Parteien und Wahlen in der Pandemie

Reihenweise werden Parteitage abgesagt, wegen des Infektionsschutzes. Ich habe dafür Verständnis. Dennoch muss es für die Parteien, die in Art. 21 GG einen verfassungsrechtlichen Status zugesprochen bekommen haben, eine Möglichkeit geben, Parteitage durchzuführen und vor allem auch Vorstände wählen zu können.

In dem Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19 Pandemie (GesRuaCOVBekG) wurden für die genannten Einrichtungen Vorkehrungen getroffen. So können die Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften digital durchgeführt werden, bei einer GmbH kann die Stimmenabgabe für Beschlüsse in Textform oder schriftlich erfolgen, bei Genossenschaften können Beschlüsse schriftlich oder elektronisch gefasst werden und für Vereine und Stiftungen ist geregelt, dass nach Ablauf der Amtszeit ein Vorstandsmitglied bis zur Abberufung oder Bestellung eines/einer Nachfolgers/Nachfolgerin im Amt bleibt. Ohne Änderung der Satzung ist es möglich, an Mitgliederversammlungen ohne Anwesenheit am Versammlungsort teilzunehmen und Mitgliederrechte mittels elektronischer Kommunikation auszuüben. Es ist auch möglich, ohne Teilnahme an einer Mitgliederversammlung, die Stimme vor der Durchführung schriftlich abzugeben.

Für Parteien gab es bislang keine Pandemie-Regelung. Das Parteiengesetz wurde im § 9, der sich mit den Mitglieder- und Vertreterversammlungen (Parteitagen) beschäftigt, nicht geändert. Dies soll sich nun ändern.  Ausweislich der Beschlussempfehlung des Bundestagsausschusses für Inneres und Heimat vom 07. Oktober 2020 sollen die Regelungen für Vereine aus dem GesRuaCOVBekG auch für Parteien gelten. Es handelt sich um ein sog. Omnibusgesetz, denn eigentlich geht es um eine Änderung des Bundeswahlgesetzes. Die Beschlussempfehlung sieht nunmehr vor, dass der Paragraf zu den Vereinen im GesRuaCOVBekG verändert werden soll. Danach gilt für Parteien:
  • Ein Vorstandsmitglied bleibt auch nach Ablauf seiner Amtszeit bis zu seiner Abberufung oder bis zur Bestellung seines Nachfolger/seiner Nachfolgerin im Amt.
  • An einer Mitgliederversammlung kann ohne Anwesenheit am Versammlungsort teilgenommen werden und können die Mitgliederrechte im Wege der elektronischen Kommunikation ausgeübt werden. „Dies gilt nicht für die Beschlussfassung über die Satzung und die Schlussabstimmung bei Wahlen nach § 9 Absatz 4 des Parteiengesetzes.“ 
  • Die Wahrnehmung von Mitgliedschaftsrechten kann der Vorstand auch ohne Ermächtigung in der Satzung im Wege der Briefwahl oder auch zeitlich versetzt als Urnenwahl an verschiedenen Orten zulassen. Wichtig dabei aber, es wird klargestellt, dass der § 17 S. 2 Parteiengesetz unberührt bleibt, d.h. die Aufstellung von Wahlbewerbenden durch Wahlgesetz und Satzung geregelt wird.

In der Begründung wird erläuternd dargestellt, dass die Änderung Parteien nunmehr ermöglicht „Mitglieder- und Vertreterversammlungen sowie (…) Zusammenkünfte ihrer (…) Organe sowie ihrer Gliederungen im Wege elektronischer Kommunikation zuzulassen, so dass sich die Mitglieder im Wege elektronischer Kommunikation zusammenfinden und ihre Mitgliedsrechte ausüben können.“  Möglich ist auch, „dass ein Teil der Mitglieder an
einem bestimmten Ort zusammenkommt und andere Mitglieder an der Mitgliederversammlung im Wege elektronischer Kommunikation teilnehmen„. Damit wäre ein Online-Parteitag und ein Hybrid-Parteitag schon mal möglich. Was aber ausgeschlossen ist, ist eine Online-Wahl des Vorstandes. Es heißt in der Begründung klar:

„Satz 3 stellt klar, dass die Ausübung von Mitgliedsrechten im Wege der elektronischen Kommunikation aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht für die Schlussabstimmungen bei innerparteilichen Wahlen nach § 9 Absatz 4 des Parteiengesetzes sowie die Beschlussfassung über die Satzungen der Parteien gilt. Die elektronische Durchführung der Schlussabstimmung ist bei innerparteilichen Wahlen aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich.“ 

Das wiederum bedeutet, es kann zwar ein Online- oder Hybrid-Parteitag stattfinden, aber ein Vorstand kann dort nicht gewählt werden. Die Begründung weist aber darauf hin, dass ein milderes Mittel als eine Online-Wahl möglich ist, nämlich die „Durchführung von Wahlen mit einer Schlussabstimmung im Wege der Briefwahl„. Konkret, so die Begründung, können elektronische Verfahren „zur Vorermittlung, Sammlung und Vorauswahl der Bewerber genutzt werden„, die Schlussabstimmung muss aber schriftlich mit Stimmzetteln, „notfalls im Wege der Briefwahl“ durchgeführt werden.

Das Ganze wurde am 9. Oktober 2020 im Bundestag beschlossen. Nach der Verkündung kann also danach verfahren werden.

