Paritätsgesetz – Die Entscheidung des LVerfG Brandenburg

Nach dem Verfassungsgerichtshof in Thüringen hat nun auch das Landesverfasssungsgericht (LVerfG) Brandenburg ein Paritätsgesetz für verfassungswidrig erklärt. Bislang liegen die Urteilsgründe noch nicht vor, insoweit kann ich mich zunächst nur auf die Presseerklärung beziehen. Der Beitrag wird aber einem Update unterzogen, sobald das Urteil mit den Entscheidungsgründen vorliegt.

Update: Die Entscheidungsgründe liegen nunmehr vor, der Blogbeitrag wird  entsprechend angepasst.

Es fällt zunächst auf, dass die Verfassungsbeschwerden „nur im Hinblick auf die gerügten Grundrechte der passiven Wahlrechtsgleichheit (Art. 22 Abs. 3 Satz 1 LV) und des Diskriminierungsverbots wegen des Geschlechts (Art. 12 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 LV) zulässig und im Übrigen unzulässig“ sind (Rdn. 148). Insofern wäre zu erwarten, dass das LVerfG sich allein mit diesen zwei Punkten auseinandersetzt. Das geschieht aber offensichtlich nicht.

Was stand im Paritätsgesetz 

An den Anfang gehört aber ein kleiner Blick auf die Regelungen des Paritätsgesetzes von Brandenburg, verankert im Landeswahlgesetz. Nach dem § 25 Abs. 3 sollen Frauen und Männer gleichermaßen bei der Aufstellung berücksichtigt werden, weshalb eine Liste für Frauen und eine Liste für Männer aufgestellt wird und dann entschieden wird, aus welcher Liste der erste Listenplatz besetzt wird. Die Listen werden dann abwechselnd gebildet. Wenn eine Liste erschöpft ist, d.h. keine weiteren Kandidierenden zur Verfügung stehen, kann nur noch eine weitere Person aus der anderen Liste benannt werden. Personen des dritten Geschlechts (sog. diverse Personen) können frei entscheiden, auf welcher der Listen sie sich um einen Listenplatz bewerben. Schließlich sah die Regelung auch vor, dass sie nicht für Parteien und politischen Vereinigungen oder Listenvereinigungen gilt, die satzungsgemäß nur ein Geschlecht aufnehmen und vertreten wollen.

Es geht also darum, dass Männer nicht mehr auf jedem Listenplatz kandidieren können, Frauen aber eben auch nicht. Es wird also das Recht auf eine Kandidatur eingeschränkt auf eine Kandidatur nur auf bestimmten Listenplätzen, es gibt aber keinen Ausschluss einer Kandidatur.

Dies verkennt das LVerfG, wenn es in Randnummer 175 heißt: „Die Vorgaben des Paritätsgesetzes sind von vergleichbarer Wirkung wie das in Art. 22 Abs. 5 Satz 3 LV genannte Beispiel. Ohne konkrete Benennung in der Verfassung entbehren sie einer hinreichenden Grundlage.“ Denn der Art. 22 Abs. 5 Satz 3 der Verfassung des Landes Brandenburg besagt, dass ein Gesetz auch vorsehen kann, dass Beamte, Angestellte des öffentlichen Dienstes und Richter nicht zugleich Mitglied im Landtag oder in kommunalen Vertretungskörperschaften sein können.“ Hier geht es um die Pflicht sich zwischen bisherigem Job und einem Mandat zu entscheiden, das ist etwas komplett anderes als eine Beschränkung der Möglichkeit einer Kandidatur.

Die Entscheidung des LVerfG abstrakt 

Das LVerfG hat sich im Gegensatz zum Verfassungsgerichtshof in Thüringen, der seine Ablehnung allein auf die Entstehungsgeschichte der Thüringer Verfassung stützt (zur Kritik daran siehe hier), ein wenig mehr Mühe gegeben, die juristische Problematik zu beleuchten. Dabei werden aber m.E. wichtige Aspekte übersehen. Wie immer geht es um die Frage, ob sich unzweifelhaft vorliegende Eingriffe in die passive Wahlrechtsgleichheit durch eine Verfassungsnorm rechtfertigen lassen.

