Zwei Anhörungen an einem Tag, das war auch für mich eine Premiere. Eigentlich hätte ich es mir leicht machen können, denn sowohl die Neuregelung zur Sicherungsverwahrung als auch Netzsperren werden von mir (und der LINKEN) abgelehnt. Doch ich war natürlich auch auf neue Argumente gespannt, wissend das die Koalitionsfraktionen wohl kaum auf die Experten hören würden.
Die Anhörungen im Rechtsausschuß laufen immer so, dass die Sachverständigen ihre Stellungnahmen in 5 Minuten erläutern und dann pro Abgeordnetem die Möglichkeit für zwei Nachfragen besteht. Ob es ein oder zwei Nachfragerunden gibt, richtet sich nach dem Interessse der Abgeordneten.
Erste Anhörung: Neuregelung zur Sicherungsverwahrung
Um hier nicht zu lang zu werden, verweise ich auf die schriftlichen Stellungnahmen der Sachverständigen, die hier nachgelesen werden können. Ich will mich hier auf einige aus meiner Sicht interessante Details konzentrieren. Eines dieser Details war die Aussage von Herrn Graf, immerhin Bundesrichter, dass bei Sexualstraftätern eine hohe Rückfallgefahr bestehe. Datenmaterial konnte er zu dieser Aussage allerdings nicht anfügen, auf Nachfrage nämlich erklärte er, dies würde er immer von Gutachtern hören.
Aus meiner Sicht besonders interessant war, dass fast alle Sachverständigen die nachträgliche Sicherungsverwahrung für problematisch hielten, insbesondere die weitere Anwendung für sogenannte Altfälle. Auch das Therapieunterbringungsgesetz fiel quasi durch, weil sowohl die Gesetzgebungskompetenz zweifelhaft ist, als auch die Vereinbarkeit mit der Europäischen Menschenrechtskonvention. Mal abgesehen davon, dass immer noch keiner erklären konnte, wie man jemanden für schuldfähig hält und deshalb in den Knast bringt, nach bestimmter Zeit aber findet, dass dieser jemand „psychisch gestört“ ist und deshalb in einer Therapieeinrichtung untergebracht werden soll.
Empfehlen will ich unbedingt noch die Ausführungen von Oberstaatsanwalt Heuer. Nicht weil sie irre überzeugend und toll sind, sondern einfach weil sie zeigen, wohin die Richtung auch gehen könnte. Der Herr Oberstaatsanwalt sah schon einen bisher verantwortungsvoller Umgang mit der Sicherungsverwahrung und forderte, dass auch der Diebstahl unter Ausnutzung der Hilflosigkeit und Wohnungseinbruchdiebstahl weiterhin eine Anlassstraftat sein soll. Die Speicherfristen für die elektronische Fußfessel müssen verlängert werden, weil Opfer Straftaten häufig später anzeigen. Hätte ich mehr Fragen gehabt, hätte ich diese Absurdität noch hinterfragt. Oder ist es Offenheit. Formal soll ja die Fußfessel der Verhinderung neuer Straftaten dienen, nicht der Strafverfolgung. Der Höhepunkt kam aber noch. Der Herr Oberstaatsanwalt will in das Therapieunterbringungsgesetz den Begriff „psychische Störung“ genauer fassen. Es muss nämlich muss dissoziales Verhalten heißen und er meint damit Verhaltens- und Persönlichkeitsstörungen. Psychatrisierung von Personen nenn ich das.
Herr Prof. Kinzing brachte ein für mich erschreckend neues Argument gegen die vorbehaltene Sicherungsverwahrung vor. Nach den derzeitigen Anforderungen im Gesetz könnten bis zu 1000 Personen darunter fallen. Und das obwohl auch Herr Prof. Kinzing erhebliche europarechtliche Bedenken ggegen die vorbehaltene Sicherungsverwahrung geltend machte und einen Verzicht auf diese forderte. Er stellte die berechtigte Frage, wer eigentlich die Schadensersatzansprüche zahlen würde, die der EMRG wohl zusprechen würde, wenn die Übergangsregelung zu den Altfällen der Sicherungsverwahrung so bleibt.
