Fristverkürzungen auch auf die anstehenden Neuwahlen 2025 angewendet werden, dann müsste die Einreichung der Kandidierendenvorschläge mit ggf. Unterschriften am 34. Tag vor der Wahl eingereicht werden.
Konkret würde das bedeuten:
a) Vertrauensfrage am 13. November und Abstimmung am 15. November, Wahltag 2. Februar, Einreichung Kandidaturen 30. Dezember
b) Vertrauensfrage am 27. November und Abstimmung am 29. November, Wahltag 16. Februar, Einreichung Kandidaturen 13. Januar
c) Vertrauensfrage am 04. Dezember und Abstimmung am 6. Dezember, Wahltag 23. Februar, Einreichung Kandidaturen 20. Januar
d) Vertrauensfrage am 18. Dezember und Abstimmung am 20. Dezember, Wahltag 9. März, Einreichung Kandidaturen 3. Februar
e) Vertrauensfrage am 15. Januar und Abstimmung am 17. Januar, Wahltag 6. April, Einreichung Kandidaturen 3. März
Ergebnis
Bei der Festlegung des Wahltermins und damit der Vertrauensfragen muss berücksichtigt werden, dass die Chancengleichheit der Parteien gewahrt werden muss.
Für die Aufstellung von Wahlbewerbenden sind im Regelfall von der kleinsten Gliederung heraus Vertreter*innen (Delegierte) zu wählen, die dann den/die Wahlbewerbende aufstellen. Die innerparteilichen Fristen lassen sich sicherlich abkürzen, dürfen aber die Mitgliedschaftsrechte nicht leerlaufen lassen, so das wohl mindestens 14 Tage vorher eingeladen werden müsste. Wird von zwei Stufen ausgegangen, sind das 30 Tage bis zur Aufstellung, wenn von für drei Stufen ausgegangen wird, mindestens 45 Tage.
Wird weiterhin berücksichtigt, dass für bestimmte Parteien ein Unterschriftenerfordernis besteht und eine Verkürzung der Frist die Chancengleichheit beeinträchtigt, ergeben sich auch hier noch mal zu berücksichtigende Fristen für die Einreichung von Kandidaturen.
Dies bedeutet, ab heute (10. November) müssten mindestens 30 Tage für die Abhaltung von Verter*innen-Versammlungen einkalkuliert werden müssten. Da das dann unmittelbar in die Weihnachtszeit fällt und ein Zeitraum von ca. 30 Tagen für die Unterschriftensammlung ebenfalls berücksichtigt werden müsste, scheint mir unter dem Blickwinkel der Chancengleichheit der Parteien ein Wahltermin frühestens am 9. März (Vertrauensfrage 18. Dezember, Einreichung Kandidaturen 3. Februar) möglich.
Das Argument mit dem Grundgesetz
Immer wieder ist zu hören, aber das Grundgesetz hat doch diese Fristen für Neuwahlen festgelegt. Das ist richtig. Allerdings wurde das endgültige Wahlgesetz mit dem Unterschriftenerfordernis nach dem Grundgesetz verabschiedet, das Parteiengesetz existierte bei der Beschlussfassung des Grundgesetzes gar nicht.
Das BWahlG von 1949 enthielt für die heutige Zeit nicht vorstellbare Fristen, wie die Einreichung der Kandidatur bis 17 Tage vor der Wahl (§ 11, § 14). Dieses Wahlgesetz enthielt auch kein Unterschriftenerfordernis.
An dem Verweis auf das Grundgesetz ist allerdings auch ein Kern berechtigter Kritik. Wenn klar ist, dass die Fristen im Grundgesetz für Neuwahlen mindestens eine Benachteiligung für die Parteien darstellen, die Unterschriften für die Kandidatur sammeln müssen, dann muss entweder das Grundgesetz angepasst oder mindestens das Unterschriftenerfordernis außer Kraft gesetzt werden. Allerdings dürften auch für Parteien, die von der Unterschriftsleistung befreit sind, die Fristen arg eng bemessen sein, jedenfalls dann, wenn die Mitgliedschaftsrechte gewahrt werden sollen.