Dazu lohnt sich ein Blick in die Landesverfassung von Brandenburg. In der Verfassung des Landes Brandenburg findet sich der Art. 12 Abs. 3 S. 2:

„Das Land ist verpflichtet, für die Gleichstellung von Frau und Mann in Beruf, öffentlichem Leben, Bildung und Ausbildung, Familie sowie im Bereich der sozialen Sicherung durch wirksame Maßnahmen zu sorgen.“

In der Verfassung ist also klargestellt, dass es eine Verpflichtung zu wirksamen Maßnahmen gibt, um für die Gleichstellung von Frau und Mann im Beruf und öffentlichen Leben zu sorgen. Wenn ich nun davon ausgehe, dass es in der Theorie keine Berufspolitiker*innen gibt, dann fällt die Mitgliedschaft in einem Parlament aber unter „das öffentliche Leben“. Dies sieht das LVerfG in Randnummer 199 auch so. Dort heißt es sogar:

„Der Gesetzgeber hat also, sofern er zulässigerweise einen Handlungsbedarf aufgrund fehlender Gleichstellung von Frauen im Bereich des Landesparlaments konstatiert, verfassungsrechtlich fortlaufend die Pflicht, wirksame Schutzmaßnahmen zu ergreifen, … .“

Die spannende Frage ist ja nun, wie das geschehen soll, wenn nicht über das Wahlrecht? Denn das Parlament setzt sich nun mal durch eine Wahl zusammen. Das LVerfG aber sagt in Randnummer 180 rigoros:

„Das vorwiegend auf Art. 12 Abs. 3 Satz 2 LV gestützte Gesetz verfolgt mit der Förderung der Gleichberechtigung von Frau und Mann auch einen wahl­rechts­fremden Zweck.“

und schließt damit eine Rechtfertigung komplett aus. Das ist aber nun das Gegenteil zu Randnummer 199.  In Randnummer 206 wird dies dann sogar noch explizit formuliert:

„Vorliegend kommt eine Rechtfertigung der Beeinträchtigungen der Grundrechte der Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer nicht in Betracht.“

Begründet wird dies dann in Randnummer 209 mit der Aussage:

„Einer Rechtfertigung durch Art. 12 Abs. 3 Satz 2 LV steht jedoch entgegen, dass sich aus dieser Staatszielbestimmung keine Befugnis zur einfachgesetzlichen Änderung ver­fassungskonstituierender demokratischer Strukturprinzipien ablesen lässt. Das Pari­tätsgesetz überschreitet den durch das Demokratieprinzip der Landesverfassung gesetzten Rah­men.“

Was in Thüringen die Geschichte der Verfassung war, ist in Brandenburg das Demokratieprinzip. Wie in Thüringen wird grundsätzlich anerkannt, dass es angebracht ist für Gleichstellung der Geschlechter zu sorgen, aber dann konkret doch nicht für zulässig angesehen. Ich finde das nicht überzeugend.

Die Argumentation mit der Parteienfreiheit

Entgegen der Presseerklärung ist die zentrale Argumentation nicht die Parteienfreiheit. In der Presseerklärung hieß es:

„Der Grundsatz der Freiheit der Wahl gelte auch für Parteien bereits im Vorfeld der Wahl. Es sei ihre grundlegende Aufgabe, u. a. durch Aufstellung von Kandidaten und Kandidatenlisten zu den Landtagswahlen, die Offenheit des Willensbildungsprozesses vom Volk hin zu den Staatsorganen zu gewährleisten. Dieser Prozess müsse frei von inhaltlicher staatlicher Einflussnahme bleiben. Durch das Paritätsgesetz entziehe der Gesetzgeber dem demokratischen Willensbildungsprozess einen wesentlichen Teil, indem er auf die Zusammensetzung der Listen Einfluss nehme. Die Vorgabe der paritätischen Listenbesetzung könne faktisch den Aus­schluss der Aufstellung bestimmter Bewerberinnen und Bewerber zur Folge haben. Bei Parteien, die ein sehr unausgewogenes Geschlechterverhältnis haben, könnte sie zudem zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Aufstellung abwechselnd besetzter Listen führen. Das habe Einfluss auf die Chancen der Parteien bei der Wahl. Außerdem verwische die Pflicht zur Aufstellung abwechselnd besetzter Listen die Unterschiede in den Parteiprogrammen. Den Parteien stehe es frei, sich im Rahmen ihrer Programmatik dem Ziel der Förderung der Gleichberechtigung mehr oder weniger zu verschreiben.“

Die gesamte Argumentation wird im Urteil dann unter dem Gesichtspunkt passive Wahlrechtsgleichheit und Demokratieprinzip geführt. Dennoch gehe ich auf die Parteienfreiheit hier ein.

