… traf sich gestern beim Bundesverfassungsgericht um über das von der Koalitionsmehrheit verabschiedete Wahlrecht zu verhandeln. Unsere kleine Wahlrechtsfamilie deshalb, weil mittlerweile jeder der Beteiligten jeden kennt und so auch inhaltlich wenig Überraschendes geboten wurde. Unsere kleine Wahlrechtsfamilie meint neben mir 😉 die Abgeordneten Krings, Ruppert, Wiefelspütz und Beck. Unsere kleine Wahlrechtsfamilie meint die Sachverständigen Lang, Schorkopf, Sacksofsky, Grzezsick, Meyer und Pukelsheim sowie die Vertreter_innen von Mehr Demokratie e.V. die sowohl an der Anhörung zum Wahlrecht im Deutschen Bundestag beteiligt waren, als auch beim Bundesverfassungsgericht in der einen oder anderen Funktion beteiligt waren.
Worum geht es nun eigentlich bei der Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht. Dem Bundestag lagen, wie ich bereits hier geschrieben habe, Gesetzentwürfe zum Wahlrecht von LINKEN, SPD, Grünen und Koalition vor. Allein mit der Koalitionsmehrheit wurde schließlich der Gesetzentwurf der Koalition beschlossen. Die Fraktionen von Grünen und SPD klagen ebenso gegen das beschlossene Wahlrecht, wie die Partei der Grünen und über 3.000 Bürger_innen im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde. Eine der 3.000 Bürger_innen bin ich. Worum es in der Verfassungsbeschwerde geht habe ich hier schon einmal aufgeschrieben und warum dieses Wahlrecht unweigerlich nach Karlsruhe führt, habe ich im Bundestag bereits ausgeführt. Ein guter Überblick über die verschiedenen Klagen und weitere Hintergrundinformationen findet man auf der Kampagnenseite zur Bürgerklage von Mehr Demokratie e.V. .
Die Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht, die ich leider nur bis zur Mittagspause verfolgen konnte, weil ich noch einen weiteren Termin hatte, brachte im Hinblick auf die vorgetragenen Argumente der verschiedenen Seiten wenig neue Erkenntnisse. Das verwundert nun aber nicht wirklich, wenn man berücksichtigt, dass im Rahmen unserer kleinen Wahlrechresfamilie die Argumente mehrmals ausgetauscht wurden. Lediglich der Verfahrensbevollmächtige der Verfassungsbeschwerde Herr Prof. Rossi konnte -auch auf Grund seiner sehr guten schriftlichen Stellungnahme- den einen oder anderen Überraschungseffekt einbringen. Den Gang der Verhandlung kann man ungefähr aus der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichtes zur mündlichen Verhandlung erkennen.
Die Verhandlung wurde vom Präsident des Bundesverfassungsgerichtes Voßkuhle eröffnet. Er zitierte aus dem Urteil zum Wahlrecht von 2008 und verwies noch einmal darauf, dass das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber bewusst einen langen Zeitraum zur Neufassung des Wahlrechts gelassen hat. Er bedauerte ausdrücklich, dass es nicht zu einer gemeinsamen Neuregelung des Wahlrechts aller Parteien gekommen ist und die Koalitionsfraktionen allein einen Gesetzesentwurf durchgedrückt haben. Der Gesetzgeber habe sich damit dafür entschieden, dass es keine Listenverbindungen der Parteien mehr gibt, die Wähleranzahl über die Anzahl der pro Bundesland zu vergebenden Mandate entscheidet, ein sog. Reststimmenausgleich stattfindet und Überhangmandate erhalten bleiben. Juristisch sei zu prüfen, ob die Neuregelung den Grundsätzen der Wahlrechtsgleichheit, der Chancengleichheit der Parteien und der Unmittelbarkeit der Wahl entspricht. Es sei Aufgabe der Politik, so Voßkuhle, rechtzeitig und in großer Übereinstimmung ein Wahlrecht zu verabschieden, was in diesem Falle nicht gelungen sei.
