Mehr Licht als Schatten

Nein, unproblematisch ist er nicht, der Koalitionsvertrag der zwischen der SPD und der LINKEN in Brandenburg vereinbart wurde.

Koalitionsvertrag

Dennoch: Wäre ich (noch) Brandenburgerin würde ich mich wohl in einer Gesamtabwägung für diese Koalition entscheiden,  wissend das dies nicht unproblematisch wird und viele Dinge noch im praktischen Regierungshandeln erkämpft werden müssen.

Das Problematische:

Viel zu häufig -für meinen Geschmack- wird auf die guten und großen Taten der Vorgängerregierung verwiesen. Es scheint so, als habe die Regierung vorher nicht allzuviel falsch gemacht. Exemplarisch hierfür ist die Passage, in der behauptet wird,  das Dank des Einsatzes von Politik und Gesellschaft eine konsequente und erfolgreiche Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus geführt wurde (Zeile 1522-1524). Im Koalitionsvertrag wird formuliert, dass Bildung „so wenig wie irgend möglich“ von sozialer oder regionaler Herkunft abhängen darf. So wenig wie möglich ist mir zu wenig. Bildung darf gar nicht von sozialer oder regionaler Herkunf abhängen. Insofern konsequent aber bedauerlich wird an der sechsjährigen Grundschule festgehalten (Zeile 251).  Während im hinteren Teil des Koalitionsvertrages sich deutlich zum Kampf gegen Rechtsextremismus positioniert wird, wird im vorderen Teil von der Bekämpfung des „politischen Extremismus“ (Zeile 350) geredet und damit ein wenig Beliebigkeit angedeutet. Sehr problematisch ist das Kapitel zur Energie- und Wirtschaftspolitik, auch wenn ich im Koalitionsvertrag nicht an einer Stelle eine Feslegung auf neue Tagebaue entdecken konnte.Es gibt ganz viel Hinweise auf den  Ausbau erneuerbarer Energien, aber es steht eben auch: „Braunkohle-Nutzung in Deutschland ist solange erforderlich, bis der Industriestandort Deutschland seinen Energiebedarf sicher und zu international wettbewerbsfähigen Preisen aus Erneuerbaren Energien decken kann. Die Koalition hält an der Verstromung des wichtigen einheimsichen Energieträgers Braunkohle als Brückentechnologie fest.  […] Die Koalition strebt an, die rechtlichen Rahmenbedingungen so zu verändern, dass neue Braunkohlekraftwerke ab 2020 nur bei drastischer Reduktion des CO2-Ausstoßes genehmigt werden….“ (Zeile 901-910).

Aus eigener Erfahrung etwas komisch finde ich die Formulierung zur ILA, die nicht mehr in Frage gestellt wird. Dort holte ich mir bei Protesten vor Jahren mal eine Jugendrichterliche Ermahnung ab und finde Proteste gegen die dort ausgestellte Rüstungsindustrie für nach wie vor berechtigt. Diesen Punkt sehe ich als eine Niederlage an.

Das wirklich Gute:

Die Koalition setzt sich für einen bundesweiten Existenz sichernden gesetzlichen Mindestlohn ein und in Brandenburg wird die Vergabe öffentlicher Aufträge an soziale Standards und die Bezahlung wenigstens auf Mindeslohnniveau gebunden. Langzeitarbeitslosen soll mit einem ÖBS eine berufliche Perspektive gegeben werden (Zeilen 132-137). Der Betreuungsschlüssel in Kitas wird verbessert (Zeile 184-186), 1250 Lehrer/innen werden neu eingestellt (Zeile 209) und es wird ein „Schüler-BaföG“ für die Abiturstufe eingeführt (Zeile 217).  Das staatliche Ausgaben für Bildung endlich als Investitionen gelten sollen (Zeile 364) ist zu begrüßen. Die Landesregierung will einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte (Zeile 501) und spricht sich für den Erhalt des öffentlich-rechtlichen Bankensektors, insbesondere der Sparkassen aus (Zeile 666). Für DIE LINKE sicherlich eine Selbstverständlichkeit, wohl aber nicht für die Sozialdemokratie. Gleiches gilt übrigens für die Aussage, die Privatisierung der Deutschen Bahn AG abzulehnen (Zeile 1697).  Positiv zu erwähnen ist der Einsatz für eine sachgerechte und armutsfeste Grundsicherung für Kinder (Zeile 1174).