Die Verfassung des Landes Brandenburg hat tatsächlich Regelungen im Hinblick auf die Parteienfreiheit  im Artikel 20. Nach Abs. 1 Satz 2 haben alle Vereinigungen, worunter auch Parteien fallen sollen, das Recht, ihre innere Ordnung frei und selbständig zu bestimmen und nach Absatz 3 muss ihre inneren Ordnung demokratischen Grundsätzen entsprechen. Die Freiheit ihrer Mitwirkung an der politischen Willensbildung ist zu gewährleisten. Nun enthält aber das Landeswahlgesetz und das Parteiengesetz bereits jetzt viel eingriffsintensivere Regelungen in die Parteienfreiheit und die Chancengleichheit als ein Paritätsgesetz.

  • Nach § 21 Abs. 2 des Landeswahlgesetz können Parteien und politische Vereinigungen überhaupt nicht zur Wahl antreten, soweit sie sich an der letzten Wahl zum Landtag oder an der letzten Wahl zum Deutschen Bundestag im Land nicht mit einem zurechenbaren Wahlvorschlag beteiligt haben und keine sog. Beteiligungsanzeige gestellt haben. Haben sie das getan, wird nach Abs. 5 S. 2 vom Wahlausschuss überhaupt erst mal festgestellt, ob es sich um eine wahlfähige Partei oder Vereinigung handelt.
  • Nach § 24 Abs. 4 Nr. 2 ist eine Wahlteilnahme nur dann möglich, wenn ausreichend Unterstützungsunterschriften vorgelegt werden.
  • Parteien können nur diejenigen Kandidierenden aufstellen, denen  nach dem Wahlgesetz überhaupt das passive Wahlrecht zusteht (ausführlicher dazu im Punkt „Die Argumentation mit den Wahlrechtsgrundsätzen). Parteienfreiheit hin oder her, es ist einer Partei nicht möglich aufgrund ihrer Programmfreiheit auch Personen aufzustellen, die beispielsweise keine deutsche Staatsbürgerschaft haben oder erst 17 Jahre alt sind.
  • Parteien dürfen ihre finanziellen Mittel ausschließlich für die Aufgaben nach dem Grundgesetz und dem Parteiengesetz verwenden (§ 1 Abs. 4 Parteiengesetz), sind insoweit also nicht frei die Mittel beliebig einzusetzen.
  • Eine Partei muss mindestens alle sechs Jahre an einer Landtags- oder Bundestagswahl teilnehmen, andernfalls verliert sie den Parteienstatus (§ 2 Abs. 2 S. 1 Parteiengesetz). Es ist also unmöglich als Partei im Rahmen der Programmfreiheit zu sagen, eine Wahlteilnahme findet nicht statt, weil es vielmehr nur um die Unterstützung außerparlamentarischer Anliegen geht.
  • Es ist unmöglich für eine Partei einen Vorstand zu haben, in dem die Mehrheit der Mitglieder des Vorstandes Ausländer sind (§ 2 Abs. 3 Ziffer 1 Parteiengesetz). Es ist also unmöglich als Partei im Wege der Programmfreiheit zu sagen, unser Anspruch ist die Selbstvertretung nichtdeutscher Staatsbürger*innen, weshalb unser Vorstand mehrheitlich aus Nichtdeutschen besteht.
  • Nach § 9 Abs. 1 muss ein Parteitag mindestens in jedem zweiten Kalenderjahr zusammentreten. Nach § 11 Abs. 1 muss der Vorstand mindestens in jedem zweiten Kalenderjahr gewählt werden.
  • Schließlich ist noch auf den wichtigen § 10 Abs. 1 S. 4 Parteiengesetz hinzuweisen. Dieser besagt: „Personen, die infolge Richterspruchs die Wählbarkeit oder das Wahlrecht nicht besitzen, können nicht Mitglieder einer Partei sein.“

Ein Teil der aufgeführten Punkte kann sicherlich mit wahlorganisatorischen Überlegungen gerechtfertigt werden (hier insbesondere die Unterstützungsunterschriften). Aber mitnichten gilt das für alle Punkte. Für eine verfassungsrechtliche Bewertung des Paritätsgesetzes wäre es aus meiner Sicht unerlässlich zu schauen, welche Rechtfertigungen es für die Eingriffe in die Parteienfreiheit und dort die Chancengleichheit durch das Paritätsgesetz und die bestehenden Regelungen im Parteienrecht und Wahlgesetz gibt. Soweit ich das sehe gibt es bei den benannten Punkten nur bedingt explizite Verfassungsgründe und sind die Eingriffe zum Teil viel tiefgehender als bei den Vorschlägen des Paritätsgesetzes. Denn bei den benannten Punkten wird ja Parteien partiell untersagt überhaupt Menschen aufzunehmen (Weshalb die Regelung des § 10 Abs. 1 S. 4 Parteiengesetz sein muss, habe ich nie verstanden.) oder Kandidierende aufzustellen. Es wird partiell unmöglich gemacht überhaupt zu kandidieren als Partei. Das alles bleibt außer Betracht und wird nicht ins Verhältnis gesetzt zur Eingriffstiefe eines Paritätsgesetzes und der Rechtfertigung der Verletzung der Parteienfreiheit durch eine Verfassungsnorm.