Nach dem Aufruf der Verfahrensbeteiligten führte Berichterstatter Gerhardt in das Verfahren ein und warf u.a. die Frage auf, ob das neue Wahlrecht beispielsweise die angemessene Repräsentanz des Ostens sicherstelle, eine Erfolgswertgleichheit bei den kleinen Bundesländern noch gegeben sei, wie damit umgegangen werden soll das eine mehrfache Rundung bei der Errechnung der Mandate zu erfolgen hat, ob die Regelung überhaupt bestimmt und schlüssig ist und deutete an, dass der Senat sich auch noch einmal mit der Frage der Legitimität von Überhangmandaten sowie der genaueren Definition des negativen Stimmgewichts beschäftigen muss.
Die Argumente der Verfahrensbeteiligten will ich an dieser Stelle nicht wiederholen, im wesentlichen findet man diese nämlich in den Stellungnahmen zur Anhörung im Bundestag und den Schriftsätzen zum Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Das Einzige worauf ich an dieser Stelle noch einmal kurz verweisen will -eben weil es am Rande der Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht eine Rolle spielte- ist die Tatsache, dass all die Probleme mit dem Wahlrecht deshalb auftreten, weil wir eine Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahl haben. Keine im Bundestag vertretene Partei hat sich diesem Problem angenommen, da muss ich Herrn Krings mal ausnahmsweise Recht geben. Vielleicht aber gibt das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil, was wohl noch einige Zeit dauert, einen Hinweis auf dieses Problem und dann kann ja über meinen Vorschlag zum Wahlrecht (unter dem Punkt 3 x 3 Modell) noch einmal diskutiert werden, den entsprechenden Gesetzentwurf habe ich noch auf der Festplatte 😉
PS: All diejenigen die auf eine Auswertung/Bewertung des Göttinger Parteitages der LINKEN von mir warten, muss ich enttäuschen. Es wird zunächst keine geben. Erstens habe ich mir noch kein abschließendes Urteil gebildet und zweitens versuche ich noch zu verarbeiten was mit und durch Freunde_innen und vermeintliche Freunde_innen passiert ist. Ich schaue deshalb nach vorn und kümmere mich um das wofür ich angetreten bin und die Sachpolitik für die ich in den Bundestag gewählt worden bin.
Verfassungsrichterin kriegt Lachanfall: news.de/politik/855317
Hallo Halina,
entschuldige bitte, dass ich meine Frage hier hin schreibe. Ich bin mit Blogs recht unerfahren und habe keinen besser passenden Ort gefunden.
Meine Frage:
Wie kommst du in deinen (hier verlinkten) Antrag zur Demokratisierung des Wahlrechts auf das Alter 16 beim aktiven und passiven Wahlrecht? Ist diese Zahl/ diese Auswahl auf Grund eines Alters auf irgendetwas gestützt?
Vielen Dank fürs Lesen 🙂
Mit freundlichen Grüßen
Andy Urban
das war ein kompromiss zwischen meinen weitergehenden vorstellungen und dem was derzeit in den landesparlamenten diskutiert und verabschiedet wurde
Danke für deine Antwort.
Dann wird durch dein Wahlrechts-Vorschlag ein demokratiefeindliches Wahlrecht durch ein anderes im Grunde genauso demokratiefeindliches Wahlrecht ersetzt. Schade. Im GG Art. 20 steht „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Naja, ich hab schon länger bemerkt, dass Kinder keine richtigen Menschen zu sein scheinen und zum Volk scheinen sie auch erst zu gehören, wenn sie eine bestimmte Voraussetzung (z.B. ein bestimmtes Alter) erfüllt haben. Vor vielen Jahren sympatisierten einige damals PDS Mitglieder noch für ein Wahlrecht ohne Altersgrenze. Vielleicht ist die Zeit reif, dass die LINKE sich dieses Themas wieder annimmt?
Viele Grüße
Andy Urban