Der ausschlaggebende Punkt für mich war dann aber ein fachpolitischer. Die Koalition will sich dafür einsetzen, dass Nicht-EU-Bürger/innen an den Kommunalwahlen teilnehmen dürfen (Zeile 1358), die Koalition will sich in Abstimmung mit den Gewerkschaften für eine Form der Kennzeichnungspflicht für uniformierte Polizeibeamte einsetzen, die eine individuelle Feststellung der handelnden Polizeibeamten/innen sichert (Zeile 1507-1509). Es werden die Haushaltsansätze für den Kampf gegen Rechtsextremismus fortgeschrieben und landesweite Aktionsbündnisse, Mobile Beratungsteams etc. unterstützt (Zeile 1533-1536). Das dies keine Selbstverständlichkeit ist, zeigt ja gerade Schwarz-Gelb. Die Koalition setzt sich dafür ein, die Residenzpflicht für Asylbewerber/innen und geduldete Ausländer/innen abzuschaffen (Zeile 1559-1560) und befürwortet, dass die Kommunen das Sachleistungsprinzip durch Geldleistungen ersetzen (Zeile 1563-1564). Die Koalition spricht sich für eine Verlängerung der Bleiberechtsregelung aus (Zeile 1565) und will die Zugangsbedingungen für Volksabstimmungen erleichtern (Zeile 1580-1582).  Im Gegensatz zu Schwarz-Gelb wird sich ausdrücklich zur Prozesskosten- und Beratungshilfe bekannt (Zeile 1594) und im Hinblick auf die lange Verfahrensdauer bei den Sozialgerichten die Umsetzung von Richterstellen zu Sozialgerichten vornehmen (Zeile 1610).

Ich bin gespannt, wie die Diskussion um Brandenburg weitergeht und habe manchmal das Gefühl „Berlin reloaded„. Da wird -ein Blick in die Netzcommunity reicht- ganz schnell schon wieder von den „Machtgeilen“ oder den „Opportunisten“ geredet. Da wird ganz schnell von „Verrat“ gesprochen und keine Abwägung vorgenommen. Sicherlich kann man/frau bei einer Abwägung auch zu anderen Ergebnissen kommen als ich, aber eine Abwägung sollte man/frau schon treffen und diese dann auch nachvollziehbar erklären.

Aber auch an anderer Stelle gibt es „Berlin reloaded„. In Berlin wurde über die Präambel gestritten, die keinen Einfluss auf reale Politik hatte. In Brandenburg ist es folgender Satz: „Brandenburg bekennt sich nachdrücklich zur weiteren europäischen Integration und zum Vertrag von Lissabon“. (Zeile 2066-2067) Das nachdrückliche Bekenntnis zur europäischen Integration ist -hoffentlich- unstrittig, der Halbsatz zum Vertrag von Lissabon überflüssig. Nur dieser Satz hat keine Bedeutung für die reale Politik in Brandenburg, es ist ein Bekenntnissatz. Spannender ist da schon die Aussage „… werden sich in Abstimmung mit den Gewerkschaften für eine neues Verhältnis von sozialen Grundrechten und wirtschaftlichen Grundfreiheiten in den europäischen Verträgen einsetzen.“ (Zeile 2071-2073).

Ich hoffe „Berlin reloaded“ findet bald sein Ende und es wird über die verschiedenen Abwägungen debattiert – und ja ich hoffe, der Koalitionsvertrag findet eine Mehrheit.

4 Replies to “Mehr Licht als Schatten”

  1. genau die gleichen schatten habe ich auch ausgemacht, mal schauen wie hier in potsdam auf der regionalkonferenz (die gleich anfängt) die stimmung ist.