Von besonderem Interesse war für mich die Aussage von Herrn Leygraf, Direktor eines Institutes für forensische Psychatrie. Er nämlich erklärte, dass kein Gutachter über genügend empirisches Material für Gefährlichkeitsprognose verfügt, wenn es sich um Personen mit langjährigen Haftstrafen handelt. Und er kritisierte, dass das Unterbringungsgesetz versucht Gefährlichkeit zu psychatrisieren. Später erläuterte er noch, dass es selbstverständlich Persönlichkeitsbesonderheiten unterhalb Schuldunfähigkeitsgrenze gibt, die auch zur Begehung von Straftaten führen, allerdings befinden sich diese Personen in Sozialtherapeutischer Therapie, bislang fielen sie nicht unter den Krankheitsbegriff.
Einen kleinen Kurs in Sachen Europarecht (der ausgesprochen hilfreich war) kam von Herrn Prof. Renzikowski. Er verwies darauf, dass die EMRK in der Auslegung des EMRG europäisches Verfassungsrecht sei und der deutsche Gesetzgeber keine entgegenstehenden Regeln erlassen kann. Eine Präventivhaft ist in der EMRK grundsätzlich nicht vorgesehen, nur wenn Geisteskrankheit diagnostiziert werde kann eine sog. Präventivhaft angeordnet werden. Aus seiner Sicht seien alle Formen der nachträglichen Sicherungsverwahrung nicht mit der EMRK vereinbar. Auch hinsichtlich der Vereinbarkeit des Unterbringungsgesetzes mit der EMRK habe er erhebliche Bedenken. Dies würde nur möglich sein, wenn die Unterbringung nichts mehr mit Strafe zut tun hat, sondern eben auf Grund einer Geisteskrankheit und darauf beruhenden Gefahren fußt. Dann sei aber die Länderzuständigkeit gegeben. So ganz nebenbei erklärte er, dass der Begriff „psychische Störung“ in diesem Gesetz um mit der EMRK in Übereinstimmung zu stehen nur §§ 20/21 StGB entsprechen kann. Und damit wären wir beim oben angedeuteten Problem.
Die grundsätzlichste Position vertrat der Rechtsanwalt Sebastian Scharmer indem er darauf verwies, dass es keine absolute Sicherheit gibt. Bei der Sicherungsverwahrung findet eine Abwägung zwischen Sicherheitsinteressen und Freiheitsrechten stattm, das bei nachweisbarem Rückgang der Schwerstkriminalität. Die Zahl der sog. Falsch-Prognostizierten sei relativ hoch (wie die Studie von Alex beweist). Sein Plädoyer war die Sicherungsverwahrung grundsätzlich auf den Prüfstgand zu stellen zugunsten des gesetzlichen und tatsächlichen Ausbaus von Sozialtherapie und der Entwicklung von Behandlungskonzepten. Dafür sei die Sicherungsverwahrung kontraproduktiv. Interessant war, dass Rechtsanwalt Scharmer erläuterte, dass er 38 Sicherungsverwahrte vertritt, die alle eine Sozialtherapie machen wollen. Aber keiner der Sicherungsverwahrten hat eine Sozialtherapie. Lediglich bei Sexualstraftätern gibt es einen Rechtsanspruch auf Sozialtherapie, er forderte den Anspruch auf Sozialtherapie als Regelanspruch gesetzlich zu verankern.
Zum Schluss nur noch soviel. Die Anhörung begann um 11.oo Uhr um 14.21 Uhr stand es 9:6. Neun Sachverständige debattieren mit 6 Abgeordneten.
Zweite Anhörung: Aufhebung des Zuganserschwerungsgesetzes
Auch hier will ich auf die schriftlichen Stellungnahmen verweisen, die hier nachgelesen werden können. Leider lief fast parallel die Plenardebatte zu den Castor-Protesten (soviel zu der Frage, weshalb nicht alle Abgeordneten im Plenum sind).
