Der Rechtsausschuss des Bundestages wird sich heute im Rahmen einer Anhörung mit dem Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung beschäftigen.
Was meint das? Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil vom 4. Mai 2011 dem Gesetzgeber aufgegeben, ein Gesamtkonzept der Sicherungsverwahrung zu entwickeln, dass dem Verfassungsrechtlichen Abstandsgebot Rechnung tragen soll. Abstandsgebot meint, dass sich der Vollzug der Unterbringung der Sicherungsverwahrung vom Vollzug der Strafhaft deutlich unterscheiden soll. Es muss kurz gesagt eine Regelung getroffen werden, die eine deutliche Unterscheidung zwischen Knast und Sicherungsverwahrung schafft. Die Strafhaft erfolgt aufgrund einer konkreten Tat und richtet sich in ihrem Strafmaß, also der Frage wie lange jemand im Knast bleiben muss, nach genau dieser Tat und der Schuld des Täters. Die Sicherungsverwahrung wiederum folgt nach der Strafhaft und zählt zu den Maßregeln, die Unterbringung erfolgt auf Grund einer Gefährlichkeitsprognose. Mithin ist die Sicherungsverwahrung präventive Sicherungshaft.
Die Bundesregierung schlägt nun in § 66c StGB vor, dass die Unterbringung im Vollzug der Sicherungsverwahrung in Einrichtungen erfolgen soll, die „auf der Grundlage einer umfassenden Behandlungsuntersuchung und eines regelmäßig fortzuschreibenden Vollzugsplanes eine Betreuung anbietet“ die individuell und intensiv sein soll und das Ziel verfolgt, die Gefährlichkeit zu mindern. Die Unterbringung soll so wenig wie möglich belastend sein und „soweit Sicherheitsbelange nicht entgegenstehen, den allgemeinen Lebensverhältnissen angepasst“ sein. Die Unterbringung soll vom Strafvollzug getrennt erfolgen, d.h. in besonderen Gebäuden oder Abteilungen. Es sollen „vollzugsöffnende Maßnahmen“ gewährt und Entlassungsvorbereitungen getroffen werden. Soweit die Strafvollzugsanstalten und die Orte an denen die Sicherungsverwahrung vollstreckt wird keine ausreichenden Behandlungsangebote machen, kann die Sicherungsverwahrung als unverhältnismäßig angesehen werden und die Sicherungsverwahrung deshalb zur Bewährung ausgesetzt werden.
Damit wäre eigentlich alles zum Abstandsgebot gesagt. Doch die Bundesregierung geht noch weiter. Sie will die vorbehaltene Sicherungsverwahrung für Jugendliche, d.h. im Urteil kann ausgesprochen werden, dass zu einem späteren Zeitpunkt entschieden wird ob nach der Strafhaft noch Sicherungsverwahrung hinzukommt. Für den Fall das der Jugendliche noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, soll die Jugendstrafe in einer sozialtherapeutischen Einrichtung vollzogen werden. Welches Recht, wann anzuwenden ist soll in Artikel 316 f des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch geklärt werden. Das im Rechtsausschuss zur Debatte stehende Gesetz soll ab 1. Juni 2013 in Kraft treten und damit für Straftaten gelten, die nach dem 31. Mai 2013 begangen wurden, für alle anderen Fälle soll der das bisherige Recht gelten. Das sog. Therapieunterbringungsgesetz wird dahingehend geändert, dass die Einrichtungen zu Vollzug der Sicherungsverwahrung unter bestimmten Umständen auch für die Therapieunterbringung geeignet sein sollen.
Dem Bundesrat reichen die Änderungen nicht aus. Er fordert eine nachträgliche Therapieunterbringung. Dies meint, dass für Personen deren Straftaten die Anordnung der Sicherungsverwahrung rechtfertigen würden nach der Verurteilung und damit im Knast Voraussetzungen festgestellt werden, die eine Therapieunterbringung rechtfertigen würden. In diesem Fall, soll eine solche Therapierunterbringung möglich sein. Die SPD will dies bedauerlicherweise auch. Darüber hinaus will die SPD in ihrem Antrag völlig berechtigt, eine Beschränkung der Straftaten, für die Sicherungsverwahrung verhängt werden darf. Komisch nur, dass sie dem letzten Gesetz zur Sicherungsverwahrung zugestimmt hat, in dem genau diese Einschränkung dieser Straftaten nicht erfolgte. DIE LINKE fordert eine Experten_innenkommission um generell zu prüfen, ob das Institut der Sicherungsverwahrung noch nötig ist. DIE LINKE lehnt die Sicherungsverwahrung ab.
Aus den schriftlichen Stellungnahmen zeichnet sich ab, dass die nachträgliche Therapieunterbringung wohl zentraler Bestandteil der Anhörung sein wird. Die Stellungnahmen sind aber auch aus vielen anderen Gründen interessant und ich habe versucht sie kurz zusammenzufassen.
Herr Dr. Anders, Staatsanwalt beim Landgericht Lübeck, befasst sich mit der vom Bundesrat geforderten nachträglichen Therapieunterbringung und macht deutlich, dass diese „einen Hybrid“ aus den nicht mehr geltenden Regelungen zur nachträglichen Sicherungsverwahrung und Ausnahmeregelungen für Altfälle aus dem Bundesverfassungsgerichtsurteil darstellt. Diese nachträgliche Therapieunterbringung begegnet „grundsätzlichen Bedenken“.