Hinsichtlich der Aufstellung von Wahlbewerber:innen gilt -neben einigen anderen Dingen- das Gleiche wie für Parteitage. Dafür wurde das Bundeswahlgesetz, konkret § 52 BWahlG geändert, indem ein neuer Absatz 4 eingefügt wird. Bevor ich darauf eingehe, will ich darauf hinweisen, dass diese Änderung allein für die Aufstellung von Wahlbewerber:innen für die Bundestagswahlen gilt, nicht jedoch für die Aufstellung von Wahlbwerber:innen für Landtagswahlen. Um ein ähnliches Vorgehen dort zu ermöglichen, müssten die Landeswahlgesetze geändert werden.

Nach der Neuregelung in § 52 Abs. 4 BWahlG kann das Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat „im Falle einer Naturkatastrophe oder eines ähnlichen Ereignisses höherer Gewalt, durch Rechtsverordnung
mit Zustimmung des Bundestages von den Bestimmungen über die Aufstellung von Wahlbewerbern abweichende Regelungen zu treffen und Abweichungen der Parteien von entgegenstehenden Bestimmungen ihrer Satzungen zuzulassen um die Benennung von Wahlbewerbern ohne Versammlungen soweit erforderlich zu ermöglichen„.

Das heißt zunächst, ohne Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundestages geht nichts. Diese Rechtsverordnung ist aber an Bedingungen geknüpft: Der Bundestag muss neun Monate vor dem nach Art. 39 Abs. 1 Satz 3 GG, d.h. neun Monate vor dem sechsundvierzigsten Monat nach Beginn der Wahlperiode feststellen, dass „die Durchführung von Versammlungen ganz oder teilweise unmöglich ist„. Die Wahlperiode des 19. Deutschen Bundestages begann am 24.10.2017. Der sechsundvierzigste Monat wäre demnach der 24.08.2021 und davon abgezogen die 9 Monate wäre (*leise kichernd*) dann der 24.12.2020. Die Rechtsverordnung selbst kann dann Regelungen treffen, die eine Abweichung vom Bundeswahlgesetz und der Bundeswahlordnung ermöglichen, „sofern eine Satzungsänderung (…) nicht mehr rechtzeitig möglich ist„.

Der Bundestag müsst also nach strenger Auslegung des „muss“ am 24.12.2020 feststellen, ob die Voraussetzungen für die Rechtsverordnung vorliegen und ab diesem Zeitpunkt wäre eine Satzungsänderung für Parteien auch nicht mehr möglich. Nun gehe ich nicht davon aus, dass am 24.12.2020 eine Sitzung des Bundestages stattfindet, die spannende Frage bleibt also ob die Feststellung noch im Dezember oder erst im Januar stattfindet. Bei den nach der Verordnung dann möglichen Abweichungen vom Bundeswahlgesetz handelt sich sich dann um folgende Optionen zur Aufstellung von Wahlbewerber:innen:

  • Wahl der Wahlbewerber und der Vertreter für die Vertreterversammlungen unter Verringerung der satzungsgemäßen Zahl der Vertreter in der Vertreterversammlung oder anstatt durch eine Mitgliederversammlung durch eine Vertreterversammlung
  • Mitglieder- oder Vertreterversammlungen in der Form mehrerer miteinander im Wege der elektronischen Kommunikation verbundener gleichzeitiger Teilversammlungen an verschiedenen Orten
  • Wahrnehmung des Vorschlagsrechts, des Vorstellungsrechts und der sonstigen Mitgliederrechte mit Ausnahme der Schlussabstimmung über einen Wahlvorschlag ausschließlich oder zusätzlich im Wege elektronischer Kommunikation
  • Wahl von Wahlbewerbern und Vertretern für die Vertreterversammlungen im Wege der Briefwahl oder einer
    Kombination aus Urnenwahl und Briefwahl

Soweit so gut. Oder eben nicht. Denn bei mir bleiben noch Fragen offen.

  • Wie will der Bundestag die Feststellung treffen, dass „die Durchführung von Versammlungen ganz oder teilweise unmöglich ist“. Woran macht er das fest? Was passiert, wenn in einigen Ländern aufgrund von Rechtsverordnungen (oder vielleicht irgendwann Gesetzen) Versammlungen nicht erlaubt sind, in anderen Ländern aber -vorbildlich- Ausnahmen für Parteien im Hinblick auf die Aufstellung von Wahlbewerber:innen in den Rechtsverordnungen vereinbart wurden?
  • Was passiert, wenn im Dezember Versammlungen (wieder) erlaubt sind, dafür aber im März nicht?

Aus den mir vorliegenden Unterlagen konnte ich nicht schlau werden, wie das gehandhabt werden soll und bin gespannt, was in der Praxis so alles passieren wird.

 

3 Replies to “Parteien und Wahlen in der Pandemie”

  1. Frage: im 9. (hoffe, dass ich richtig gezählt habe) Absatz schreibst Du: „Der sechsundvierzigste Monat wäre demnach der 24.08.2020 und davon abgezogen die 9 Monate wäre (*leise kichernd*) dann der 24.12.2020.“.
    Ist es hier ein Tippfehler – richtig wäre m. E. „demnach der 24.08.2021“ – oder habe ich ein Verständnisproblem?
    Generell: vielen Dank für Deine detaillierten und vor allem auch schnellen Analysen, z. B. zur Entscheidung zum Parité-Gesetz.
    Herzliche Grüße
    Jan S. Lautenbach

  2. Pingback: Parteitage und Bundestagswahlbewerber:innen-Aufstellung in der Pandemie – Blog von Halina Wawzyniak

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