Tatsächlich ließ sich feststellen, dass neben einer durchaus -freundlich formulierte- unorthodoxen Einstellung zur Frage neutraler Leitung von Sitzungen durch den Vorsitzenden sich alle Experten (okay, bis auf die von der Union benannten) für eine Aufhebung des Zugangserschwerungsgesetzes aussprachen.
Es war die Rede von einem verfassungsrechtlich bedenklichen Gesetz.
Herr Frey meinte, dass Gesetz sei kein Beitrag zur Bekämpfung des Verbotes der Verbreitens von Kinderpornografie) es bestehe eher die Gefahr eines Dammbruchs für weitere Sperrmaßnahmen.
„Glänzend“ war erneut Bundesrichter Graf (ja, derselbe der von der Union schon zur Anhörung Sicherungsverwahrung als Sachverständiger nominiert war). Er meinte nämlich, dass die Aufhebung des Zugangserschwerungsgesetzes nicht der richtige Weg sei, weil damit auch die Löschensaufforderung wegfalle und damit Kinderpornografie wieder unbehelligt im Netz zur Verfügung stehe. (Herr Graf wurde später wiederlegt, auch nach Aufhebung des Zugangserschwerungsgesetzes gibt es nämlich eine Löschensaufforderung.). Außerdem können Provider punktgenau eine Sperrung vornehmen und er verstehe überhaupt nicht, wieso die Telekommunikationsfreiheit durch eine Sperrung betroffen sei. Nur in einem Punkt dürfte er recht haben: mit der Aussage das 2/3 der Mitglieder des Rechtsausschußes nicht wissen wie man Sperren umgehen kann.
Professor Hoffman-Holland sprach von einer symbolischen Gesetzgebung beim Zugangserschwerungsgesetz. Tatsächlich nämlich verschlechtere dies -entgegen seines propagierten Zieles- den Opferschutz. Als ineffektives Gesetz bindet es Ressourcen. Wer auf sperren setzt, ommt nicht zum löschen. Die Sperrlisten bleiben nicht geheim und wenn sie öffentlich sind, dienen sie quasials Wegweiser. Zudem würde das Zugangserschwerungsgesetz das Anzeigeverhalten erschweren. Das Zugangserschwerungsgesetz ist aus seiner Sicht aufzuheben, die in Arbeit befindliche Richtlinie der EU hindere den Deutschen Gesetzgeber nicht daran. Die Richtlinie der EU befinde sich noch im Rechtsetzungsverfahren, deshalb sei eine Aufhebung noch möglich.
Herr Maurer vom BKA meinte, wenn löschen nicht funktioniere, dann müsse halt gesperrt werden. In Deutschland sei das Löschen nicht das Problem, problematisch seien die im Ausland gehostete Seiten. Die Ressourcen (Achtung!) in Deutschland seien ausreichend. (War da nicht was mit der Kleine Anfrage der LINKEN?) Immerhin würden sich 1/4 der Mitarbeiter, also 6, um Access-Blocking kümmern. Die Löschensbemühungen haben aber zu keinem befriedigenden Ergebnis geführt.
Der Rechsausschuß wurde von Herrn Underbjerg auch ausführlich informiert, wie toll es mit der Filterung von Websiten in Dänemark funktioniert. Seit 2005 wird in Dänemark gefiltert und der Großteil der Bevölkerung sei glücklich über Filterung. In der Zeit von 2005-2009 hätte es durchschnittlich 2000-3000 Computerzugriffe pro Tag auf gefilterte Seiten gegeben, die dann eine Stoppseite sahen. Was diesen Herren angeht, hat zum Glück Alvar Freude bereits hier alles gesagt.
Am Ende stand es hier übrigens 9 (Sachverständige) zu 9 (Abgeordneten).
Die Presseerklärung zur Anhörung Netzsperren befindet sich im übrigen hier. Und ich muss jetzt mal ins Plenum, sonst bekomme ich Ärger 🙂