Peter Asprion, ein Praktiker der Diplomsozialarbeiter im Freiburger Knast war und jetzt u.a. als Bewährungshelfer mit Straftätern und ehemaligen Sicherungsverwahrten zu tun hat, verweist vor allem auf die praktischen Schwierigkeiten die nach der Haft/Sicherungsverwahrung auftreten. Er verweist aber auch darauf, dass von den bundesweit entlassenen ca. 70-80 entlassenen Sicherungsverwahrten es zu einem einzigen einschlägigen Rückfall gekommen ist. Auch Asprion fordert die Abschaffung der Sicherungsverwahrung und schlägt vor die eingesparten Gelder für die Unterstützung von Opfern und Opferverbänden einzusetzen. Gleichzeitig macht er Vorschläge für Zwischenschritte bis zur Abschaffung der Sicherungsverwahrung.
Dr. Weismann, Präsident des Landgerichts Achen, verweist auf eine in seinen Augen bestehende Regelungslücke, die sich darauf bezieht, dass es eine Möglichkeit des Schutzes der Allgemeinheit geben muss, wenn nach der Verurteilung die Gefährlichkeit eines psychisch gestörten Täters bekannt wird. Allerdings räumt Herr Dr. Weismann ein, dass es über das Auftreten solcher Fälle keine statistischen Daten gibt. Er sieht gegenüber der nachträglichen Therapierunterbringung keine verfassungsrechtlichen Bedenken und fordert diese auch für Jugendliche. Weismann bringt ein Beispiel wo aus seiner Sicht die nachträgliche Therapieunterbringung angebracht wäre um dann zu erklären, wie auf freiwilliger Basis eine Lösung gefunden wurde. Die logische Schlussfolgerung wäre dann ja, auf dieses Instrument zu verzichten, wenn es auch so geht. Darüber hinaus stellt er die derzeitige –unübersichtliche- Rechtslage der Sicherungsverwahrung dar.
Herr Beß, Richter am Oberlandesgericht München, fordert ebenfalls eine Regelung zur nachträglichen Unterbringung und spricht dabei von der „(Wieder-)Einführung einer nachträglichen Unterbringungsmöglichkeit“. Darüber hinaus sieht er in diesem Zusammenhang eine Schutzlücke bei Straftaten die vom 1. Januar 2011 bis 31. Mai 2013 begangen werden, weil die nachträgliche Therapierunterbringung erst für Taten ab dem 1. Juni 2013 möglich sein soll.
Herr Dr. Peglau, Richter am Oberlandesgericht Hamm, kritisiert die Bundesregierung wegen der Abschaffung der nachträglichen Sicherungsverwahrung im Jugendstrafrecht. Sollte die vom Bundesrat vorgeschlagene nachträgliche Therapierunterbringung eingeführt werden, müsste diese auch auf das Jugendstrafrecht ausgedehnt werden. Auf der anderen Seite verweist Dr. Peglau darauf, dass die Aussetzung zur Bewährung bei Unverhältnismäßigkeit der Sicherungsverwahrung inkonsequent wäre und hier eine Erledigungserklärung angebracht wäre. Im Hinblick auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) scheint sich Herr Dr. Peglau aber dafür auszusprechen, auf die nachträgliche Therapieunterbringung zu verzichten. Eine Einschränkung der Straftaten, die zur Sicherungsverwahrung führen können hält er für nicht nötig und scheint zu bedauern, dass für Wohungseinbrüche die Sicherungsverwahrung schon jetzt nicht mehr angeordnet werden kann.
Herr König, Vollzugspraktiker, findet dass eine Beschränkung auf Gewalt- und Sexualstraftaten für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht geboten, aber empfehlenswert ist. Er unterstützt den Wunsch der SPD (und des Bundesrates) auf Einführung der nachträglichen Therapieunterbringung. Eine Expertenkommission hält er für nicht grundsätzlich verkehrt.
Der Kriminologieprofessor Dr. Kinzing lobt die Regelungen zum Abstandsgebot, kritisiert aber gleichzeitig die Privilegierung der von Sicherungsverwahrung bedrohten Strafgefangenen im Strafvollzug gegenüber den „normalen“ Strafgefangenen. Auch er findet es konsequenter bei Unverhältnismäßigkeit der Sicherungsverwahrung diese nicht zur Bewährung auszusetzen, sondern für erledigt zu erklären. Er stimmt dem Antrag der Fraktion DIE LINKE zu und bedauert, dass die Bundesregierung nicht aufgegriffen hat, dass das Bundesverfassungsgericht die Frage aufgeworfen hat, ob am Institut der Sicherungsverwahrung überhaupt festgehalten werden soll. Im Detail verweist Prof. Kinzing anhand verschiedener Studien, dass die Zahl der tatsächlichen Rückfalltäter bei als gefährlich entlassenen Sicherungsverwahrten maximal bei 20% liegt. Konkret fordert Prof. Kinzing einen einheitlichen und engen Maßstab für die Anordnung von Sicherungsverwahrung, die Abschaffung der vorbehaltenen und nachträglichen Sicherungsverwahrung. Er lehnt strikt die Möglichkeit der Einführung einer nachträglichen Therapieunterbringung ab und kritisiert das Therapieunterbringungsgesetz an sich.
Dr. Endres vom Kriminologischen Dienst des Bayrischen Justizvollzuges hat praktische Erfahrungen als Anstaltspsychologe. Er verweist darauf, dass Rückfall oder Nichtrückfall „stets auch von nicht vorhersagbaren Umständen und Entwicklungen abhängig“ ist und deshalb „eine sichere Voraussage kriminellen Verhaltens niemals möglich sein“ wird. Er fordert eine frühzeitige Behandlung von Strafgefangenen im Rahmen der normalen Haft.
Ich bin jedenfalls gespannt auf die Anhörung.