Wenn nun das LVerfG in der Presseerklärung und sinngemäß auch in Randnummer 189 argumentiert:

„Aus der Landesverfassung ergebe sich, dass sich die Willensbildung mit Hilfe der Wahlen frei von staatlicher Einflussnahme vom Volk aus zu vollziehen habe. Der Staat habe sich in diesem gesamten Prozess inhaltlicher Vorgaben zu enthalten.“

dann stellt sich mir die Frage, wie all die benannten Punkte aus Sicht des LVerfG zu bewerten sind. Sind die jetzt alle auch verfassungswidrig? Schließlich handelt es sich bei diesen an vielen Stellen sehr deutlich um inhaltliche Vorgaben. Das gesamten Parteiengesetz ist -aus nachvollziehbaren Gründe- eine Einschränkung der Parteienfreiheit.

Die Parteien haben einen besonderen Schutz, weil sie diejenigen sind, die den „Zugang zum Parlament vermitteln“, d.h. im Regelfall allein über sie die Bevölkerung Parlamentarier*innen in Parlamente entsendet. Die Wählenden können die Listen der Parteien nicht ändern, sondern sind an das gebunden, was ihnen die Parteien an Kandidierenden vorsetzen. Das LVerfG nimmt darauf selbst in Randnummer 152 Bezug. Dies zu Grunde gelegt, kann aber für die Chancengleichheit weder die Mitgliedschaft in einer Partei, noch die Anzahl der Kandidierenden entscheidend sein. Wenn also das LVerfG in Randnummer 158 auf eine Variante abstellt, dass dem „in der Wahl­ver­sammlung zahlenmäßig geringer vertretenen Geschlecht (…) pro Kandidatin bzw. Kandidat mehr Listenplätze zur Verfügung (stehen), als den jeweiligen Bewerberinnen und Bewerbern des stärker repräsentierten Geschlechts“, wird genau dieser Zusammenhang übersehen und darüber hinaus würde dies dazu führen, dass der bestehende Zustand der strukturellen Benachteiligung von Frauen perpetuiert. Denn die strukturelle Benachteiligung von Frauen beginnt nicht erst bei der Aufstellung von Wahlbewerber*innen.

Sollte nun das Argument mit der Direktkandidatur kommen, ist dies nicht überzeugend. Zumindest auf der Bundesebene gab es meines Wissens nur bei der ersten Bundestagswahl 1949 erfolgreiche parteilose Direktkandidaturen.

Die besondere Stellung von Parteien zeigt sich auch in § 1 des Parteiengesetzes, der explizit von verfassungsrechtlicher Stellung und verfassungsrechtlichen Aufgaben spricht. Wer aber eine verfassungsrechtliche Stellung hat und verfassungsrechtliche Aufgaben wahrnimmt, kann sich nicht einfach so aus verfassungsrechtlichen Vorgaben rausmogeln. Darauf lässt im Übrigen auch der § 17 S. 2 Parteiengesetz schließen, der explizit festlegt:

„Die Aufstellung regeln die Wahlgesetze und die Satzungen der Parteien.“

Darauf geht das LVerfG überhaupt nicht ein, dabei wird hier deutlich, dass die Wahlgesetze natürlich den Parteien Vorschriften hinsichtlich der Aufstellung von Kandidierenden machen können und auch machen, also die Parteienfreiheit einschränken. Wie sich gleich zeigen wird.

Die Argumentation mit der passiven Wahlrechtsgleichheit

Neben den Regelungen in der Verfassung zu Vereinigungen und damit auch Parteien, gibt es in der Brandenburger Verfassung auch Regelungen zum den Wahlen. Art. 22 Abs. 3 S. 1 lautet insoweit:

„Wahlen und Volksabstimmungen sind allgemein, unmittelbar, gleich, frei und geheim.“

Das LVerfG verweist zunächst vollkommen richtig in Randnummer 151 darauf, dass der Grundsatz der Gleichheit der Wahl es gebietet,

„dass alle Staatsbürger das aktive und passive Wahlrecht in formal möglichst gleicher Weise ausüben können (…). Diese Gleichbehandlung der Staats­bürger bezüglich der Fähigkeit, zu wählen und gewählt zu werden, ist eine der wesen­tlichen Grundlagen der Staatsordnung. Sie ist im Sinne einer strengen und for­ma­len Gleichheit bei der Zulassung zur Wahl zum Parlament zu verstehen (…).“