  2. Hallo Halina Wawzyniak

    einige kritische Punkte nanntest Du ja schon

    Hier die in meinen Augen (zu) problematischen Punkte

    a) Bildung-Wissenschaft: Drittmittelforschung an der Uni zusamt dem ganzen Exzellenzen-Blödsinn – also weiterhin eine fröhliche Privatisierung von Bildung und Forschung. Ferner: Wieder wird der PISA-Gessler-Hut gegrüßt, anstatt endlich einmal Front zu machen gegen fragwürdige Bildungsevaluierungen.

    b) Rückgang der Stellen öD. Natürlich ist das Arbeitsplatzabbau auf die kalte Tour, zumal wir hier ja noch die (begrüßenswerten) neueinstellungen Lehrer/KITA gegenrechnen müssen. Für mich reicht dieser Punkt, um Nein zu sagen.

    c) Politik vollzieht sich nicht nur, aber auch in Symbolen: Das Grüßen des Lissaboner Gessler-Huts war schmerzhaft zu lesen. „Und, liebe Linke, hast Du heute schon brav und artig gen Lissabon gegrüßt, oder muß ich Dich wieder erst übers Knie legen und in die Ecke stellen?“ Nee, so nicht! Ich lasse mir von der Hans-Globke-Blockflöten-Partei doch keinen Demokratie-Gesinnungstüv aufdrücken. Soweit kommts noch!

    Es geht wirklich nicht darum, undifferenziert und pawlowsch „Pöstchengeilheit“ oder „Verrat“ zu krächzen (wie Pöstchengeil wir sind, hat die Thüringer Linke ja gerade gezeigt; ich glaube, da waren eher andere pöstchengeil, sogar notgeil). Aber das ist mir zu fülle. Tut mir leid. Bildung nben guten Punkten einige Kröten, und entscheidend eben Punkt b)

    lg

  3. Lieber Hartmut,

    das ist ja mal eine Argumentation auf einem Niveau, wo es Spaß macht zu debattieren.
    Hochschule ist nicht wirklich schön, haste Recht – aber wiegt es aus meiner Sicht nicht auf.
    Beim ÖD sehe ich das Problem nicht. Wenn ich das richtig gelesen habe, wird altersbedingt abgebaut und nicht in vollem Umfang wieder eingestellt. Da aber in bestimmten Bereichen Neueinstellungen stattfinden, sehe ich das Problem nicht. Ich sehe eher das Problem das wir noch mal debattieren müssen, was und wie der Öffentliche Dienst aussehen soll. Im Wahlprogramm beispielsweise haben wir einmal „öffentliche Dienstleistungen“ und „öffentlicher Dienst“ zu stehen. Dann hätten wir vielleicht auch an dieser Stelle im Vorfeld klarere Vorstellungen.
    Zu dem Lissabon-Satz habe ich ja schon was geschrieben.

  4. zusammenfassung: die stimmung der basis auf der regionalkonferenz in potsdam war zu vielen punkten kritisch, aber ingesamt wurde auch von den kritikern das gesamtpaket begrüßt. das thema braunkohle etc. wurde überraschend wenig kontrovers diskutiert, was auch daran lag, dass die parteijugend die veranstaltung weniger mit fragen, sondern mehr mit viele anwesende überfordernde diskussionsbeiträgen traktierte…
    Insgesamt aber „skeptische zustimmung“ zum koa-vertrag, wissend, dass einige kröten geschluckt werden müssten, die, so die hoffnung auch beim thema braunkohle etc., in den kommenden Jahren noch eine andere Richtung nehmen mögen. ein anwesender vom NABU lobte die naturschutzaspekte.
    der punkt öffentlicher dienst ist nach auskunft der verhandlungsdelegation eine verbesserung gegenüber den usprünglichen planungen von schwarz-rot.
    ich würde sagen: kompromisse sind halt nichts für freunde des ponyhofs, o.s.ä…..

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