Nun kennt aber das Landeswahlgesetz Brandenburg jede Menge Regelungen, welche die Wahrlechtsgrundsätze und auch die passive Wahlrechtsgleichheit (z.B. § 8 Abs. 1 Ziffer 1 und § 8 Abs. 2) einschränken. Zu den einschränkenden Regelungen der Wahlrechtsgrundsätze gehören:

  • In § 3 Abs. 1 gibt es eine Sperrklausel. Parteien, welche die 5%-Hürde nicht überschreiten, bekommen keine Mandate, die Stimmen der Wähler*innen für diese Parteien führen deswegen zu Mandanten für andere Parteien.
  • Ebenso findet sich in § 3 Abs. 1 eine Sonderregelung für Parteien der Sorben/Wenden, diese erhalten auch Mandate, wenn sie die 5%-Sperrklausel nicht überwinden.
  • Der § 3 Abs. 6 ff. enthält Regelungen zu Überhangmandaten und deren Ausgleich. Hier ist besonders interessant, dass eine absolute Größe des Parlaments auf 110 Sitze festgelegt wird, mithin möglich ist, dass eine Verhältnisausgleich nicht vollständig durchgeführt wird. Es kann also passieren, dass das Verhältnis der Zweistimmenergebnisse der im Landtag vertretenen  Parteien nicht in deren Mandaten entspricht.
  • § 5 Ziffer 1 erlaubt nur denjenigen an einer Wahl aktiv teilzunehmen, die das 16. Lebensjahr vollendet haben. Wer jünger ist, ist vom aktiven Wahlrecht komplett ausgeschlossen. Für das passive Wahlrecht regelt der § 8 Abs. 1 Ziffer 1 eine Mindestaltersgrenze, die Vollendung des 18. Lebensjahres. Wer diese Mindestaltersgrenze nicht erreicht, ist komplett vom passiven Wahlrecht ausgeschlossen. Parteien können solche Kandidierenden auch nicht aufstellen.
  • Der § 7 regelt, dass komplett vom aktiven Wahlrecht ausgeschlossen ist, wer infolge Richterspruch das Wahlrecht nicht besitzt. Das betrifft den § 45 StGB.  Der § 8 Abs. 2 wiederum legt fest, unter welchen Bedingungen ein kompletter Ausschluss vom passiven Wahlrecht erlaubt ist. Auch hier ist wieder die Verweisungskette auf § 45 StGB relevant, d.h. zum Beispiel wer wegen eines Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wurde, kann für 5 Jahre keine Rechte aus öffentlichen Wahlen erlangen. Parteien können solche Personen auch nicht als Kandidierende aufstellen.

Bei all den aufgezählten Punkten handelt es sich um Verletzungen der Wahlrechtsgrundsätze, wie sie in der Verfassung des Landes Brandenburg verankert sind. Es gibt eine umfangreiche Literatur zu einzelnen Punkten (nicht zu allen !), in denen die Rechtfertigung der Verletzung dargelegt wird. Nicht immer sind diese aus meiner Sicht überzeugend (zum Beispiel was die Sperrklausel angeht oder den Komplettausschluss vom Wahlrecht auf Grundlage des § 45 StGB). Aber darum geht es hier nicht. Es ist nur wichtig deutlich zu machen, dass es keine Besonderheit des Paritätsgesetzes ist, dass mit ihm Wahlrechtsgrundsätze verletzt werden. Es geht immer darum, ob diese Verletzung gerechtfertigt ist.

Es ist also zunächst vollkommen richtig, wenn das LVerfG in Randnummer 154 feststellt, dass das Paritätsgesetz die passive Wahlrechtsgleichheit verletzt, weil es Personen des jeweils anderen Geschlechts ‑‌ den Zugang zu bestimmten Listenplätzen bzw. Vorlisten bei der innerparteilichen Kandidatenaufstellung verwehrt und den Zugang zu einer Landesliste überhaupt verwehren kann. Der entscheidende Punkt ist, ob eine Verletzung gerechtfertigt ist. Zutreffen sagt das LVerfG in Randnummer 196:

„Differenzierungen hinsichtlich der ak­ti­ven oder passiven Wahlberechtigung bedürfen zu ihrer Rechtfertigung stets beson­de­rer, sachlich durch die Verfassung legitimierter bzw. >zwingender< Gründe, die von einem Gewicht sind, das der Gleichheit bzw. der Allgemeinheit der Wahl zumindest die Waage halten kann.“

Das LVerfG macht nun lauter Ausführungen zum Paritätsgesetz, unterlässt dabei aber zunächst stets eine Bezugnahme darauf, ob ein beson­de­rer, sachlich durch die Verfassung legitimierter bzw. zwingender Grund vorliegt, der von einem Gewicht ist, der der Gleichheit bzw. der Allgemeinheit der Wahl zumindest die Waage halten kann, vorliegt. Die Ausführungen zum Art. 12 Abs. 3 S. 2 der Landesverfassung gewährleisten das jedenfalls nicht. Noch weniger findet sich eine Bezugnahme auf existierende Verletzungen der passiven Wahlrechtsgleichheit und ihre Rechtfertigung. Die existierenden Verletzungen der passiven Wahlrechtsgleichheit sind viel eingriffsintensiver als die Verletzungen durch ein Paritätsgesetz. Beim Paritätsgesetz geht es nämlich einzig und allein um die Frage, nicht auf jedem Platz einer Liste kandidieren zu können, bei anderen Punkten ist eine Kandidatur überhaupt nicht möglich. Dazu findet sich aber kein Wort im Urteil.

Wenn es in Randnummer 153 heißt:

„Die Gleichheit der Wahl gewährleistet im Wahlvorbereitungsstadium, dass jede potenzielle Kandidatin und jeder potenzielle Kandidat mit den gleichen Chancen für jeden Listenplatz einer Parteiliste kandidieren können muss.“

dann ist das im geltenden Wahlrecht schon nicht gegeben, wird aber indirekt als gerechtfertigt vom LVerfG angesehen, indem es übersehen wird. Andernfalls hätte es ja darauf Bezug genommen. Ein Rechtfertigung zum Beispiel der Wahlrechtsausschlüsse, die potenziellen Kandidierenden jegliche Chance auf einen Listenplatz nehmen, ist nur bedingt durch explizite Verfassungsnormen gegeben. Bei den Paritätsgesetzregelungen wiederum wird sich explizit auf die Verfassung als Rechtfertigung berufen, was das LVerfG aber als Rechtfertigung ablehnt. Wie ich finde, nicht überzeugend. Würden die existierenden Einschränkungen der passiven Wahlrechtsgleichheit mit der Paritätsregelung verglichen, würde sich feststellen lassen: Es  gibt deutlich eingriffsintensivere Verletzungen der Wahlrechtsgrundsätze, die teilweise nicht mal eine explizite verfassungsrechtliche Rechtfertigung haben, aber als verfassungsrechtlich zulässig angesehen werden. Das scheint mir dann doch eine gehörige Schieflage zu sein.

Völlig unverständlich ist mir die Ausführung in Randnummer 219 zur weitergehenden Möglichkeit einer Kandidatur für Personen des dritten Geschlechts. Das LVerfG sagt dort:

„§ 25 Abs. 3 Sätze 2 bis 6 BbgLWahlG verletzt die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer auch in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 LV. Die Norm führt zu einer nicht gerechtfertigten Benachteiligung wegen ihres Geschlechts.“

Die Benachteiligung sieht das LVerfG dann in folgendem Vorgang (Rdn. 223):

„Der durch das Paritätsgesetz geänderte § 25 Abs. 3 BbgLWahlG benachteiligt Frauen und Männer wegen ihres Geschlechts jedenfalls gegenüber Personen des dritten Geschlechts. Letztere können sich bei der Aufstellung der Landeslisten frei entscheiden, für welche Vorliste sie sich bewerben; Männer und Frauen können dies hingegen nicht.“

Das hat mir dann die Schuhe ausgezogen und noch viel mehr, dass es dazu nicht mal ein Minderheitenvotum gibt. Natürlich müssen sich Personen des dritten Geschlechts -für die Dauer der Aufstellungsversammlung- einer Liste zuordnen und haben dann die gleichen Kandidaturmöglichkeiten wie alle anderen auch. Die Einräumung einer Wahloption liegt in der Natur der Sache des dritten Geschlechts. Die Alternative wäre ja, dass sie sich überhaupt nicht bewerben können. Wer hier diese Wahloption ausschließt, der stellt entgegen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das dritte Geschlecht an sich in Frage.

Die Argumentation mit dem Demokratieprinzip

Durch die gesamte Entscheidung zieht sich die Argumentation mit dem Demokratieprinzip. So heißt es in Randnummer 149:

„Änderungen im Wahlrecht, die Auswirkungen auf das Demokratieprinzip in seiner bisher verfassten Form haben, bedürfen jedoch einer Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers und sind dem Zugriff des einfachen Gesetzgebers entzogen.“

Ich könnte jetzt zunächst darauf hinweisen, dass dementsprechend die Sperrklausel im Bundeswahlgesetz nicht zulässig wäre. Denn bei den Beratungen des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat lag zeitweise in Art. 45 Abs. 3 GG die Option auf eine Sperrklausel bei Wahlen vor. Diese wurde vom Wahlrechtsausschuss des Parlamentarischen Rates gestrichen und die Beantragung der Wiederaufnahme im Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates scheiterte in diesem knapp. Demzufolge enthielt der vom Parlamentarischen Rat beschlossene Wahlgesetzentwurf auch keine Sperrklausel – dies hätte ja dem Willen des Verfassungsgesetzgebers widersprochen, der eine solche Option ausdrücklich abgelehnt hatte. Die im ersten Wahlgesetz enthaltene Sperrklausel war dann auf einen Beschluss der Ministerpräsidenten zurückzuführen. Das Bundesverfassungsgericht wiederum hat die Sperrklausel in ständiger Rechtsprechung als verfassungsgemäß angesehen – obwohl der historische Verfassungsgesetzgeber dies explizit abgelehnt hatte. Nach der Rechtsprechung des LVerfG hätte der einfache Gesetzgeber diese demokratische Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers gar nicht verändern dürfen. Dies deckt sich auch mit dern Ausführungen in Randnummer 177.

In Randnummer 176 wird gesagt, dass

„das Demokratieprinzip in seiner aus der derzeitigen Landesverfassung zum Ausdruck kommenden Form eine Paritätsvorgabe für die Wahl zum Landtag nicht erlaubt.“

In wenigen Zeilen umschreibt dann das LVerfG (Rdn. 177), was dies seiner Meinung nach bedeutet:

„Ein Ausgestaltungs­spiel­raum erfordert und ermöglicht lediglich die notwendige Aus­gestaltung der Wah­len. Der Gesetzgeber muss zwingend eine von der Landes­ver­fassung nicht abschließend getroffene grundlegende Entscheidung für ein Wahl­sys­tem vornehmen, damit die (Parlaments-)‌Wahlen überhaupt durchgeführt werden kön­nen. (…) Bei der Fest­le­gung der technischen Einzelheiten verfügt der Gesetzgeber ‌‑ insoweit ist dem Äußerungsberechtigten noch zuzu­stim­men ‑‌ über einen weiten Gestaltungsspielraum. Dieser gestattet jedoch nur die Ausfüllung des verfassungsrechtlichen Rahmens, nicht aber davon abweichende Regelungen. Regelungsbedürftig durch den Gesetz­geber sind etwa die Zahl der Abgeord­neten, das Wahlsystem im Einzelnen, das Wahlverfahren sowie die Konkretisierung der Wahlrechtsgrundsätze“.

Neben der Sperrklausel wären auch viele andere Punkte in den beiden vorherigen Kapiteln somit nicht durch den einfachen Gesetzgeber zu regeln gewesen. Doch darauf wird nicht nur in dieser Entscheidung nicht eingegangen. Die Argumentation wird nämlich nie zu Ende gedacht und auf die existierenden Regelungen angewendet. In Randnummer 178 wiederum wird dann präzisiert, dass das freie Wahl­vor­schlagsrecht der Parteien Ausdruck des Demokratie­prin­zips aus Art. 2 Abs. 1 LV ist. Damit könnte die Betrachtung zum Demokratieprinzip hier abgeschlossen und auf die anderen beiden Kapitel verwiesen werde.

Aber tatsächlich kommt das LVerfG in Randnummer 182 noch zu weiteren Ausführungen. Das Demokratieprinzip aus Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 LV und eine gleichberechtigte demo­kratische Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger bzw. eine >effektive Mitbe­stim­mung der Bürgerinnen< als Ausdruck der in Art. 2 Abs. 2 LV begründeten Volks­sou­ve­ränität (vgl. Art. 20 Abs. 2 Satz 1, Satz 2, 1. Var, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) erfordere keine paritätische Geschlechtervertretung im Landtag, sagt das LVerfG. Das kann man ja durchaus so sehen, aber es geht gar nicht um die Frage, ob das Demokratieprinzip es erfordere, sondern um die Frage, ob eine Paritätsregelung dem Demokratieprinzip widerspricht. Das LVerfG ist nun der Ansicht, ein Paritätsgesetz widerspreche dem Demokratieprinzip, denn dieses umfasse nicht das Konzept der deskriptiven Demokratie. Das ist eine ziemlich mutige Aussage, denn der Repräsentationsaspekt des Demokratieprinzips umfasst sowohl den Aspekt, welche Rolle die Repräsentanten bei der Willensbildung spielen (inhaltliche Repräsentation), als auch  den Aspekt, wie sich die „Vertretung des ganzen Volkes“ darstellt (deskriptive Repräsentation). Letztere soll sicherstellen, dass die Vertretung bzw. Vermittlung der unterschiedlichen Willen der Gesamtbevölkerung gewährleistet ist, was aber zwingend voraussetzt, dass das Parlament auch irgendwie ein Abbild der Bevölkerung darstellt. Das ist derzeit nicht unbedingt gegeben, nicht nur in Bezug auf Frauen. Im Unterschied zu anderen Gruppen gibt es aber im Hinblick auf Frauen eine staatliche Verpflichtung zur Gleichstellung.  Wichtiger als dieser Aspekt scheint mir jedoch, dass die Frage der deskriptiven Demokratie gar nicht Beweggrund des Paritätsgesetzes war. Das wird in Randnummer 187 deutlich:

„Soweit der Äußerungs­berech­tigte im vorliegenden Verfahren meint, mit dem Pari­täts­gesetz gehe es nicht um eine Repräsentation durch eine Spiegelung der Gruppe der Frauen, sondern um die Herstellung eines „>level playing field<, vermag die abwei­chen­de Bezeichnung nichts an der Tatsache zu verändern, dass er einen gruppenbezogenen Ansatz verfolgt, indem er einen höheren ‌‑ auf lange Sicht ausgeglichenen ‑‌ Anteil von Frauen im Landtag anstrebt.“

Das LVerfG verkennt hier komplett den Ansatz eines Paritätsgesetzes, Chancengleichheit für Frauen herzustellen. Das auf Grund der fehlenden Möglichkeit für die Wählenden die Listen zu ändern, im Ergebnis bei der Listenwahl tatsächlich der Frauenanteil erhöht wird, ist systembedingt und kann deshalb nicht negativ dem Paritätsgesetz angerechnet werden. Das LVerfG macht es sich an dieser Stelle zu einfach.

Die zentrale Aussage scheint mir aber in Randnummer 189 zu stehen (auf sie wurde aber schon eingegangen), auch wenn sie wieder zu den anderen Kapiteln führt:

„Den Staats­organen ist es grundsätzlich verwehrt, sich in Bezug auf den Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes zu betätigen – er hat >staatsfrei< zu bleiben (…). Die Vorgabe einer Quote von Männern und Frauen bei der Besetzung von Wahl­listen für ein Parlament mittels des Wahl­rechts verkehrt dieses grundlegende demokratische Prinzip der Willens­bil­dung von unten nach oben aber geradezu in sein Gegenteil, indem der Gesetzgeber dem Volk und den Parteien vorgibt, welche Besetzung des Parlaments >die richtige< sei. Ein wesentlicher Teil der Wahl­ent­schei­dung wird dadurch dem demokratischen Prozess entzogen.“

Mit dieser Aussage drehen wir uns aber wieder im Kreis. Denn es gibt diverse staatliche Vorgaben (siehe weiter oben), die aber alle gar kein Problem zu sein scheinen. Und schon mit dem Parteiengesetz werden Vorgaben gemacht.

Ziemlich bitter für jemanden, der das politische Geschäft auch aus der Praxis kennt sind die Aussagen in Randnummer 185:

„Jede und jeder gewählte Abgeordnete vertritt das Volk und ist diesem gegen­über verant­wort­lich. Die Abgeordneten sind nicht einem Wahlkreis, einer Partei oder einer Bevölke­rungs­grup­pe, sondern dem ganzen Volk gegenüber verant­wort­lich; sie repräsen­tie­ren das Volk in dem unitarischen Vertretungsorgan >Landtag< in ihrer Gesamtheit. Niemand von ihnen vertritt also lediglich eine bestimmte Bevöl­ke­rungs­gruppe oder Interessen­gruppe – insbesondere auch nicht die soziale Gruppe, der er selbst angehört.“

Diesen Gedanken zu Grunde gelegt, bräuchte es keines Mehrparteiensystems, weil ja alle Parlamentarier*innen immer die Gesamtheit der Bevölkerung, gibt es keine Wahlkreisinteressen und keine unterschiedlichen Schwerpunkte für Politik. Gerade im Wahlrecht, sagt das BVerfG, ist es erforderlich, dass sich dieses an der Realität orientiert und nicht einen Idealzustand beschreibt. In Randnummer 185 gelingt dies nicht.

Fazit

Mein bitteres Fazit: Offensichtlich kann fast jede Verletzung der Parteienfreiheit und der Wahlrechtsgrundsätze gerechtfertigt werden, ob mit expliziter Verfassungsnorm oder ohne, es sei denn es geht um den Abbau bestehender Nachteile für Frauen in der Politik also die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung.

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